Es klappt nicht zu jeder Ausstellung, dass das Stadtgeschichtliche Museum einen eigenen Katalog auflegen kann. Zu dieser hat es geklappt. Am Dienstag, 12. März, wurde im Ausstellungskubus im Böttchergässchen die Geburtstagsschau für Wilhelm Richard Wagner eröffnet. Sieben Kapitel über den wohl umstrittensten deutschen Komponisten. Gern auch karikiert. Eine Karikatur ziert auch das Cover des Begleitheftes.

Es ist Leslie Wards Karikatur von 1877, die Wagner beim Dirigieren zeigt. Der Pomp und der feierliche Ernst, mit dem Wagner noch 1913 und 1933/1938 gefeiert wurde, sind raus. Wagners Geburtsstadt bemächtigt sich ihres geflüchteten Sohnes mit Witz, Kritik, Entdeckerfreude und Schulterzucken. Das Problem Wagner war der Bursche immer selbst. Er maß sich immer an den Falschen. Biss sich in wütenden Sottisen an ihnen fest. Er inszeniert sich in den Kostümen seiner eigenen Phantasiewelt. Die Bauklötzer liegen in seinem Leben herum wie die künstlichen Ruinen in romantischen Parks. Die Villa Wahnfried in Bayreuth ist dafür im Wagner-Jahr wegen Rekonstruktion geschlossen. Das fränkische Städtchen diskutiert über das geplante Café Wahnfried und dessen gefürchtete Nähe zum Wagnergrab.

Überhaupt erstaunlich, dass Wagner ein Grab hat und nicht – mit anderen sperrigen Deutschen zusammen – in einem großen Pantheon aufgebahrt liegt. Neben Nietzsche (dessen Grab in Röcken noch immer bedroht ist) und Friedrich II. Aber auch das erzählt etwas über die Deutschen und ihre zerrissene Selbstsicht. Sie taumeln zwischen biederem Kleingeist und Größenwahn. Richard Wagner ist der typischste aller deutschen Komponisten. Das hat ein Herr Hitler wohl schon begriffen. Was er nicht begriff: Wie entlarvend das eigentlich für einen Diktator ist, wenn er das auch noch zur National-Musik erklärt. Hier fällt alles zusammen: der verklärende Spießer, seine Ignoranz für die Untertöne und sein Größenwahn.

Hans Mayer hat recht: Wagners großen durchkomponierten Märchenopern sind eine freudenvolle Parodie auf das deutsche bürgerliche Denken, Fühlen und Träumen. Was auch an den Wurzeln liegt, die alle in Leipzig zu finden sind. Die Welt der deutschen Romantik mitsamt ihren genialen satirischen Auswüchsen (E. T. A. Hoffmann) hat der kleine, vaterlose Richard bei seinem Onkel Adolf Wagner im Königshaus am Leipziger Markt kennengelernt. Das große Theater hat ihm die Mutter mitgegeben. Heinrich Laube, der später Theaterintendant in Leipzig wurde, war mit ihm befreundet. Laube, der einer der intensivsten Briefpartner Heinrich Heines war, dessen Tannhäuser natürlich die Ursuppe für Wagners Tannhäuser war.Dass Wagner 1849 in Dresden mit auf den Barrikaden stand, hat auch mit dieser Verwurzelung zu tun. Die ihre Heimatlosigkeit zwangsläufig in sich trug. Wer sich nicht einpasste in das von Metternich verordnete Bravsein, der war ganz schnell auf der Flucht. Oder im Zuchthaus wie die Herren vom Leipziger “Verbrechertisch”, den man in der Ausstellung “Moderne Zeiten” im Alten Rathaus besichtigen kann.

Man vergisst ja so gern, dass auch Wagner das Strandgut einer völlig in die Hose gegangenen Revolution war. Danach sehen alle Revolutionäre reichlich bedeppert aus. Weggehen? – Wie viele kluge Köpfe hat Deutschland eigentlich mit der nach 1848 einsetzenden verstärkten Abwanderung in die USA verloren? Wer erforscht das? Wer setzt sich da gerade irgendwo auf den Hosenboden und studiert die alten Akten?

Nach den Revolutionen werden die Revolutionäre, die da bleiben – wenn auch wie bei Wagner über den Umweg Schweiz – zurechtgetrimmt, bis sie wieder irgendwie passen. Genauso, wie der kurze Überschwang der rebellischen Bürger sich ganz schnell ein neues Kleidchen sucht. In Deutschland in der Regel königstreu blau oder preußisch schwarz-rot-weiß.

Hans Mayer hat recht: Jede Wagner-Oper ist eine große Parodie auf die Flucht des wieder braven Bürgers in hochfliegende Träume und Pläne. Wagner kannte seinen Heine. Und sein “Wintermärchen” wohl auch. Mit dieser nüchternen Bilanz der deutschen Hoffnungen: Man wartet doch lieber auf den großen Retter aus dem Kyffhäuser, der alles richtet, als selbst den Hals hinzuhalten. Den von Heine erwähnten deutschen “Zukunftsduft” kannte er wohl auch.

Deswegen sind Wagner-Opern nicht auszuhalten, wenn der Regisseur ein Feigling ist und alles in biederem Ernst inszeniert. Da wird er nicht einmal Wagner gerecht.Und weil das oft nicht einmal die Zuschauer im strengen Schwarz merken, war und ist Wagner auch immer wieder missbrauchbar. Nur wer genau hinhört, merkt, dass Wagners “Begleitmusik zum Niedergang des Nazi-Reiches” vollgepackt ist mit höhnischem Hörnerschmettern. Da wird nicht der “Erbfeind” gejagt – da triumphiert ein kleiner, grilliger Komponist aus dem düpierten Sachsen über all die vom Größenwahn angehauchten Gecken aus dem bürgerlichen Salon. Wagner ist ein Kontra. Ein Springgeist – wie aus einer Geschichte E. T. A. Hoffmanns. Der auch mal kurz in Leipzig wirkte – als Kapellmeister.

Der Katalog bietet die ganze Ausstellung zum Nachblättern. Ein paar besonders schöne Stücke sind mit Bild vertreten, die ganz schönen mit ganz großem Bild. Zu jedem Ausstellungsstück gibt es eine kleine Erläuterung, damit man es einordnen kann. Es gibt auch ein Vorwort und ein Geleitwort, die auf zwei wichtige Dinge hinweisen. Erster Hinweis von Museumsdirektor Dr. Volker Rodekamp: “Das Stadtgeschichtliche Museum versteht sich als forschender Bewahrer und Vermittler der Zeugnisse der reichen Musiktradition unserer Stadt; es unterstützt vielfältige Aktivitäten der lebendigen Musikpflege in Leipzig.” Heißt auch: Es zeigt zwar Positionen, bezieht aber selbst nicht Position. Den kritischen Diskurs müssen andere führen. Hier aber ist das Material dazu ausgebreitet. Von der Wagner-Rezeption in Kaiserreich und Hitlerdeutschland bis zu Wagners zwiespältigster Schrift “Das Judenthum in der Musik”.

Zweiter Hinweis von den beiden Gestaltern der Ausstellung Kerstin Sieblist und Dr. Andreas Thüsing: Die 200 ausgestellten Exponate “lassen den Komponisten sinnlich erlebbar werden und regen zur Auseinandersetzung mit ihm an.” Wer mit dem Unruhegeist nicht zu Rande kommt, findet hier eine Menge Erklärungen und Erklärungsansätze dafür, warum das so ist. Angefangen mit dem frühen Tod von Wagners Vater, dem Polizeiaktuarius Carl Friedrich Wilhelm Wagner, wenige Wochen nach der Völkerschlacht, dem ebenfalls frühen Tod von Wagners Stiefvater Ludwig Heinrich Christian Geyer 1821 und dem frühen Wechsel zwischen Leipzig, Dresden, Leipzig. Beide Städte voller Anregungen – aber so widersprüchlich, dass es für ein ganzes Leben und einen kompletten “Ring” gereicht hat.

Auch die Exponate, die nicht abgebildet sind, werden erläutert. Das hilft bei der Einordnung. Vier Kapitel beschäftigen sich ausführlich mit der Rezeption von Wagners Werk nach dessen Tod in Venedig (der genauso typisch und symbolhaft ist wie der komplette zweite Teil von Wagners Leben, in dem der Mann zeigte, dass er auch von PR eine Ahnung hatte). Was auch Einfluss hat auf Kapitel acht: Wagners Bilderwelt – von den abgesegneten Bildern aus eigener Regie (PR) bis hin zu den Karikaturen in den Medien der Welt. Wer sich so aufs Podest schwingt, macht sich auch zur Zielscheibe von Spott und Kritik.

Eine Zeittafel ergänzt das Ganze, auch wieder schön groß gedruckt für alle, die gern auf Brille und Lupe beim Lesen verzichten.

Stadtgeschichtliches Museum (Hrsg.): thema.M16, Wagnerlust & Wagnerlast. Zum 200. Geburtstag von Richard Wagner, Leipzig 2013, ISBN: 978-3-910034-15-0

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