Erst Ernst Moritz Arndt, nun Richard Wagner. Thomas โ€žKunoโ€œ KumbernuรŸ kann es nicht lassen, die honorigen Herren aus dem 19. Jahrhundert fรผr ihren pรถbelnden Antisemitismus zur Rechenschaft zu ziehen. Oder es wenigstens zu versuchen. Denn bei der Benennung der ArndtstraรŸe hat es ja bislang nicht geklappt. Zumindest vorerst nicht. Denn seit 2020 ist das Thema in der Schwebe.

Damals beschloss der Stadtrat erst auf Antrag von Thomas KumbernuรŸ, die ArndtstraรŸe in Hannah-Arendt-StraรŸe umzubenennen. Ein halbes Jahr spรคter machte der Stadtrat nach einer Petition einen Rรผckzieher und verwies das Arndtproblem an eine noch zu grรผndende wissenschaftliche Kommission, die der AG StraรŸennamen des Stadtrates zuarbeiten sollte.

Diese beratende wissenschaftliche Kommission der AG StraรŸennamen wurde freilich erst im November 2021 aus der Taufe gehoben. Und es klang richtig hemdsรคrmelig, wie sie sich gleich die Schwergewichte Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn vorknรถpfen wollte โ€“ โ€žvoraussichtlich im Januar oder Februar des kommenden Jahresโ€œ, wie es in der Meldung der Stadt hieรŸ.

Aber augenscheinlich haben es die Doctores und Dottoressas bislang noch nicht geschafft, sich zu treffen und zu einem einvernehmlichen Urteil รผber diese โ€žkontroversen Personenโ€œ zu finden.

Und nun dieser Richard Wagner, dessen Musiktheater bis heute das Publikum in den Bann schlรคgt. Hรคtte er nicht sein vรถllig รผberflรผssiges Buch โ€žDas Judenthum in der Musikโ€œ geschrieben, seinen hรถchstpersรถnlichen Beitrag zum anschwellenden Antisemitismus im 19. Jahrhundert, man kรถnnte mit dem in Leipzig geborenen Herrn Freigedank durchaus leben.

Aber er hat es nun einmal geschrieben. Und er hat es nach 1850 (als er unter Pseudonym verรถffentlichte) 1869 noch einmal unter seinem eigenen Namen verรถffentlicht. Und da stรถรŸt dem Leipziger Stadtrat Thomas KumbernuรŸ (Die PARTEI) ein Programmpunkt im kommenden Festival besonders sauer auf.

โ€žVom 20. Juni bis 14. Juli findet das Festival โ€šWagner 22โ€˜ statt, in den das gesamte Bรผhnenwerk Richard Wagners an der Leipziger Oper aufgefรผhrt werden soll. Dieses Ereignis wird flankiert mit einem รผppigen Begleitprogramm, das jedoch โ€“ wie auch das Festival selbst โ€“ den Antisemitismus im Wirken und Handeln von Richard Wagner nicht thematisiert. Veranstaltungen wie โ€šRichard Wagner als Linkshegelianerโ€˜ am 22. Juni deuten eher auf eine Art moralische Reinwaschung Richard Wagners hin als auf eine kritische Aufarbeitungโ€œ, stellt KumbernuรŸ jetzt in einer Anfrage fest, die er an die Stadtverwaltung gerichtet hat.

Das sind seine Fragen:

Wird es im Rahmen des Festivals โ€žWagner 22โ€œ seitens der Stadt Leipzig oder einer seiner Eigenbetriebe (beispielsweise Oper Leipzig) Veranstaltungen geben, die den Antisemitismus Richard Wagners insbesondere in seiner Schmรคhschrift โ€žDas Judenthum in der Musikโ€œ thematisieren?

Wenn ja, wie und in welchem Rahmen, wenn nein, warum nicht?

Wird der Antisemitismus Richard Wagners als kritisch angesehen? Wenn ja, wird das Einfluss auf kรผnftige Auffรผhrungen in den Eigenbetrieben der Stadt Leipzig haben?

Was unternimmt die Stadt Leipzig, um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wirken und Handeln Richard Wagners zu befรถrdern?

Alles Fragen, die wieder auf die schon im Jahr 2020 gefรผhrte Debatte auf die Grundfrage zielen: Kรถnnen die โ€“ auch mit StraรŸennamen โ€“ Geehrten aus vergangenen Jahrhunderten auch heute noch fรผr ihre menschenfeindlichen Worte und Verรถffentlichungen zur Rechenschaft gezogen werden?

Sind das also ganz und gar keine historisch gewordenen Verfehlungen, sondern eben heute gรผltige MaรŸstรคbe, die auch fรผr das Verhalten von honorigen Mรคnnern in der Vergangenheit gelten? Vielleicht tut sich die historische Kommission ja deshalb so schwer, weil das eigentlich eine politische und eine moralische Debatte ist.

Denn es spricht nicht viel dafรผr, dass auch nur einer dieser Mรคnner sich jemals so รคuรŸern musste, wie er es getan hat. Auch nicht, dass weder Arndt noch Wagner wissen konnten, welche Folgen der staatlich installierte Antisemitismus einmal haben wรผrde.

Denn mit der Debatte steht die Frage im Raum, welche Verantwortung jeder โ€“ auch und gerade der Berรผhmte โ€“ fรผr die Wahl seiner Worte hat. Denn mit Worten fรคngt das Zรผndeln an. Heute wissen wir, wie solche Worte wirken und welche Folgen sie haben kรถnnen. Dass das nun bei Wagner immer mitzudenken und zu thematisieren ist, dรผrfte auf der Hand liegen.

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