Auf der Einwickelhülle der Bücher aus dem Lehmstedt Verlag klebt ab jetzt ein blau-gelbes Signet: Der Leipziger Verlag weist auf diese Weise schon mal frühzeitig auf das Jubiläum zu 1.000 Jahre Ersterwähnung hin. Und der Lehmstedt Verlag ist einer, der dazu Inhalte liefern kann und seit Jahren liefert. Und immer wieder ist auch eine echte Entdeckung dabei. So wie in diesem Fotoband in Farbe.

Dabei lernt man auch noch einen jungen Iren namens Ian Spring kennen, den seine Liebe vor fünf Jahren nach Leipzig gezogen hat. Das erfährt man im Vorwort, in dem Ian Spring von seiner zweiten großen Leidenschaft erzählt: der Begeisterung für die frühe Farbbildfotografie. Man verbindet die Farbfotografie nicht unbedingt mit den 1930er Jahren, denn die meisten Bilder, die einem aus dieser Zeit begegnen, sind Schwarz/Weiß. Auch wenn es schon seit dem späten 19. Jahrhundert Experimente gab, farbige Fotografien anzufertigen. Aber die Techniken waren zu aufwändig und damit wenig massentauglich.

1935 war es Kodak, das mit Kodachrom den ersten Farbfilm auf den Markt brachte – und damit den deutschen Konkurrenten Agfa unter Druck brachte. Agfa konnte im Folgejahr nachziehen – gerade noch rechtzeitig zu den Olympischen Spielen in Berlin. Und 1937 kam dann Agfacolor Neu auf den Markt, ein Positivfilm, dessen Entwicklung noch zentral im Labor des Herstellers erfolgen musste. Das ganze noch etwas aufwändige Prozedere für den Kunden schildern Ian Spring und Ronny Ecke im Vorwort des Bildbandes. Springs Sammelleidenschaft beschränkt sich dabei nicht auf Deutschland und Europa. Er sammelt alles, was er weltweit zu dieser frühen Farbfotografie bekommen kann. Über 24.000 Fotos hat er schon beisammen. Besichtigen – und bestellen – kann man die besten Motive auf seiner Website pixpast.com.Der Band mit den Leipzig-Fotografien ist eine Art Liebeserklärung an seine neue Heimat. Ronny Ecke hat dabei den Part des Bildbearbeiters. Denn die Fotos stammen ja in der Regel aus den Nachlässen von Laienfotografen. Die waren zwar in der Regel begeistert von den Möglichkeiten, die der neue Farbfilm bot, aber nach 70, 80 Jahren haben die Bilder natürlich gelitten, sind dunkler geworden, haben Kratzer und Flecken. Um sie druckfähig zu machen, musste oft recht aufwändig nachbearbeitet werden. Auch darüber erzählt Ecke im Vorwort, so dass man zumindest ein Gefühl dafür bekommt, welche Arbeit in den knapp 70 Fotos steckt, die Ian Spring aus den 400 Leipzig-Fotos aus seinem Bestand ausgewählt hat.Dabei konzentrieren sich die meisten Motive auf die Jahre 1937 bis 1941. Ein Fotograf – die Namen sind augenscheinlich nicht überliefert, hat sich dabei sehr auf das Treiben zur Leipziger Messe konzentriert. Aber auch markante Motive des Stadtbildes erscheinen nun in Farbe – das neue Schauspiel, das Neue Rathaus, Europahaus, Krochhaus und Paulinerkirche. Man hat ja noch das völlig unzerstörte Leipzig vor sich – mit der Neuen Börse, dem Alten Theater (das sein 175-jähriges Jubiläum feierte) und dem Naundörfchen. Ab 1941 tauchen dann vermehrt Uniformen in den Bildern auf – als Besuchergruppe am Dickhäuterhaus des Zoos oder ab 1942 als Verletzte auf Urlaub.

Aber auch Bilder, die die Sehnsucht nach Familie und Glück ausstrahlen, finden sich – einige fast romantische Fotos aus dem Palmengarten mit spielenden Kindern und Vätern, die möglicherweise auf Urlaub sind oder kurz vor der Einberufung stehen. Eine Kriegshochzeit wird gezeigt, der strenge Lehrer Marx mit Familie und goldenem NSDAP-Abzeichen, singende Hitlerjungen, Sanitätssoldaten und drei Herren mit Stahlhelm im Luftschutzbunker.

Zwischen 1943 und 1945 klafft sichtlich eine Lücke. Wohl nicht nur, weil Agfa seine Kapazitäten jetzt vor allem für die Wehrmacht und die Propaganda frei hielt, sondern wohl auch, weil die Fotografen selbst im Krieg waren. Man vermisst schmerzlich die Herkunftslegenden zu den Fotos. Aber fast alle Bilder stammen von den internationalen Versteigerungsbörsen. Die Zuordnung der Schauplätze, der Jahre und der sichtbaren Details war dann detektivische Arbeit für Spring und Ecke. Das erste Bild von 1945 zeigt einen Offizier der US-Army in den Trümmern Leipzigs. Die Bilder, die sich anschließen, sind dann schon Nachkriegsbilder, die eindrucksvoll die Ruinenlandschaften festhalten, die übrig blieben nach dem Desaster des NS-Reiches. Das Leben geht trotzdem weiter, wie man sieht, die selben roten Straßenbahnen, die wenige Jahre zuvor durch das mit Hakenkreuzflaggen geschmückte Leipzig fuhren, fahren jetzt zwischen den Skeletten zerbombter Häuser, in der Universitätsstraße dampft die Trümmerbahn.

Trotzdem ist es ein verstörender Eindruck. Denn der Übergang fehlt. Wie konnte aus einer unversehrten Stadt, die in vielen Fotos sogar bis zur Idylle verklärt ist, eine derartige Trümmerwüste werden? Sind die idyllischen Fotos schon der Versuch, einen letzten heilen Moment festzuhalten, bevor die Menschen, die man sieht, Teil der großen Vernichtung werden? Oder ist es ein Versuch, das Private als letzte Zuflucht zu inszenieren? Familienbesuche im Zoo, auf der Kleinmesse, im Palmengarten?

Aus dieser Perspektive zeigen die Bilder natürlich auch, wie die meisten Menschen ihr Leben sehen, den kleinen Ausschnitt, den sie als vertraut empfinden. Viele denken ihr Leben lang nicht darüber hinaus, passen sich an, suchen ihr Hobby – wie die Korbballspielerinnen in Holzhausen. Wenn man von NSDAP-Lehrer Marx absieht, tauchen auch keine Funktionäre auf in diesen Bildern, ist eher das Leben abseits der offiziösen Inszenierung zu sehen, das sonst in Bildern aus der Zeit dominiert. Man ahnt nur, dass viele einstige Bewohner dieser Stadt schon aus dem öffentlichen Bild verschwunden sind. Die Firmenschilder an Kaufhäusern und Läden sind ausgewechselt.

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Leipzig in Farbe
Ian Spring; Ronny Ecke, Lehmstedt Verlag 2014, 19,90 Euro

Ronny Ecke hat versucht, den Detailreichtum der Fotos zu bewahren. Und so bleibt auch dem Betrachter die Möglichkeit, in den Details der großformatig gedruckten Bilder die Geschichten zu suchen, in Gesichtern zu lesen, das Vertraute zu entdecken und das heute fremd Wirkende – eine autobefahrene und neonerleuchtete Grimmaische Straße im Jahr 1937 etwa oder die Thomasklause am Thomaskirchhof, den Pavillon hinterm (alten) Museum der bildenden Künste oder die Tankstelle am Europahaus. Die vielen Hakenkreuzfahnen erinnern daran, dass auch dieses Leipzig gleichgeschaltet war. Sie wirken auch aus fast 80 Jahren Entfernung fremd und bedrohlich in dieser noch unversehrten Stadtkulisse. Die Idylle trügt.

www.lehmstedt.de

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