Wie kriegt man den Burschen zu fassen? In den Archiven des Stadtgeschichtlichen Museums stecken zwar fast 4.000 Sammelstücke zum Stichwort Richard Wagner. Am 22. Mai wird sein 200. Geburtstag gefeiert. Und ohne Wagner-Ausstellung geht es natürlich nicht. Erst recht nicht, wenn man - wie Museumsdirektor Volker Rodekamp formuliert - "Leipzig in diesem Jahr wieder zur Richard-Wagner-Stadt machen" möchte.

Ist Wagners Geburtsstadt nämlich nicht. Woran der Bursche natürlich nicht ganz unschuldig ist. Man schreibt keine Kampfschrift gegen den beliebtesten Gewandhauskapellmeister dieser Stadt, ohne einen gut Teil der Leipziger dauerhaft zu erzürnen. Schon gar nicht unter dem Titel “Das Judenthum in der Musik”, der ja bekanntlich ein Deckmantel war – insbesondere für seine nicht überwundenen Verletzungen in Beziehung zum nur drei Jahre jüngeren Felix Mendelssohn Bartholdy, der in Leipzig schon gefeiert wurde, als der junge Richard noch seinen Weg suchte. Nachtragend konnte er sein.

Und wer genau hinschaut, findet natürlich in der Ausstellung, die im Ausstellungs-Kubus des Stadtgeschichtlichen Museums im Böttchergässchen 3 am heutigen Dienstag, 12. März, eröffnet wird, diesen zeitlebens schwankenden, emotional springenden Wagner. Der ein Leipziger Wagner ist. Was das Kapitel 1 in dieser Ausstellung “Wagnerlust & Wagnerlast” ist, die eine Geburtstagsausstellung ist. Sieben Mal ist 22. Mai, quer durch 200 Jahre. Damit soll auch gezeigt werden, wie Wagners Werk weiter lebte, missbraucht oder gefeiert wurde.Die Rezeption wechselte so abrupt wie die Regime. Wagner changiert durch die Jahrzehnte immer zwischen Extremen – mal als staatstragend gefeiert, mal als romantisch pompöses, rückwärtsgewandtes Ideal verdammt. Selten, dass man den Revolutionär sehen wollte. Das passte erstaunlicherweise nie, weder unter braun noch rot noch schwarz-rot-gold. Der Grund ist simpel: Wagner ist als Revolutionär genauso unvollkommen wie sämtliche deutschen Revolutionen. Angefangen mit der von 1848/1849, an der Wagner als Dresdner Kapellmeister beteiligt war. Nicht brav hinter der Gardine, sondern als emsiger Beobachter für die revolutionierenden Bürger oben auf dem Kirchturm.

Ergebnis: Die schöne Stellung als Kapellmeister war futsch, Wagner flüchtete samt Flügel in die Schweiz und wurde noch Jahre lang steckbrieflich gesucht. Ein entfleuchter Untertan. Das ist der zweite Geburtstag, den die Ausstellung zeigt: 1849.

Der dritte Geburtstag zeigt Wagner 1872 wie ausgewechselt: Jetzt ist ein König sein dickster Freund – Ludwig II. von Bayern, der ihm nicht nur seine schöne Villa Wahnfried und ein endlich auskömmliches Leben (Tarif: West) ermöglichte, sondern auch die Verwirklichung seines Traums – den des Festspielhauses aller Deutschen, in dem nur Wagner-Stücke aufgeführt werden sollten. Beides verstand Wagner als revolutionär – die Festspielbühne und seine Opern. Heute gehört das Festspielhaus auf dem grünen Hügel in Bayreuth Sommer für Sommer der Schickeria und Prominenz aus deutschen Landen. Revolutionär ist da vielleicht noch mancher Inszenierungsversuch – das Publikum ist es aufgrund der umkämpften Kartenkontingente schon lange nicht mehr.
Den vierten Geburtstag – den Wagner nicht mehr erlebte – wollten die Leipziger 1913 ganz besonders feiern: Sie legten mit großem Zeremoniell am Matthäikirchhof den Grundstein für ein Wagner-Denkmal. Schaffen sollte es Max Klinger. Den Sockel hat er geschafft. Der wurde 2010 endlich da aufgestellt, wo er schon 90 Jahre früher stehen sollte. Die Marmorstatue des krummbeinigen Wagners (die Beine versteckte Klinger unter einem wallenden Mantel) hat Klinger nur entworfen. Er hat sie nicht mehr realisieren können. Und die jüngeren Generationen hatten nicht den Mumm, diese Statue in italienischem Marmor ausführen zu lassen. Das wäre ein schönes Denkmal geworden, für das sich die Leipziger nicht hätten schämen müssen.Was sie am 22. Mai 2013 bekommen werden, ist die Wagner-Statue von Stephan Balkenhol, die den jungen (Leipziger) Wagner zeigt, bunt angemalt, überragt von einem schwarzen Schatten. Bedeutungsschwanger und besserwissend. Typisch deutsch. Manche werden dann zwar von einer Vollendung dieses Denkmals reden. Aber die Wahrheit ist: Klinger würde sich im Grab umdrehen. Zwischen seinem Sockel und dem geplanten Aufbau liegen Welten. Auch künstlerische.

Auch den 5. in der Ausstellung bedachten Geburtstag wollten die Leipziger groß feiern: 1938. Schon 1932 hatte es einen Wettbewerb um ein neues, richtig großes Wagner-Denkmal gegeben. Den gewann der Bildhauer Emil Hipp, der die folgenden 13 Jahre damit beschäftigt war, die gewaltigen Skulpturen und Reliefs für dieses Denkmal im geplanten Wagner-Hain zu schaffen. Nach seiner Machtübernahme ernannte ein Herr Hitler das geplante Denkmal kurzerhand zum Nationaldenkmal, ließ sich zur Grundsteinlegung in Leipzig feiern und zettelte dann den Krieg an, der seinem Reich und dem Wagner-Nationaldenkmal den Garaus machte.Nach 1945 wollte in Leipzig niemand mehr dieses Denkmal, es war vorbelastet, auch wenn Emil Hipp wohl eine der romantischsten Adaptionen zu Wagners Opernwelt geschaffen hatte. Die fertigen Denkmalteile wurden in alle Winde zerstreut.

Als 6. Geburtstagsdatum wählten die Ausstellungsgestalter um Kerstin Sieblist den 22. Mai 1988. Da zeigte sogar das Fernsehen DDR I das Festkonzert zum Wagner-Geburtstag. Zuvor hatte der begnadete Regisseur Joachim Herz Wagner in Leipzig so großartig inszeniert, wie vor ihm noch keiner. Er hatte, bevor er loslegte, einen klugen Mann gefragt, wie man Wagner überhaupt noch inszenieren könnte nach dem Nationalpomp im Kaiserreich und im Reich des größenwahnsinnigen Gefreiten. Er hatte Hans Mayer gefragt. Der war selbst gerade in Leipzig zur Unperson geworden, die Staatsträger hatten ihn von der Uni Leipzig in den Westen vergrault. Wie sie das mit den richtigen Kommunisten im Land gerne taten.

Richtige Kommunisten sind Leute, die lesen können und Dialektik nicht als Entweder / Oder begreifen. Brecht war so einer. Und Hans Mayer war ein ausgewiesener Wagner-Experte. Heißt: Er hatte ihn gesehen, gelesen und den doppelten Boden erkannt. Hinter dem ganzen romantischen Bühnenklamauk steckt eine der saftigsten Analysen des bürgerlichen Geistes. Der “Ring des Nibelungen” ist – na hoppla – “ein bürgerliches Parabelspiel”. Wer nachlesen will, wie sich die Herz’sche Wagner-Rezeption in die 300jährige Leipziger Operngeschichte einordnet, dem sei Fritz Hennenbergs “Geschichte der Leipziger Oper” empfohlen.Herz inszenierte Wagner eben nicht mit dem Zeigefinger, sondern als komödiantische Parabel. Die Zuschauer durften, wenn man ihren Erinnerungen traut, Spaß haben bei diesem ernsten Ring. Und sie hatten ihn. Das steht bis heute. Vielleicht hätte Wagner seinen Leipzigern verziehen, wenn er das noch hätte erleben dürfen.

Die Leipziger haben ihren letzten Opernintendanten nicht verziehen, dass sie daran nie wieder angeknüpft haben. Sie hatten leider allesamt nicht das Herz’sche Format – und fanden wohl auch keinen Regisseur, der es gehabt hätte.

Deswegen ist das Jahr 2013 – das in der Ausstellung auch mit dem 7. Geburtstags-Bild gewürdigt wird, ein Stück Hoffnung, dass Regisseure wieder lernen zu denken, zu lesen und zu sehen. Dass sie wieder aufhören, das Publikum für deppert und ungebildet zu halten. Und das gilt nicht nur für die eine oder andere vergangene Operninszenierung.

Die Ausstellung jedenfalls regt zum Hinterfragen an. Das geht gleich beim Betreten der Ausstellung los, wo eine Wagner-Büste den Besucher empfängt, angefertigt vom Leipziger Bildhauer Tobias Rost – aus Kautschuk. Ein hohler Wagner-Kopf, den man durch eifriges Treten einer Luftpumpe aufblasen kann. Oder muss. Ein Sinnbild für die Mühe, mit Wagner in Leipzig umzugehen. Ein schönes Sinnbild, das bergeweise Assoziationen in sich birgt.

Linkerhand empfängt eine Sitzgruppe die Besucher. Hier können sie eine Klangdusche nehmen. In Wagner-Musik natürlich. Und dann haben sie gleich die Wahl. Links beginnt die Reise durch 200 Jahre Wagner, rechts empfängt eine Wand voller Wagner-Porträts aus dem Fundus. “Wagner satt”, sagt Kerstin Sieblist. Für alle, die von Wagner nie genug bekommen können.

Den Raum selbst dominiert eine Wagnerrequisite aus dem “Lohengrin” – ein leuchtender Schwan. Und wer ganz am Ende unterm Geburtsdatum 22. Mai 2013 schaut, sieht, wie nah uns das kitschige 19. Jahrhundert noch immer ist. Da stehen ein paar ganz neue Wagner-Nippes für Sammler und Schenker. Wagner in 3D oder als Zeitanzeiger. Was die Sache mit dem doppelten Boden wieder aufgreift: Wie kann sich einer, der die bürgerliche Weltvorstellung derart bombastisch inszeniert und karikiert, dagegen wehren, selbst inszeniert und karikiert zu werden?

Wohl gar nicht.

Die Ausstellung “Wagnerlust & Wagnerlast” wird im Böttchergässchen 3 am 12. März um 18 Uhr offiziell eröffnet. Zu sehen sein wird sie bis zum 26. Mai.

www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de

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