Es geht zwar in dieser Streitschrift um Frankfurt am Main, aber die Debatte um die Finanzierung von Kultur könnte ebenso in Leipzig stattfinden. Findet sie auch, wenn auch auf einem ganz anderen Level. Immerhin kann die Bankenstadt am Main mit einem Haushaltsetat von 3 Milliarden Euro wirtschaften - Leipzig hat nicht mal die Hälfte zur Verfügung, möchte in der Kultur aber gern in der selben Liga spielen.

Aber es geht nicht nur ums Geld, auch wenn sich Kulturdebatten in den letzten Jahren immer mehr darauf verengen. Keine weiß es besser als Petra Roth, die langjährige Oberbürgermeisterin von Frankfurt, einer Stadt, die auch immer auf die Unterstützung eines reichen Bürgertums zählen konnte und die trotzdem in der selben Zwickmühle steckt wie andere Großstädte in Deutschland: Die Sozialkosten steigen, der Bund gibt immer mehr “Pflichtaufgaben” an die Kommunen ab – reicht aber die Gelder nur in Teilen weiter. Und so steigen auch in den reichen Städten die Sozialausgaben und das Gezerre um die jährlichen Haushalte spitzt sich zu. Und weil die Pflichtaufgaben genauso heißen, weil sie es sind, wird all das, was man landläufig “freiwillig” nennt, zur Verhandlungsmasse.

Schon bei dem Wort freiwillig werden Roth und ihre beiden Autoren Bernd Messinger und Patricia Tratnik recht ungemütlich. Messinger, zuvor Landtagsabgeordneter der Grünen in Hessen, war Presseamts- und darauf Büroleiter bei Petra Roth, die ja bekanntlich der CDU angehört. Aber sie legte Wert darauf, politische Kompetenz auch aus anderen Parteien immer mit einzubinden in ihre Arbeit. Auch Patricia Tratnik war jahrelang Mitarbeiterin von Petra Roth. Sie können also alle drei aus dem Nähkästchen plaudern, kennen die zähen Verhandlungen hinter den Kulissen und die oft in primitivste Muster abgleitenden Diskussionen, wenn wieder neue Sparrunden anstanden und – natürlich – auch die Kultur “ihr Scherflein beitragen” sollte. Und natürlich die üblichen Kombattanten mit voller Überzeugung fragten: Brauchen wir das alles überhaupt?Messinger und Tratnik nähern sich dem Thema mit einer fast launigen Lockerheit. Was man nicht erwartet hätte, kennt man doch von Verwaltungsmitarbeitern zumeist trockene, bürokratische und schwammige Texte, die nicht anecken und schon gar niemanden aufregen wollen. Aber die beiden zeigen einmal, wie das politische Geschäft wirklich funktioniert. Und der Leser merkt schnell, dass es dem, was er sich selbst unter politischen Wechselspielen vorgestellt hat, viel mehr ähnelt als all den üblichen amtlichen Verlautbarungen. Denn der Amtsstil ist ja auch nichts weiter als ein weiteres Experten-Sprech, das die Eingeweihten von den Außenstehenden trennen soll.

Hinter den Kulissen wird schon mal Tacheles geredet. Und man weiß auch recht genau, was man von den politischen Farben im Stadtrat zu halten hat – wie Liberale, Sozialdemokraten, Grüne oder CDU-Abgeordnete ticken, wo es um Macht und Posten geht und wo um verhandelbare Inhalte. Oder um Positionen, die erst mal als unverrückbar verkauft werden und am Tag nach der Wahl schon wieder verhandelbar sind.

Kultur gehört oft genug zur Verhandlungsmasse. Auf eine zuweilen recht simple Weise, wie sie seit Otto Graf Lambsdorff und Helmut Kohl die inhaltlichen Debatten in Deutschland verdrängt hat: Bringt das was? Brauchen wir das? Können wir uns das noch leisten? Ist das alles nicht viel zu teuer? – Wer ein bisschen nachdenkt, weiß, dass die Debatten seit den 1980er Jahren auf dieser Legitimationsstufe ablaufen. Nicht nur bei der Kultur, mittlerweile – man schaue nach Sachsen – auch bei Bildung, Forschung, Hochschulen. Das frisst sich wie ein Krebsgeschwür durch die ganze Gesellschaft. Alles wird auf seine Verwertbarkeit hin durchleuchtet, muss Effizienznachweise erbringen. Städte und Länder werden wie kriselnde Unternehmen geführt, in denen outgesourct, verschlankt und “aufs Kerngeschäft” konzentriert wird.

Aber so kann man Städte nicht am Leben erhalten. Und auch keine Stadtgesellschaft, ein Wort, das Petra Roth gern verwendet. Weil Stadt für sie ein Zukunftsmodell ist, ein Gesellschaftsentwurf, in dem die Potenziale für künftige Gesellschaften entwickelt, erprobt und ausgehalten werden. Und wie Messinger und Tratnik sich da durch ihre scheinbar ganz wahllos ausgewählten Themen schreiben, merkt man anfangs gar nicht so sehr, dass sie dem Leser gerade beibringen, dass es eben nicht nur um Oper, Schauspiel und eitle Regisseure geht.

Das Buch wird durch ein großes Kulturgespräch im Mittelteil quasi halbiert, einem Gespräch, in dem auch Petra Roth Rede und Antwort steht. Vor diesem Gespräch drehten sich die kurzen, feuilletonistischen Ausflüge von Messinger und Tratnik um die üblichen “Kultur”-Themen: Intendanten, Skandale, Museen, Theater, Auslastungszahlen, Sponsorensuche, die Frage nach hoher und sonstiger Kultur, gesellschaftlicher Debatte auf der Bühne, Relevanz der Repertoires für die Stadtdiskussionen, Klassik und modernes Theater usw. Alles das, was die Leipziger auf ihre Weise auch schon hundert Mal diskutiert haben.Dann kommt das Gespräch, das scheint alles noch mal auf den Punkt zu bringen. Anschließend legen Messinger und Tratnik erst richtig los und zeigen, wie komplex die Kultur einer modernen Stadt tatsächlich ist und was davon alles auch von einer trockenen Verwaltung bearbeitet wird: die politische Diskussionskultur, die Verleihung von Preisen, die Begräbniskultur, das Verhältnis zu Bildung und Hochschule (das in Frankfurt noch viel enger ist als in Leipzig). Und hört Kultur eigentlich auf, wenn sich eine Stadt um soziale Teilhabe oder gar um den Straßenstrich kümmert?

Petra Roth beschließt den Band mit einem klaren Plädoyer: “Kulturauftrag im Jahrhundert der Städte”. Denn es sind die Großstädte, die das Lebensmodell der Zukunft entwickeln (müssen) und die die Basis für Innovation und politische Modernisierung bilden. Hier zeigen sich Trends früher als anderswo, hier finden die wichtigen Auseinandersetzungen früher statt. Zumindest in Frankfurt ist das so, findet Petra Roth. Was auch an der politischen Kultur liegt, die sie immer gepflegt hat – auch wenn es immer ein Spagat war zwischen Aufklärung und konservativem Bewahren. Aber es sind diese großen Städte, die sich eine reiche Kulturlandschaft “leisten”, die als erste für die innovativen und kreativen Köpfe der Gesellschaft interessant sind, das, was Richard Florida die “creative class” nennt, die heute viel wertvoller für eine Gesellschaft ist als alle Rohstoffe.

Das ist der Punkt, an dem noch deutlicher wird, wie sehr eine sächsische Landesregierung ganz gezielt die Lebenssubstanz einer Stadt wie Leipzig angreift, wenn sie hier mit der Schere am Lehrbetrieb der Uni und der HTWK ansetzt.

Roth appelliert an ihre eigene Stadt, wenn sie die Bewahrung einer einzigartigen Kulturlandschaft beschwört. Aber es trifft genauso auf eine Stadt wie Leipzig zu, die sich Kultur eben nicht nur leistet, sondern selbst Kultur ist. Die moderne Stadtgesellschaft ist nur als Kulturgemeinschaft denkbar – in all ihren Facetten.

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Hohe Kultur. Flache Debatten
Petra Roth, Henschel Verlag 2014, 16,95 Euro

Umso kläglicher wirken dann politische Diskussionen, die glauben, sie müssten alles unter ein Spardiktat stellen und Kultur sei so etwas wie Luxus. Mancher empfindet es so, weil die finanziellen Barrieren ins Theater, in die Oper oder gar ins Gewandhaus hoch sind. Obwohl es die Bürger der Stadtgesellschaft sind, die diese Häuser alle gemeinsam finanzieren. Da gehört zwangsläufig auch die Gerechtigkeitsdebatte aufs Tapet.

Wenn moderne Gesellschaften scheitern, dann wird es nicht an einer “maßlosen Kulturpolitik” liegen, die Petra Roth explizit fordert, sondern an der maßlosen Gier von Leuten, die glauben, man könne Städte dazu zwingen, all ihre freiwilligen Aufgaben zugunsten von noch mehr Rendite aufzugeben. Doch es sind gerade diese freiwilligen Aufgaben, die den Charakter einer Stadt ausmachen und die Städte vor allem attraktiv machen für innovative Geister. Wer sie schleifen will, trifft dem Lebensnerv der modernen Stadtgesellschaft.

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