Beinah hätte Peter Nimsch seinen 620-Seiten-Wälzer "Paul & Paul genannt". Aber dann ließ er sich doch lieber überreden, den "Szeneroman aus der Leipziger Südvorstadt" ein bisschen so zu benennen, dass die Käufer gleich wissen, dass es um Sex, Sex und - naja - vielleicht ein bisschen mehr Sex geht. Oder doch nicht?

Peter Nimsch, 1962 in Zwenkau geboren, ist den Leipzigern eher als Werbefachmann bekannt. Die Köstritzer Bierwerbung “Das Schwarze mit der blonden Seele” geht auf sein Konto. Gemeinsam mit Carola Weiß betreibt er die Leipziger Werbeagentur “Sekt & Selter”. Nebenbei ist er Songschreiber und Sänger. Nun hat er sein erstes Buch geschrieben.

Am 10. April um 20 Uhr findet dazu die musikalische Buchpremiere im Leipziger Varieté am Palmengarten statt. Es singen und lesen die Sachsendiva Katrin Troendle, Kai Niemann, Matt Liebsch und der Autor.

Der nicht zu verwechseln sein sollte mit dem Werbemann Paul Petersen, dem Helden dieses Buches, das dramatisch mit dem grandiosen Rausschmiss des nicht mehr ganz jungen Mannes aus seiner Wohnung beginnt. Effektvoll geht’s ins richtige Leben, denn seine nunmehr längste Lebensabschnittsbegleiterin Katja hat die Nase voll. Ihr Paul verweigert Liebesdienste und ersäuft seinen Stress in Ballerspielen am Computer. Das könnte jetzt also ein richtiger Absturzroman im Leipziger Milieu werden. Und auf den ersten Seiten sieht es auch ganz danach aus – Pauls erste Bleibe ist eine abgerissene Wohnung auf der “Karli”.Und da könnte er jetzt so richtig abstürzen in Suff und Depression. Tut er aber nicht, denn augenscheinlich hat Paul doch ein paar Talente. Das eine ist seine Fähigkeit, Freunde zu finden – angefangen von Taxifahrer (und Sänger) Bernd über Stefan, den Maler aus der Nachbarwohnung, bis zu Claudia, der phänomenalen Erscheinung, die ihn nach einer bierdurchzechten Nacht in seinem Lieblings-Pub auf der “Karli” aufgabelt.

Dass sein Schicksal damit eine Wende nimmt, merkt Paul schnell, als er mit Claudia im Whirlpool landet. Die eigentlich ein bisschen mehr ist als eine Claudia. Aber ganz so sehr Macho, wie sich Paul in den ersten Szenen aufführte, ist er dann doch nicht. Eher einer, der nun mit Staunen erlebt, dass auch ein Sexverweigerer sich wandeln kann zu einem, dem in der Welt der erotischen Begegnungen bald nichts mehr fremd ist. Die folgenden 550 Seiten sind eine Art Jagd durch die Gefilde der Obsessionen, auch wenn es anfangs nichts mit Liebe zu tun hat, Paul und sein kleiner Freund Paul aber jede Menge Spaß und Stress dabei haben. Beim wirtschaftlichen Neustart hilft Claudia, die als Transvestit und Travestie-Star erfolgreich durch die Welt tingelt.

Paul knüpft, weil mit Musiker-Muggen nicht wirklich Geld zu verdienen ist, an seine alten Glanzzeiten als Werbefachmann an. Und er sucht den Flirt, wo er ihn findet. Manchmal findet der Flirt auch ihn und ufert ziemlich schnell zu Szenen aus, wie man sie aus einigen der in den letzten Jahren viel gekauften Sex-Bestsellern kennt. Aus dem Milieu-Roman wird also ziemlich schnell ein erotischer Roman – da und dort erinnernd an “John Thomas & Lady Jane”, die zweite Fassung jenes Romans von D. H. Lawrence, der dann in der dritten Fassung – um etliche anstößige Stellen bereinigt – als “Lady Chatterleys Liebhaber” zum Welterfolg wurde.

Es ist nicht das einzige Buch aus der Weltliteratur, das Nimsch so beiläufig zitiert. Auch eine ganze Ecke “Salz auf unserer Haut”-Gefühl darf später ins Buch, nachdem Paul Diana kennen gelernt hat und mit der jungen Dame aus England nicht nur eine Menge erotischer Abenteuer erlebt, sondern auch die große Liebe. Mit Streit und Schwüren und Trennung und Besuch im heimeligen England, wo es dann auch noch ein wenig wie in Oscar Wildes bissigen Geschichten aus der englischen Schlösserwelt wird (ohne Gespenst), auch ein wenig “Dinner for one” darf anklingen.Vorher hat Paul auch noch erlebt, was passiert, wenn man für einen guten Freund für einen “völlig ungefährlichen” Kredit aus dem Internet als Bürge einspringt. Einen Aufenthalt in der Psychiatrie eingeschlossen. Da ahnt er noch nicht, dass seine Zeit mit Diana begrenzt ist und sein amouröser Roman sich beim Schreiben in einen langen Abschied verwandelt. Da steckt dann also auch noch ein Stück “Kameliendame” drin. Und das alles in Leipzig. Der Leipziger darf staunen.

Sollte man jetzt in die Südvorstadt ziehen, um das auch zu erleben? Oder übertreibt Paul ein bisschen? Ist das Ganze nicht – wie so viele Sex-Romane der letzten 100 Jahre – wieder nur eine kleine Pantagrueliade? Eine humorvolle Parodie auf all die erotischen Heldengeschichten, die sich in deutschen Buchläden vom Stapel weg verkaufen, weil augenscheinlich eine Menge Leute einen enormen Bedarf an dieser Höchstleistungslust und ihrer Verwortung haben? Oder ist es wieder nur ein Spiegel einer völlig entblößten Welt, in der selbst das Sexualleben zum Leistungssport geworden ist und eher das, was Paul ganz am Anfang erlebt, die Norm?

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Lust & Liebe dann kam das Leben
Peter Nimsch, Engelsdorfer Verlag 2014, 18,00 Euro

Mal ganz abgesehen davon, dass Peter Nimsch mit einer Ur-Geschichte aufgewachsen ist, die sich ja beinah im Titel wiedergefunden hätte: “Die Legende von Paul und Paula”. Die natürlich genauso tragisch ausgeht und ein wenig auch erklärt, warum der Paul in Peters Buch Manches gar nicht so genau wissen will und lieber glaubt, was Diana ihm erzählt. Weil er’s glauben will. Aber am Ende, nach Lust & Liebe, passiert es eben doch fast immer – dann kommt das Leben, unberechenbar wie gehabt.

Eigentlich der Stoff für eine Novelle. Aber wer “Gargantua und Pantagruel” kennt, weiß, dass es unter 600 Seiten einfach kein Buch sein kann. Dies ist eins mit 620 Seiten. Die Wochen und Monate verfliegen. Aber zur Buchpremiere am 10. April wird schon mal vorgewarnt: Es gilt die Altersbeschränkung P16.

www.engelsdorfer-verlag.de

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