Ein bisschen stolz ist Julius Fischer ja auf sein Studium. Vor allem, weil es vorbei ist und keiner mehr historische Referate von ihm verlangt. Er lebt ja trotzdem - als Autor, Lesebühnengast, Mitglied eines etwas extravaganten Orchesters, mittlerweile wohl auch in treu sorgenden Händen. Am Freitag, 29. November, um 20 Uhr feiert er in der Moritzbastei seine nächste Buchpremiere. Als Wanderhure. Oder doch nicht?

Der Titel ist spitze. Das sagt selbst Fischers kloppefreudiger Freund Enrico, den er ab und zu trifft, wenn er zu Lesungen in Dresden ist. Man kann sich ja bei den diversen Ausfällen, Umleitungen und Sonderfahrplänen der Bahn gar nicht verfehlen auf dem Dresdner Hauptbahnhof. Und wenn Enrico der Titel gefällt, dann sollte dem Buch eigentlich auch ein Verkaufserfolg beschieden sein. Geschrieben hat die historisch angehauchten Schmöker um die Wanderhure ja ein Duo namens Iny Lorentz, das Fischer in seinem kleinen Glossar am Buchende so auf den Punkt bringt: “Eltern der Wanderhure, Rentner”. Iny und Elmar Lorentz heißen die beiden Münchner, die sich hinter Inys Namen verbergen. Seit 2003 beglücken sie den deutschen Buchmarkt mit Heldinnen aus ferner Vergangenheit. “Die Kastratin” hieß ihr erstes Buch.

Richtig berühmt wurde die “Wanderhure” (2005 erschienen) freilich erst durch die Verfilmung mit Alexandra Neldel 2012. Und auf solche Hypes muss man setzen, wenn man in Deutschland Bücher verkaufen will. Denkt sich auch Fischer. Gleich im Eingangsartikel philosophiert er munter drauflos, wie ein Buch wohl betitelt sein müsste, damit es die Leute kaufen. Aufmerksamkeit ist alles. Leichte Verdaulichkeit freilich auch. Die meisten Leute kaufen ja Bücher, weil sie schon wissen, was drin steht und schon die Verpackung jede Angst nimmt, es könnte was Unerwartetes drin sein.Dass Enrico natürlich gern gewusst hätte, wohin denn nun die schönsten Wanderwege der Wanderhure führen, ist verständlich. Könnte ja sein, am Ende kommt man nach Elend (kommt man auch), nach Neustadt (liegt ebenfalls auf dem Weg) oder nach Heidelberg (keine Frage, auch dahin verschlägt es einen Slam-Teilnehmer, er darf nur am Ende nicht erwarten, dass sich Heidelberger Taxifahrer in Heidelberg auskennen). Zwischendurch gibt es andere Wanderungen, die Wanderhurenwegwanderer vielleicht ein bisschen enttäuschen werden – es geht mit einem alten, klapperdürren Hund in einen Berliner Technikmarkt, mit Reimkraft in die Outdoor-Werbung, in einen Leipziger Friseurladen (der nur noch Bares annimmt) oder mit einem Zwei-Meter-Knallkopp zum Junggesellenabschied nach Prag. Nicht überraschend ein Refrain, der öfter im Buch erscheint: “Ich hasse Menschen”.

Mehr zum Thema:

Hoffnung 3000: “The Fuck Hornisschen Orchestra” gibt nicht auf
Leipzig ist am 6. Orchester wieder dran …

Wenn Bühnenautoren zu Philosophen werden: Über Wachen und Schlafen
Am 28. April kann man die fünf jungen Herren ….

Texte aus einer unperfekten Welt: Ich will wie meine Katze riechen
Das Witzigste an diesem ersten Sammelband …

Leipziger Autoren zur Buchmesse: Julius Fischer wühlt sich durch
Aus Gera kommt er …

Denn während diverse sehr zahlreiche Schmökerautoren ihre fabulierten Welten mit lauter idealen Gestalten bevölkern, ist Fischers Metier eher die raue Wirklichkeit, in der man keineswegs vermeiden kann, eine ganze Anzahl von Mit-Menschen wahrzunehmen, die sich flegelhaft, dumm und rücksichtslos benehmen. Der Zwei-Meter-Kerl gehört dazu. Aber auch all die Zwerge, denen bei der Begegnung mit einem Autor keine andere Frage einfällt als “Kann man denn davon leben?”, gehören dazu. Wer es Fischer nicht zutraut, darf es lesen oder auf der beigelegten CD hören: Sehr philosophisch analysiert er solche Höhepunkte der menschlichen Ignoranz, die davon ausgeht, dass nur untertänige 50-jährige Büroarbeit wert ist, honoriert zu werden. Ist sie ja auch. Deutschland ist durchaus ein Land der Untertanen, die ihr Rückgrat beim Eingang ins Berufsleben abgegeben haben, nur noch Bücher ohne Überraschungen lesen und bei jedem Stehempfang dieselben dämlichen Fragen stellen. Und dann die Antwort nicht speichern, wohl auch nicht verstehen. Unvorstellbar, dass einer mit Worten und vielen schweißtreibenden Auftritten im Land seine täglichen Brötchen verdienen könnte. Oder gar mit – Nachdenken!

Ein Horror. Deswegen werden Liebhaber der Wanderhure sich in manchen der 30 in diesem Buch versammelten Texte ein bisschen verloren vorkommen, in unwegsames Gelände geraten. Denn Fischer ist unter der bunten Schar der sprechenden Bühnenkünstler einer von denen, die ihr Publikum nicht mit kurzlebigen Schoten und Witzchen zu bannen versuchen. Was ihnen den Schrecken von Lesungen nicht erspart, bei denen die Leute ihr Missfallen durch deutliche Entschlummerung kundtun. Er ist selbst so ein Nach-Denker, erwähnt Platon nicht nur nebenbei. Selbst der Anblick eines zum Sex entkleideten Paares im Fenster gegenüber regt ihn zu intensivem Nachdenken über den menschlichen Voyeurismus an, der Traum von einem iPad lässt ihn fragen, warum er ausgerechnet als Mensch auf der Erde konfiguriert wurde, und sein Freund Enrico bringt ihn jedes Mal zum Grübeln darüber, warum er so viele Worte braucht, um die simpelsten Dinge zu erklären. Da reicht doch wohl ein bisschen Kloppe. Oder – als Freundschaftsbeweis – eine neue Runde Bier.

Oder nicht. Achja, das Leben als Dynamo-Fan kann so herrlich einfach sein. Das Leben als ein von Gedanken getriebener Autor mit etwas Übergewicht (der damit auch noch ein bisschen hadert, weil augenscheinlich die Erziehungsbemühungen der Mutter nicht enden wollen) ist es eher nicht. Aus Enricos Perspektive ist das sehr bewundernswert, aber eigentlich auch eine Runde Kloppe wert. Und aus Sicht des Lesers? – Das muss jeder selbst entscheiden. Wer seinen Spaß daran hat, einen vom Leben getriebenen Autor mit leichter Menschen-Abstinenz beim Nach-Denken und der Suche nach dem Sinn von dem allen zu erleben, der ist hier richtig.

Oder am Freitag, 29. November, 20 Uhr in der Moritzbastei zur Buchpremiere.
Julius Fischer “Die schönsten Wanderwege der Wanderhure”, Verlag Voland & Quist 2013, 14,90 Euro

www.juliusfischer.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar