Das Jahr 2013 ist gerade dabei zu zeigen, was alles an Überraschungen in ihm steckt - da ist schon 2014. Die ersten Kalender sind da. Wer also Geschenke sucht - vielleicht auch für sich selbst, bekommt die erste Gelegenheit. Und wenn es nach dem St. Benno Verlag geht, ist 2014 wieder Bach-Jahr. Braucht es dafür einen Anlass? Bei Bach eigentlich nie.

Der Kalender ist wieder ein multimedialer, wie das so schön heißt: zwölf Monatsblätter mit großen Aufnahmen von Wirkungsstätten von Johann Sebastian Bach. Kombiniert mit kleineren Abbildungen von Instrumenten aus seiner Zeit oder – wie im November – mit der Stiftungsurkunde für das Kloster St. Thomas. Die Rückseiten sind mit weiteren Bilder gespickt, mit den Hintergrundgeschichten zu den Lebensstationen und zur Bach-Musik. Kleine Zitate berühmter Leute erinnern daran, was Bach alles war und ist, einige davon von seiner Majestät, dem König der Musik, persönlich. Der eigentlich – bei allen Widrigkeiten mit der Obrigkeit – immer nur eines wollte: Gottes Gegenwart in seiner Musik vergegenwärtigen.

Und das tat er bekanntlich revolutionär. Er versuchte nicht, einfach die Bibel in Noten zu setzen. Er fing die ganze Welt ein in seiner Musik, die leisen und bangen, die jubilierenden und jauchzenden Töne. Man kann die Worte weglassen und es ist doch alles da, die Wehmut, die Klage, die Lebensfreude. Und daran haben alle musikalischen Moden nach ihm nichts geändert. Die Reise beginnt in Eisenach mit der Burg und der Toccata und Fuge in d-Moll, eingespielt von Hansjürgen Scholl auf der Orgel. Nur welche Orgel, das verrät das Heftchen nicht. 9:37 Minuten Januar, 9:37 Minuten Kindheit in Eisenach.

Auch der Februar widmet sich der Eisenacher Kindheit – zeigt aber, wie fröhlich so etwas sein kann mit dem Alegro assai aus dem Violin-Konzert Nr. 2. Von Kolja Blacher gespielt. Alles ist offen, alles ist möglich. Der Bach, der dazu passt, ist im März zu sehen in Arnstadt: die von Bernd Göbel geschaffene Skulptur des jungen Bach – ohne Perücke und Mantel. Vom Vater gelobt: “In Arnstadt zeigte er die ersten Früchte seines Fleißes …” Was wichtig ist, zu bemerken in unseren genialen Zeiten: Wirklich reif wird ein Talent nur, wenn es sich mit Fleiß verbindet. Der schnelle 5-Minuten-Ruhm, den Andy Warhol jüngst erst versprach, ist so flüchtig wie Wasser in der Sonne.
Ein so schön unkonventionelles Denkmal findet man seit 2009 auch in Mühlhausen, auch eine der Wirkungsstätten des jungen Johann Sebastian, auch hier seine Hakeleien mit der Obrigkeit. Das war nicht nur mit der Leipziger Obrigkeit ein Problem, die mit dem genialen Musikus nicht wirklich generös umgehen konnte. Das können Obrigkeiten nie. Meist merken sie gar nicht, mit wem sie es tatsächlich zu tun haben. Und wenn sie schon einen berühmten Mann im Amt haben wollen, dann soll er sich trotzdem fügen. Das Thomaskantorat wurde ja nicht geschaffen, damit einer nun ausgerechnet in Leipzig einen Ozean an Musik erzeugt.

Aber in Leipzig konnte er das, da hatte er genug Klangraum. In Mühlhausen wäre das auch Bach nicht gelungen. Aber das nehmen im die Mühlhausener nicht krumm. Auch sie holten sich – wie die Arnstädter – einen Hallenser Bildhauer, damit er ihnen eine andere, nicht so abgehobene Bach-Statue macht. Aber nicht Göbel, sondern Klaus Friedrich Messerschmidt. Der hat ihnen einen Sebastian gemacht, der gerade vor seinem Sockel steht und die Leute zu fragen scheint: Soll ich da rauf?

Da ist es Mai im Kalender und es gibt das Magnificat anime mea, gesungen von der Oxford Schola Cantorum. Weimar und Weißenfels sind die nächsten Stationen – in Weimar war der junge Mann Kammer- und Hoforganist, in Weißenfels Hofkapellmeister. Hier lernte er auch seine zweite Frau kennen – Anna Magdalena Wilcke, für die er dann sein geniales “Clavier-Büchlein” schrieb. Kurz zuvor war ihm freilich seine Maria Barbara gestorben, erst 35 Jahre alt. Freud und Leid lagen in seinem Leben immer dicht beieinander. Auch das kann man ja hören. Deswegen ist der Weißenfelser Juli wieder etwas nachdenklicher mit einem Stück aus der “Kunst der Fuge”, von Wolgang Rübsam auf der Orgel gespielt.

Wenig später – Köthen – hätte alles schon seine Vollendung finden können. In Köthen fühlte sich der junge Hofkapellmeister wohl. Mehr war ja eigentlich in dieser Zeit der vielen Fürsten und Residenzen nicht zu erreichen. Wenn denn die Fürsten am Leben blieben und ihre Nachfolger auch den selben Kunstsinn hatten. Haben sie meisten nicht. Auch heute nicht. Auf einen Geistreichen folgen in der Regel drei Amtsschimmel und fünf Griesgrame. Die nur in die Kirche gehen, wenn sie mit Orden behängt in der ersten Reihe sitzen dürfen, weil sie wichtig sind.
An solchen Leuten ist Bach immer zu Weißglut aufgelaufen. In Leipzig aber fand er unter sieben Amtsschimmeln zwei, drei aufgeweckte Leute, die ihn so haben wollten, wie er war. Das hat zuallererst Leipzig gut getan. Und das musste dann – als Bach tot war – auch ein Mozart den Leipzigern erst wieder sagen. Die hatten ja Bach bekanntlich in die Rumpelkammer gesteckt, weil sie wie wild auf Neues waren. “Bach ist der Vater, wir sind die Buben …”, wird Mozart im Oktober zitiert. Und was gibt’s dazu? – Natürlich sein Bekenntnis. Nicht zu Leipzig. Das hätten sich die Leipziger ja gern gewünscht. Aber solche Kerle wie Bach haben immer sechs Nummern größer gedacht: “Gott soll allein mein Herze haben”. Gesungen von Marianne Beate Kielland.

Nur im November wird’s ein bisschen katholisch, singt der Dresdner Kammerchor das “Cum Sancto Spiritu” aus der h-Moll-Messe (während auf dem Kalenderblatt die Thomaner singen). Aber einen Wunsch hatte Bach ja immer noch offen: Er wollte Hofkapellmeister des sächsischen Kurfürsten werden. Und der war nun einmal – wegen seiner Ambitionen im katholischen Polen – katholisch. Anders als seine Landeskinder, die bis heute überzeugte Protestanten, Protestler und Protestierer sind.

Im Dezember gibt es dann freilich nicht die “Goldberg-Variationen”, obwohl sie eigentlich hier als Zitat seines Alterswerks auftauchen müssten. Die gab es dafür schon im August, beim Kalender-Abstecher nach Köthen. Jetzt darf der Betrachter die Thomaskirche betrachten und dazu aus dem Weihnachtsoratorium “Herrscher des Himmels, erhöre mein Lallen” hören. Und danach ist man wieder von Bach berauscht. “Musik für die Seele” heißt das Ganze.

Johann Sebastian Bach “Musik für die Seele”, Kalender mit CD, St. Benno Verlag, Leipzig 2013, 19,95 Euro.

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