Es gibt eine Menge Leute, die Angst haben vor Veränderungen. Sie wettern dagegen, verdammen, nutzen dicke Ausrufezeichen. Das ist im politischen Leben genauso wie in der Technik, der Wissenschaft oder - der Lyrik. Nicht jede Revolution wird bemerkt. Manche wird so schnell unterdrückt, dass sie sich klammheimlich in eine Transformation verwandelt. Am Ende hat sich die Welt verändert. Nur die Pioniere liegen begraben unter der Erde. Auch wenn's ein Ehrengrab ist wie bei Arno Holz.

1929 starb er in Berlin. Die Stadt machte ihn auch zum Ehrenbürger. Dass er ab 1898 die deutsche Lyrik modernisierte, ist fast vergessen, genauso wie der Dichterkreis, den er um sich scharte, der eigentlich eine Schreibwerkstatt auf Spitzenniveau war. Was auch daran liegt, dass die Dichter, die die neue Lyriksprache mitentwickelten, gleich mit Veröffentlichung ihrer Gedichte 1899 ins Visier des deutschen Feuilletons und seiner Granden gerieten, die die neuen Gedichtbände verhöhnten, niedermachten, abstempelten, als gelte es eine Dichterhalle gegen feindliche Angreifer zu verteidigen.

Die Männer hießen Robert Reß, Georg Stolzenberg, Rolf Wolfgang Martens, Paul Victor und Ludwig Reinhard. Letzteres ein Pseudonym des Buchhändlergehilfen Reinhard Piper, der 1904 seinen eigenen Verlag gründete, den er mit einem Arno-Holz-Titel eröffnete, – den bis heute berühmten Piper-Verlag. Alles Namen, die in der deutschen Lyrik-Geschichte keinen Platz haben, obwohl der angefeindete Arno Holz es zumindest geschafft hat. 1899 veröffentlichten Martens, Reß, Reinhard und Stolzenberg ihre Gedichte in eigenen, anspruchsvoll gemachten Bänden bei Johann Sassenbach in Berlin. Mit ehrfurchtsvoller Danksagung an Arno Holz.Der in Altona lebende Literaturwissenschaftler Robert Wohlleben hat alle diese veröffentlichten Lyriksammlungen in diesem Buch zusammengefasst, etwas platzsparender. In den Ursprungsausgaben stand nur jeweils eines der zumeist kurzen Gedichte auf einer Seite. Und Wohlleben hat natürlich recht, wenn er schreibt, dass diese Texte so wirken, als wären sie heute geschrieben. Es ist der Ton unserer Zeit, schnippisch zuweilen skeptisch, reduziert auf das Wesentliche. Man kann sich kaum noch vorstellen, mit welcher Wucht das Feuilleton der Kaiserzeit über diese Gedichte und ihre Dichter herfiel.

Erst recht nicht, wenn man heute so manche Erinnerungselogen an die “Gründerzeit” liest, mit der in der Regel die Zeit des Wilhelminischen Kaiserreiches gemeint ist, in der Deutschland den Aufstieg zur modernen Industrienation schaffte. Dass das 1914 in den ersten wilden Weltkrieg führte, hat auch damit zu tun, dass der geistige Überbau dieses Landes um Jahrzehnte hinter der Entwicklung hinterher hinkte. Das Land hatte sich radikal modernisiert – das offiziöse Denken war im Biedermeier stecken geblieben. Der offiziöse Literaturgeschmack war klassisch, bieder, spätromantisch und verschämt. Eine verlogene Welt des nationalen Pathos und der blümeranten Innerlichkeit.

Was aber Arno Holz mit seinen Schülern anpackte, war die Suche nach einer adäquaten Sprache für die Lyrik der Zeit. Er nahm seine “Schüler” mit auf Exkursion in das rumorende Berlin, in die Welt der Hinterhöfe, Müllhalden, des tristen Gewerbes, der S-Bahnen, der Feste und langweiligen Empfänge. Und er quälte sie, war so streng, dass es Mancher auch nicht aushielt, denn er strebte eine Entschlackung der bombastischen Gedichtsprache an, die bis heute die deutschen Dichteralben füllt. Er strich in den Texten herum, mahnte zur Vereinfachung und zum skeptischen, unbeteiligten Blick. Schluss mit dem Dichter als überdrehtem Hymniker. Hinschauen, das Wesentliche herausfiltern. Und dann in wenigen, schnörkellosen Zeilen zu Papier bringen.

Das Ergebnis liest sich wie Manches von Bertolt Brecht, von Claire Goll, von Erich Fried. Arno Holz hat Recht gehabt. So fanden er und seine Schüler den Ton für das neue Zeitalter von Industrie, Technik, Geschäftigkeit. Mancher Text liest sich wie eine Glosse auf die neue Welt der Angestellten und zur Karriere Verdammten. Viele Texte aber beschäftigen sich auch mit Liebe, Verlust, den verstörenden Erfahrungen mit Partnerschaften, mit Armut, Krankheit, Flucht und dem Bewusstwerden der Vergänglichkeit. Etliche Themen tauchen in den Sammlungen immer wieder auf, erzählen davon, wie sich die Männer intensiv mit den von Holz gesetzten oder selbst ausgewählten Themen beschäftigten.Natürlich irritiert der Buchtitel, der auf den von Stolzenberg flapsig gewählten Namen für das Schreibprojekt “Regiment Sassenbach” zurückgeht – Sassenbach nach dem gemeinsamen Verlag, in dem die Gedichtbände erschienen. Und befehlen ließen sich die eigentlich erwachsenen Männer von Holz auch nichts – im Gegenteil: Sie waren begeistert und arbeiteten intensiv in der Dachwerkstatt. Sie fühlten sich nicht – wie später die Adepten von Stefan George – als “Jünger”. So wenig wie sich Holz als Prophet betrachtete.

Und dass sie von der völlig das Eigentliche verfehlenden Kritik zutiefst verletzt waren, zeigt eigentlich das Verstummen der Gruppe. Die Zeit der literarischen Revolutionen in Deutschland war noch nicht gekommen. In einem ausführlichen Essay geht Wohlleben auf die Entstehung der Gedichtbände und die Folgen ein. Auch auf die bis in jüngere Zeit fortdauernde seltsame Verachtung deutscher Literaturpäpste für die ungebundene Form. Was auch die Fortschreibungen der über 100 Jahre alten Etikettierungen der fünf hier gewürdigten Dichter betrifft. Einer schreibt vom anderen ab, Naserümpfen wird zu Kopistenstolz.

Dabei gehören viele dieser scheinbar so schmucklosen Texte zum Dichtesten und Schönsten, was seit anno 1870 in Deutschland an Lyrik geschrieben wurde. Manches würde durchaus auch in Schulbücher gehören, wenn Kinder ein Gefühl dafür bekommen sollen, was ein Gedicht sein kann. Es geht dabei nicht um die Form. Es geht immer um Inhalt und die verdichtete, ins Erkennbare geschärfte Sprache.

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Antreten zum Dichten
Robert Wohlleben, Reinecke & Voß Verlag 2013, 13,00 Euro

Was zurecht an Brecht erinnern darf, der wohl das, was Holz von sich und seinen “Schülern” verlangte, am genauesten begriff. Denn nur wer genau hinschaut und seine Verse so lange reduziert, bis die ganze romantische Schlacke weg ist, der schafft es, auch genau zu sein. Was nicht heißt, das es in dieser Sammlung nicht reihenweise lyrische Texte gibt, die auch davon erzählen, wie ruhig das Wilhelminische Berlin noch war – verglichen mit unserer verlärmten Zeit.

Gewidmet hat Wohlleben die Auswahl natürlich Arno Holz, der am 26. April 150 Jahre alt geworden wäre.

www.reinecke-voss.de

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