Natürlich wird das wieder kommen. Je mehr Menschen begreifen, wieviel Zeit sie jeden Tag mit reinem Blödsinn aus flimmernden Kisten vertun, umso mehr werden diese Zeit-und-Geist-Fresser-Geräte ausschalten und wieder reale Dinge anpacken. Kräuter pflanzen und ernten und trocknen und verwenden zum Beispiel. Die reale Welt ist viel aufregender als all der Unterhaltungsspaß aus teuren Geräten. Und das wird sich auch nicht ändern.

Auch nicht nach dem nächsten und übernächsten Hype um die folgenden Technikgenerationen, in denen noch mehr Daten ausgelesen und gesammelt werden und die Quoten, ja, die Quoten, immer mehr an das Denklevel einer Gesellschaft angepasst werden, in der Denken immer mehr zum Außenseitertum prädestiniert. Passt das jetzt zu einem kleinen Kräuterbuch? Doch. Irgendwie schon. Es frappiert zumindest, wenn man einmal mehr Ray Bradburys “Fahrenheit 451” gelesen hat, dieses Buch über eine Welt, in der Bücher verbrannt werden und Menschen durch permanente Videounterhaltung dauerberieselt und stillgehalten werden. So weit entfernt ist die moderne Medienwelt von dieser Dystopie nicht. Davon können auch Lehrer ein Lied singen, die mit den kleinen Zombies zu tun bekommen, die in der bunten Welt des deutschen Fernsehens aufgewachsen sind. Diese können sich nicht konzentrieren, erfassen komplexe Zusammenhänge nicht, können sich nicht frei artikulieren, geraten immer wieder emotional vollkommen außer Kontrolle …Irgendwie schwant einem da, dass die kleinen Bücher aus dem Buchverlag für die Frau auch Lern- und Lebensbüchlein für Kinder sind. Der Stoff ist komprimiert, konzentriert sich jedes Mal auf ein einziges lebensnahes Thema. Und es stecken immer die nötigen Anleitungen drin, wie man sich der Sache nähern kann, hier also: den Küchenkräutern. Das, was Mami und Papi, wenn sie ein bisschen Sinn für ein gutes Essen haben, daheim im Küchenschrank stehen haben oder regelmäßig besorgen. Auf dem Frischmarkt zum Beispiel. Oder, wenn irgendwo ein Eckchen Garten zur Verfügung steht, auch selber säen und ernten.

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Man ist augenscheinlich schon mit zwei winzigen Schritten bei den Leipziger Doktoren Schreber und Hauschild. Der Schrebergarten ist eine universale Idee. Eine Familienidee sowieso. Ungefähr 30 Seiten in diesem Büchlein widmet Tassilo Wengel den Kräutern im Allgemeinen und ihrem Anbau im eigenen Gärtchen. Das kann sogar der kleine Vorgarten sein, wenn man es richtig macht, ein klug angelegter Ziergarten mit Kräuterspirale oder ein auch zum ästhetischen Genuss angelegtes Kräuterbeet. Und wenn man über das kleine Stückchen Land dazu nicht verfügt, lassen sich viele Küchenkräuter dennoch auf dem Balkon und auf dem Fensterbrett ziehen. Gerade jene, die man in der Küche öfter braucht.

Die nächsten 90 Seiten widmet Wengel dann natürlich der Schilderung all jener Kräuter, die heute zu einer richtigen Küchenvielfalt beitragen – stets mit einem Foto, das zeigt, wie das Original aussieht, das ja der moderne Großstädter in der Regel gar nicht mehr kennt. Selbst in freier Natur spaziert er dran vorbei und merkt es nicht einmal. Ist ja Kraut, leicht verwechselbar mit all dem anderen Kraut, das sich da außerhalb unserer Parkplätze noch traut zu wachsen. So nebenbei erzählt Wengel aber auch Geschichte, echte Kulturgeschichte, wie sie in Geschichtsbüchern selten steht.Denn in den Kräutern steckt – wie auch in all unseren anderen Nutzpflanzen, eine mindestens 3.000 Jahre lange Geschichte der Kultivierung. Kleine Überraschung dabei: Die allerwenigsten Küchenkräuter haben ihren Ursprung in unseren Breiten. Die eigentliche Wiege für die meisten unserer Küchenlieblinge liegt im Mittelmeerraum. Und das Meiste davon brachten entweder die Römer mit, die ja bekanntlich die großen Genießer des Altertums waren, oder die Mönche brachten es später über die Alpen und machten damit ihre Klostergärten zu kleinen Küchenparadiesen.

30 Küchenkräuter hat Tassilo Wengel ausgewählt und porträtiert – samt Angaben zu Kultivierung, Erntezeit und Verwendung. Hübsch alphabetisch geordnet, so dass der Liebling aller Leipziger, der Bärlauch, den Reigen beginnt, der in den letzten Jahren ja so eine Art kleines Marketingwunder erlebt hat. Jetzt findet man Bärlauchprodukte sogar im Supermarkt. Im Inhaltsverzeichnis folgen ihm Basilikum, Beifuß, Bohnenkraut und Borretsch. Und wer die Pflanzen kennt, hat jetzt schon die Nase voller Gerüche. Denn die Kräuter geben ja nicht nur Geschmacksnoten, sie machen unsere Pflanzenwelt auch riechbar. Wobei wohl auch ein Büchlein zum Riechen so langsam fehlt, denn mit dem Verschwinden der selbst zubereiteten Speisen aus unserem Alltag geht auch die Kunst des Riechens verloren – und kann auch durch all die Parfümläden mit chemisch erzeugten Geruchswelten nicht ersetzt werden.

Etliche der duftenden Gartenbewohner sind auch noch attraktive Schönheiten, die ein Kräuterbeet auch zum Schaugenuss machen – der Dill genauso wie der Lavendel, Rosmarin und Salbei. Manches Kraut – wie das Zitronengras – hat den weiten Weg aus Asien zu uns genommen. Anderes – wie Majoran, Kümmel, Rauke und Schnittlauch – klingt schon nach robuster schmackhafter Küche.

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Küchenkräutergarten
Tassilo Wengel, Buchverlag für die Frau 2013, 5,00 Euro

Es ist eine kleine Welt, die es hier zu entdecken gilt. Für kleine Weltentdecker genauso wie für uns Ausgewachsene, die wir wieder Lust darauf haben, unsere Umgebung zu erkunden, wie sie im Grunde wirklich ist, nicht massenproduziert und statt der Originale mit allerlei chemischen Ersatzstoffen und Geschmacksverstärkern versetzt. Irgendwann kommt so Mancher auch an den Punkt, an dem er sich auch in Geschmackssachen nicht mehr von falschen Packungsversprechen veräppeln lassen möchte. Und Mancher wird, wenn er wieder zu diesen grünen Originalen greift, entdecken, dass das Original doch ganz anders schmeckt. Erst recht, wenn man es im Rhythmus der Jahreszeiten genießt. Auch eine Entdeckung, die sich lohnt.

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