"1813 - Die Völkerschlacht bei Leipzig". In seinem gleichnamigen Buch handelt der Thüringer Historiker Gerd Fesser auf gut 100 Seiten die Zeit zwischen 1808 und 1819 ab: von Napoleon im "Zenit seiner Macht" bis zu den "Demagogenverfolgungen". Dokumente und eine Zeittafel machen den flüssig geschriebenen Band zu einem informativen Handbuch für jedermann.

Nationalistisches Pathos und die humanitären Ideale der Freimaurer verbänden sich im Leipziger Völkerschlachtdenkmal zu einer ambivalenten Symbolik, schreibt der Thüringer Historiker und “Zeit”-Autor Gerd Fesser, Jahrgang 1941, am Ende seines soeben erschienenen Bandes “1813 – Die Völkerschlacht bei Leipzig”. Auf triumphierende Gesten hätten die Baumeister, im Gegensatz zum Hermannsdenkmal bei Detmold, hingegen verzichtet, so Fesser weiter.

“Die Feier der Freiheitskriege war nichts als eine Fürstenfeier, höchstens noch eine Kundgebung des borniertesten Nationalismus im Zeichen des schlachtenwitternden Imperialismus”, zitiert Fesser aus dem “Vorwärts”, der SPD-Parteizeitung, vom 19. Oktober 1913.

Man erfährt also viel in dem kompakt gehaltenen Band von Gerd Fesser. Der Weg nach Leipzig lässt Fesser im Jahre 1808 beginnen. Zu jener Zeit habe sich Napoleon (1769 – 1821) im Zenit seiner Macht befunden. Von Ende September bis Ende Oktober 1808 zelebrierte der Empereur seine Macht in Erfurt. Der dortige Fürstenkongress im Beisein der vielen europäischen und deutschen Könige und Fürsten von Napoleons Gnaden hatte vor allem ein Ziel: Mit Russlands jungem Zaren Alexander I. (1777 – 1825) sollte ein modus vivendi gefunden werden, der die Vorherrschaft Napoleons in ganz Festland-Europa sicherte. Zugleich sollte Russland in das System der “Kontinentalsperre”, also der Abschottung gegen britische Waren und den politischen Einfluss des Inselreiches, fest eingebunden werden.Ein solcher belastbarer Deal kam in Erfurt nicht zustande. Zugleich brachen 1808 in Spanien und 1809 in Tirol Aufstände gegen die französische Besatzung aus. Wenngleich Napoleon 1809 Österreich noch einmal besiegen konnte, war offenkundig: Über eine Idee und die Ressourcen, eine dauerhafte Friedensordnung nach seinen Vorstellungen zu oktroyieren, verfügte er nicht mehr.

Deshalb begann Napoleon 1812 das Abenteuer des Russlandfeldzuges, das in einem völligen Fiasko endete. Daraufhin fand sich bis zum Frühjahr 1813 jene Allianz aus Russen, Preußen, Österreichern, Briten und Schweden zusammen, die Napoleon im Oktober 1813 in und um Leipzig die entscheidende Niederlage beibringen sollte. Fesser beschreibt diese Entwicklungen: kenntnisreich, kompakt, stilsicher.

Die zentralen Kapitel widmet der Historiker den Tagen der Leipziger Schlacht. Anhand der Abfolge werden die Dimensionen des Kämpfens, Tötens und Sterbens zwischen dem 16. und 19. Oktober 1813 in Leipzig und den umgebenden Dörfern deutlich.

Es bleibt die eine Frage: Welches Grauen hätte die Furie Krieg in der Region noch angerichtet, wenn den Franzosen der Fluchtweg nach Westen nicht offen gestanden hätte? Über den Ranstädter Steinweg und Lindenau zogen sich die Geschlagenen auf der alten Handels- und Heerstraße via regia zurück. Sofern ihnen die Flucht gelang.

Manch europäische Stadt fand nach der Heimsuchung durch eine verheerende Schlacht nicht zu alter Bedeutung zurück. Leipzig gelang Schritt für Schritt im 19. Jahrhundert der Aufstieg zu einem wichtigen Handels-, Industrie- und Kulturzentrum in Europa.

Die zeitgenössischen Dokumente, die Fesser seiner Darstellung anfügt, liefern uns anschauliche Belege für das, was im Oktober in Leipzig geschehen war. Von einem “Schauspiel, wie es seit Tausenden von Jahren nicht gegeben hat”, schreibt der Stabschef der Preußen, August von Gneisenau (1760 – 1831), am 19. Oktober 1813 an seine Frau Ottilie. “Viel Blut ist geflossen. Auf meilenlangen Strecken liegen die Toten und Verstümmelten”, so der spätere Generalfeldmarschall weiter.

Wie schlimm die Situation in der Stadt und die Situation der Verwundeten waren, lässt ein Brief des Arztes Johann Christian Reil an Freiherrn Heinrich Philipp Karl vom und zum Stein (1757 – 1831) über die Lage in den Lazaretten vom 26. Oktober 1813 erahnen. Der Mediziner mahnte von dem führenden preußischen Reformbeamten schnelle Hilfe an.

Nun ist der Name Völkerschlacht schon in den Oktobertagen 1813 von Zeitgenossen geprägt worden. Der Begriff passte anschließend bestens in eine Rezeption der Schlacht, die von einem Aufstand der Völker Europas gegen den Despoten Napoleon erzählte. In der Tat drängten die Lasten der französischen Besatzungsherrschaft und die wirtschaftlichen Folgen der Kontinentalsperre den ursprünglichen Zugewinn an bürgerlichen Freiheiten schnell in den Hintergrund.Akteur der Völkerschlacht und der Befreiungskriege war nach dieser Deutung zuallererst das sich nun neu konstituierende deutsche Volk, bei entsprechender Sichtweise geführt vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. (1770 – 1840). Die Geschichte war wie gemacht als Vorgeschichte der deutschen Nationalstaatsbildung, die schließlich in Form des 1871 mit “Blut und Eisen” geschaffenen Kaiserreichs erfolgte.

Mit dem realen Geschehen hatte das eher weniger zu tun. Fesser schildert, wie autonom die verbündeten Heere rund um Leipzig handelten. Die angefügten Briefe des russischen Verbindungsoffiziers Friedrich von Schubert schildern zudem die Distanz bis Arroganz der preußischen Kommandeure zu ihren russischen Verbündeten. Mit der russisch-deutschen Waffenbrüderschaft war es demnach in den Befreiungskriegen nicht so weit her, wie zu DDR-Zeiten so gern beschworen, wie Fesser argumentiert.

Dabei war Russland die Macht der Stunde, und Zar Alexander I. der neue Vormann Europas. Doch diese Tatsache lässt sich nur schwerlich in eine preußisch-deutsche Erzählung nationaler Selbstbefreiung von französischer Fremdherrschaft integrieren.

Gleichwohl blieb ein Einvernehmen mit Russland auf preußischer und deutscher Seite eine außenpolitische conditio sine qua non, bis Kaiser Wilhelm II. (1859 – 1941) gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann, nach der Weltmacht zu greifen. Mit dem Bündnis mit Russland im Rahmen der “Heiligen Allianz” verbanden jedoch Preußens Konservative auch restaurative innenpolitische Absichten.

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1813
Gerd Fesser, Verlag Bussert u. Stadeler, 19,90 Euro

Und überhaupt: Was war hier Befreiung? Fesser erinnert an den Disput zwischen konservativen Betrachtern, die von “Befreiungskriegen” sprachen, und liberalen Interpreten, die die Kämpfe “Freiheitskriege” nannten.

Dass die Sieger hernach ein Europa entgegen den Freiheitsidealen von 1789 schufen, daran erinnert Fesser mehrfach. Die Entwicklung nach 1813 steht zugleich “für den Rückgang von Bürger- und Freiheitsrechten in weiten Teilen Europas”, schreibt Sachsens Staatskanzlerchef Johannes Beermann (CDU) in seinem Geleitwort.

Schneller und kompakter kann man sich selten so umfassend über eine Epoche informieren, die die Region Leipzig, Deutschland und Europa nachhaltig prägen sollte. Spannend geschrieben hat Fesser die Geschichte obendrein.

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