Diese Diskussion wird der „Sohn der Stadt Leipzig“ Richard Wagner nicht mehr los. Sie flammte zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 2013 auf. Und der Leipziger Stadtrat Thomas Kumbernuß (Die PARTEI) bringt sie in Zusammenhang mit dem Festival „Wagner 22“ wieder auf die Tagesordnung. Denn wie geht man um mit einem Komponisten, der sich derart antisemitisch exponiert hat?

Kann man diese schäbige menschliche Seite ausblenden, wenn man Wagner auf der Leipziger Opernbühne inszeniert? Gehört sie ins Rahmenprogramm so eines Festivals?

Aus der Sicht von Thomas Kumbernuß ganz selbstverständlich.

„Vom 20. Juni bis 14. Juli findet das Festival ‚Wagner 22‘ statt, in den das gesamte Bühnenwerk Richard Wagners an der Leipziger Oper aufgeführt werden soll“, stellte er in einer ersten Stadtratsanfrage zu diesem Thema fest.

„Dieses Ereignis wird flankiert mit einem üppigen Begleitprogramm, das jedoch – wie auch das Festival selbst – den Antisemitismus im Wirken und Handeln von Richard Wagner nicht thematisiert. Veranstaltungen wie ‚Richard Wagner als Linkshegelianer‘ am 22. Juni deuten eher auf eine Art moralische Reinwaschung Richard Wagners hin als auf eine kritische Aufarbeitung.“

Weshalb seine wichtigste Frage war: „Wird es im Rahmen des Festivals ‚Wagner 22‘ seitens der Stadt Leipzig oder einer seiner Eigenbetriebe (beispielsweise Oper Leipzig) Veranstaltungen geben, die den Antisemitismus Richard Wagners insbesondere in seiner Schmähschrift ‚Das Judenthum in der Musik‘ thematisieren?“

Worauf es dann eine sehr ausführliche Antwort gab. Denn auch wenn man es auf den ersten Blick nicht sieht, hat sich die Beschäftigung Leipziger Institutionen auch mit den kritischen Seiten Richard Wagners seit 2013 deutlich verstärkt. Und das sei auch in diesem Jahr erlebbar, teilt das Kulturamt der Stadt mit.

Würdigung für Gustav Brecher

Das geht schon mit „Wagner 22“ los: „Die kompletten Wagner-Festtage stehen in der Traditionslinie des jüdischstämmigen Dirigenten Gustav Brecher. Brecher war einer der zentralen Erneuerer des Musiktheaters in der Weimarer Republik und hob unter anderem Brecht/Weills ‚Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny‘ aus der Taufe.

Ein zentrales Moment der Erneuerung war die Wagner-Pflege. Zu diesem Zweck bereitete er ab 1927 erstmals Wagner-Festtage für Wagners 50. Todestag im Jahr 1933 vor. Nach der Machtergreifung [der Nazis] wurde er von den Leipzigern aus der Stadt vertrieben und kam 1940 auf der Flucht vor den Nazis ums Leben. Im Vorfeld der Wagner-Festtage wurde die Probebühne der Oper Leipzig in Gustav Brecher Probebühne umbenannt.

Am 13. Mai 2022 erfolgte die Einweihung eines Reliefs von Brecher in der Oper. Außerdem wurde jeweils mit Stolpersteinen an Brechers damaligen Wohnort in Markkleeberg und vor der Oper auf dem Augustusplatz an den jüdischen Dirigenten und seine Frau erinnert.“

Und im Mendelssohn-Haus wird Wagners Verhalten schon des Längeren thematisiert, teilt das Kulturamt mit: „Im Mendelssohn-Haus gibt es im Rahmen des Festivals ‚Wagner22‘ keine spezielle Veranstaltung zu Richard Wagner. Aber in den regelmäßigen Führungen wird die Problematik um Richard Wagner thematisiert, da Felix Mendelssohn-Bartholdy von Richard Wagner in seiner Schmähschrift ‚Das Judentum in der Musik‘ explizit genannt worden ist.

Das Verhältnis zwischen den beiden Komponisten war schon zu Lebzeiten angespannt. Dennoch war Richard Wagner in der heutigen Goldschmidtstraße 12 zu Gast – als solcher ist er ebenfalls Bestandteil der Führungen – und wurde formvollendet von Mendelssohn behandelt.

In der Ausstellung ist zudem ein Brief an Mendelssohns Enkel Felix Wach ausgestellt, in dem der stellvertretende Oberbürgermeister Rudolf Haake, der den Abriss des Mendelssohn-Denkmals 1936 veranlasst hatte, Wagner als den ‚größten Musiker und Dichter dieser Stadt, der erfreulicherweise auch scharfer Antisemit war‘ bezeichnete.

Auch an dieser Stelle wird auf die Schrift Richard Wagners ‚Das Judentum in der Musik‘ und das Verbot der Musik Mendelssohns während der Zeit des Nationalsozialismus eingegangen.“

Ausstellungen im Stadtgeschichtlichem Museum geplant

Im Stadtgeschichtlichen Museum war Wagners Verhalten schon 2013 Thema und wird das auch 2022 und 2023 wieder sein.

„Das Stadtgeschichtliche Museum hat eine lange, auch mit umfangreichen Sammlungsbeständen verbundene Geschichte mit Wagner, die im Laufe des letzten Jahrhunderts von unbefragter Verehrung (1913) über weitgehende Verdrängung (nach 1945) bis zu kritischer Neuaneignung seiner Persönlichkeit und seiner Rezeption (Ausstellung ‚Wagnerlust und Wagnerlast 2013‘) reicht. Dabei ist es dem Museumsteam völlig klar, dass eine Beschäftigung mit Wagners Werk heute die aufrichtige Auseinandersetzung mit seiner antisemitischen Schmähschrift ‚Das Judenthum in der Musik‘ (1850/68) voraussetzt. Gegenwärtig sind in diesem Feld folgende Projekte in Vorbereitung:

Ab 15.06. (bis 04.09.22) wird sich eine Studio-Ausstellung des SGM in Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig und dem Richard-Wgner-Verband erstmals systematisch mit dem Verhältnis von Mendelssohn und Wagner sowie der konträren und durch Wagner massiv belasteten Rezeption beider Leipziger Meister beschäftigen. Von diesem durch ein studentisches Team mitbetreuten Projekt erwarten wir uns einen frischen und dezidiert kritischen Blick auf dieses Thema.

Ab Januar 2023 werden wir auf der großen Sonderausstellungsfläche des SGM eine Ausstellung über die Musikstadt Leipzig in der NS-Zeit zeigen.

Dabei wird es auch um den doppelten Epochen- und Kulturbruch durch den Sturz des Mendelssohn-Denkmals 1936 und die vorherige Grundsteinlegung des Richard-Wagner-Nationaldenkmals 1934 durch Hitler persönlich gehen; zudem wird die Ausgrenzung gerade auch jüdischer Musiker vor und nach 1933 eine wichtige Rolle spielen. Zu beiden Ausstellungen wird ein umfangreiches Begleitprogramm erarbeitet.

Im Zuge der Umgestaltung des Alten Rathauses hat das SGM soeben den Wagners Werk gewidmeten Raum um eine neue und sehr eindeutige Kommentierung der antijüdischen Schrift ergänzt, die diese ganz klar als eine der Begründungen des modernen rassisch und kulturell konnotierten Antisemitismus kenntlich macht.“

Aber wie wird das im Festival „Wagner 22“ sichtbar?

Was noch nicht ganz die Frage von Thomas Kumbernuß klärte, wie innerhalb von „Wagner 22“ mit dem Antisemitismus des Komponisten umgegangen wird.

Auch darauf gab das Kulturamt eine Antwort. Aber so recht befriedigte sie den Stadtrat nicht.

Das Problem jedenfalls ist der Opernleitung durchaus bewusst, wie das Kulturamt mitteilte: „Der Antisemitismus Richard Wagners wird kritisch gesehen. Sein Antisemitismus spielt in Planungssitzungen, bei Dramaturgie Besprechungen, bei Diskussionen der Regieteams in der Oper Leipzig wegen seiner Verabscheuungswürdigkeit eine wichtige Rolle. An dieses Selbstverständnis knüpft auch die neue Intendanz an. In allen bestehenden Inszenierungen Wagner´scher Werke durch die Oper Leipzig in dieser Zeit gibt es überhaupt kein antisemitisches Element. Die Werke sind als große Menschheitsdramen tatsächlich ohne diesen Bezug konstruiert.“

„Große Menschheitsdramen“? Da wird es schon ganz schwierig. Das ist zumindest eine sehr eigensinnige Interpretation, nachdem Joachim Herz mit seinem längst klassischen Leipziger Ring gezeigt hatte, dass sich Wagners Opern „als Parabel auf seinerzeit aktuelle (…) reale gesellschaftliche Vorgänge“ (Fritz Hennenberg) interpretieren und inszenieren lassen.

Aber Thomas Kumbernuß hat noch andere Zahnschmerzen mit den Antworten. Es geht schon mit dem scheinbar harmlosen Satz los „Das Verhältnis zwischen den beiden Komponisten war schon zu Lebzeiten angespannt.“

Aber dazu kommen wir noch.

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