Es scheint in der Luft zu liegen. Vielleicht sind auch die wachsenden Stapel von Mystery- und Verschwörungs-Romanen in den Buchläden dran schuld. Die sich ja nicht verkaufen würden, wenn es nicht eine hungrige Leserschaft gäbe, die geradezu fiebert nach immer neuen Codes, Geheimbünden und finsteren Machenschaften, gern auch im religiösen Gewand und mit biblischer Botschaft.

Den großen Kirchen laufen zwar die Mitglieder davon, erst recht dann, wenn die erwählten Hirten mit frappierender Ignoranz in den alten biblischen Todsünden schwelgen, aber nicht einmal zu begreifen scheinen, dass sie es tun. Auch nicht begreifen, dass ihre Gemeindemitglieder sie an den moralischen Maßstäben des von ihnen verkündeten Glaubens messen.

Irgendetwas gärt da in den westlichen Gesellschaften. Denn wohin wendet sich der Mensch, wenn die alten moralischen Instanzen versagen? Sekten und Kulte sprießen allerorten aus dem Boden, die Heilserwartung richtet sich an immer neue “Erlösergestalten”. Die sich selbst nur allzubald als fehlbar und korrupt erweisen.

Und dann auch noch diese lodernden Zeichen am Horizont und in den Medien: Tsunamis, Orkane, Überschwemmungen, Dürren, Brände, Vulkanausbrüche. Der Klimawandel sowieso in seiner sich da und dort schon ankündigenden Gewalt. Stoff genug für jeden, der in der Welt göttliche Zeichen, Botschaften und Warnungen sehen will, das Schlimmste zu mutmaßen. – Sylke Tannhäusers neuester Krimi ist nicht der erste aus dem sächsischen Krimireigen, der einen augenscheinlich religiös motivierten Fall in den Mittelpunkt stellt. Frank Kreisler und Cornelia Lotter haben gerade ganz ähnlich motivierte Krimis vorgelegt. Vielleicht hat es auch mit diesem seltsamen Sachsen zu tun, in dem sich so Mancher, der die Herausforderungen der Zeit scheut, in christliches Pathos flüchtet.

Jedenfalls braucht es nicht lange, bis die Ermittler um die junge Kommissarin Uta Trettau merken, dass sie es mit einem religiös motivierten Täter zu tun haben. Die mit Blut in den Rücken des Opfers tätowierte “7” ist unübersehbar. In der Leipziger Polizeidirektion ist Not am Mann, eigentlich wäre dies ein Fall des eitlen Oberkommissars Pallauer gewesen, doch der bringt es fertig, auf dem Polizeiflur so schwer zu stürzen, dass er in die Notaufnahme muss. Kommissar Heinrich Heine, genannt Henne, ist eigentlich krank geschrieben, nachdem er sich in seinem Diensteifer einen Herzinfarkt eingefangen hat. Aber da hilft auch freundliches Zureden nicht. Der Mann kann nicht brav zu Hause sitzen, vergisst auch lieber seine Medikamente und vor allem sein Mobiltelefon, wenn er eine Spur und ein Motiv wittert.

Was auch in diesem Fall beinahe schief geht. Mit ihrem dunkelhäutigen Kommissar hat Sylke Tannhäuser einen Burschen erschaffen, den wahrscheinlich jeder vernünftige Polizeipräsident schweren Herzens aber allerschleunigst vom Dienst suspendieren würde. Nicht weil er so arbeitseifrig ist, sondern weil er die simpelsten Regeln der eigenen Sicherheit (und damit auch der seiner Kollegen) missachtet. Das erhöht zwar die Spannung im Buch, zumindest jene Spannung, die man so gern als “filmreif” bezeichnet. Man sieht ihn als Leser regelrecht drauflosjagen, erfährt, dass er sein Telefon vergessen hat, aber auch keinem Kollegen Bescheid gesagt hat, und – schnapp – geht die Falle zu und der Kommissar ist selber das neu auserkorene Opfer des Kriminellen, der in diesem Buch sein Unwesen treibt.Hübsch verzwickt wird das Ganze auch noch, weil das Opfer just bei einem berühmten Leipziger Unternehmen namens Terraworld beschäftigt war, dass gerade selbst in einem Schlamassel steckt, bei dem es um Buchungstricks und Steuerprobleme geht. Ist eben Leipzig. Und die Frage taucht natürlich auf: Hat das miteinander zu tun? Oder spielen da auch jene Herren eine Rolle, die nun auf einmal in der Nacht anfangen, einen Haufen Versicherungspolicen zu “korrigieren”?

Und welche Rolle spielen nun die Freimaurer? – Wenn eine Leipziger Krimi-Autorin die möglichen Motive für ihre kriminellen Helden sucht, hat sie in Leipzig ein schier unerschöpfliches Reservoir zur Verfügung. Wobei alle Erfahrung mit der realen Kriminalität eher darauf hindeutet, dass den meisten Leipziger Morden und Totschlägen die üblichen, zumeist materiellen und psychologischen Motive zugrunde liegen. Das ist dann ein Thema für die Autoren: Welche Art Krimi “geht” denn derzeit?

Der ruhige, gesellschaftskritische Krimi mit einem eher besorgten und sensiblen Ermittler-Team? Oder der auf Action und Geschwindigkeit austarierte Krimi, der auch gern mal in die ganz tiefe psychologische Motiv-Kiste greift? Letzterer ja sehr filmreif und TV-kompatibel. Das liest sich weg, keine Frage. Und es erzählt vielleicht auch auf seine Weise von den gerade virulenten Ängsten der Zeit – auch den Ängsten vor wieder zunehmendem Obskurantismus und religiösem Fanatismus, zu dem all die Dan Browns, Thomas Giffords und wie sie alle noch heißen eifrigst beigetragen haben. Was ja auch nur funktionieren kann, wenn die Ängste nicht auch von Medien und Politik genährt werden.

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Leipziger Ende
Sylke Tannhäuser, Emons Verlag 2013, 9,90 Euro

Menschliche Gesellschaften sind erstaunlich beeinflussbar, wenn man weiß, wie es geht.

Der Punkt, an dem Kommissar Heine die eigentlich brisante Motivation dieses Falles zu packen bekommt, ist dann freilich auch der Zeitpunkt, an dem es zum Showdown kommt. Denn augenscheinlich hat er den Täter gerade zum Reden gebracht, als die Kollegen ihren Henne in letzter Not retten. Er hatte das berühmte Warum am Schlafittchen. Aber vielleicht wird es tatsächlich nie beantwortet und bleibt das rumorende Unbekannte in einer modernen, von (Sinn-)Krisen geplagten Gesellschaft.

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