Sie sind eine der bekanntesten Quellen zur Schlacht bei Leipzig: die "Deutschen Blätter". Die erste Ausgabe erschien am 14. Oktober 1813, herausgegeben von Friedrich Arnold Brockhaus, damals noch in Altenburg ansässig. Ein kleiner Glücksfall: Denn hier hatten die Alliierten vor der großen Schlachterei bei Leipzig ihr Hauptquartier. Und der clevere Verleger nutzte die Chance: Er ließ sich sogar befehlen, die "Deutschen Blätter" herauszugeben.

Es ist erstaunlich, dass noch kein Verlag, kein Autor, kein Historiker auf die Idee gekommen ist, die Lebensgeschichte dieses umtriebigen Verlegers als große populäre Biografie zu produzieren. Der Mann war das, was man einen richtigen Unternehmer nennt – bereit, Kopf und Kragen zu riskieren für das, was er für eine gute Geschäftsidee hielt. Und dabei auch zu scheitern – wie 1804, als er sich mit dem Handel englischer Manufakturwaren verspekulierte, wie 1806, als Napoleons Kontinentalsperre sein Geschäft beendete, wie 1807, 1808, als zwei seiner holländischen Zeitungsprojekte scheiterten.

Mal unter uns: So ein Mann würde in der bräsigen Bundesrepublik des Jahres 2013 nicht wieder auf die Beine kommen. Er würde “Hartz IV” bekommen und als 1-Euro-Jobber Laub sammeln dürfen.

Und niemand würde ihm 1.800 Taler geben, um ein altes Leipziger Conversationslexikon aufzukaufen. 1808 war das, auf der Leipziger Buchmesse. Nicht zu reden von jenem kleinen Geniestreich, mit dem er im Oktober dem Alliierten-Oberkommando in Altenburg die Order abluchste, seine “Deutschen Blätter” drücken zu dürfen, ja zu sollen, die sich binnen weniger Tage zum wichtigsten Veröffentlichungsmedium der Alliierten und ihrer Feldzüge entwickelten.

Gleich unter dem gleich mal mit abgedruckten “Befehl” des Chefkommandierenden Schwarzenberg und einer kleinen Vorrede ging es los mit Berichten aus einem Feldzug, der seinerzeit eben nicht live im Fernsehen zu verfolgen war. Die Meldungen aus den einzelnen Armeen gingen mit Reiterpost auf den Weg. Aber am 14. Oktober konnte Brockhaus eben auch melden, dass die Bayern am 11. den Rheinbund verlassen hatten. Ein Bulletin aus dem Hauptquartier der schwedischen Armee vom 4. Oktober hatte er auch zur Hand. Bernadotte war schon in Dessau. Aus drei Himmelsrichtungen zogen die Alliierten die Schlinge um Napoleons Hauptarmee zu. Blücher hatte gerade das Gefecht bei Wartenburg gewonnen. Die russische Armee überquerte gerade die Elbe bei Aken.Brockhaus berichtete geradeso, als wäre Papier nichts anderes, als es heute das Internet ist: Raus mit der Nachricht. Die Leute sollen wissen, was um sie herum geschieht und was sich zusammenbraut. Und auch: Warum? – Am 17. Oktober – da schwiegen um Leipzig die Kanonen – erzählte er den Lesern der “Deutschen Blätter”, was denn eigentlich der Rheinische Bund gewesen war. Den es faktisch nicht mehr gab, auch wenn Sachsen und Württemberger noch bei den napoleonischen Truppen aushielten.

Und weil die Betroffenen in und um Leipzig bis zum Abzug der napoleonischen Armee am 19. Oktober nicht wirklich wussten, was der gewaltigen Schlacht voraus ging, lieferte er in späteren Ausgaben der “Deutschen Blätter” auch das nach – am 31. Oktober zum Beispiel die ganze Entwicklung von Napoleons Russlandfeldzug über die monatelange Feilscherei um die neue Allianz – was er übrigens mit einer Eleganz tut, die geradezu beeindruckend ist. Es sind nur Nuancen, in denen er durchblicken lässt, für wie quälend er das Geschacher der Fürsten eigentlich hielt. Nur vergrätzen wollte er die Fürsten auch nicht. Das Zwischen-den-Zeilen-Verstecken hat in Deutschland eine lange und ruhmreiche Tradition. Es ging Brockhaus wohl wie so vielen anderen, für die das wilde Drauflosschlagen eines Blücher wohl wirklich wie eine Erlösung kam.

“Völkerschlacht und Deutsche Blätter” überschreibt Jürgen Weiß seinen kleinen Ausflug in dieses Jahr 1813, nachdem eine ganze Reihe von Seiten mit diversen Faksimiles aus den “Deutschen Blättern” bestückt wurde. Aber man merkt schnell: Es geht Weiß um mehr als nur um die historische Begegnung zweier der wichtigsten Leipziger Verleger-Persönlichkeiten – F. A. Brockhaus, der noch bis 1817 (wegen diverser Leipziger Schulden) in Altenburg blieb und Benedictus Gotthelf Teubner, der sich in Leipzig gerade als Drucker etabliert hatte und gleich nach der Schlacht auch von Brockhaus den Auftrag zum Drucken der “Deutschen Blätter” bekam. Seine Druckerei hatte er im Alten Amtshof in Reichels Garten. Das ist das Gelände, das wenige Jahrzehnte später Carl Heine aufschütten und in Bauland verwandeln ließ.

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Deutsche Blätter, Oktober 1813
Jürgen Weiß, Edition am Gutenbergplatz Leipzig, 19,50 Euro

Teubner war es auch, der wenig später seine zweite Druckerei gründete, die praktisch nur Aufträge für Brockhaus ausführte und im Grunde die Keimzelle der Brockhaus-Druckerei war. Ein paar Jahre später würden diese beiden Unternehmer auf der Ostseite der Stadt ihre neuen, größeren Verlagsanstalten bauen, bis zu den Bombennächten 1944/1945 repräsentativ für das Berühmteste vom Berühmten der Leipziger Verlagslandschaft. Eine Geschichte, die natürlich nicht zu Ende erzählt wäre, wenn man die Restitution nach 1990 nicht noch erzählte und – dann schon in kleinerer Schrift – den Verkauf von B. G. Teubner an Bertelsmann 1999 und den Verkauf von F. A. Brockhaus an Bertelsmann 2008. Was für beide Verlage das Ende bedeutete.

Jürgen Weiß hat das aber wirklich lieber als kleingedruckten Nachtrag belassen, sonst wäre das Buch, das eigentlich ein kleiner historischer Ausflug werden sollte, eine bittere Streitschrift geworden über heutige Unternehmerkulturen und den Umgang mit einer über fast zwei Jahrhunderte gewachsenen Reputation.

Aber wer braucht heute noch Reputation?

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