Manchmal überschneiden sich Projekte. In diesem Jahr haben sich sowohl die Edition Leipzig als auch der Sax Verlag die Festung Königstein als handlichen Wegbegleiter ins Programm genommen. Aber wie das so ist: Wenn zwei dasselbe tun, wird es nicht immer dasselbe, auch wenn die geschichtlichen Daten und Bauwerke und Anekdoten zum großen Teil dieselben sind. Es gibt ja nur einen Königstein.

Doch während Angelika Taube sich für die Edition Leipzig – zuweilen kann man auch über Frauen staunen – vor allem die Baugeschichte der Festung und all ihrer explizit militärischen Anlagen vornahm, legt der Landhistoriker Reiner Groß mehr Wert auf die Geschichten drumherum. Im Untertitel steht ja die kleine Betonung: “Monument und Mythos sächsischer Geschichte”. Und ein Mythos ist dieser über 500 Jahre immer mehr aufgemotzte Bau der sächsischen Kurfürsten und Könige (wenn man die böhmischen Könige dazu nimmt, sind’s 800 Jahre) natürlich. Rainer Groß hat auch das Kapitel zum Königstein in dem von Matthias Donath und André Thieme herausgegebenen Band “Sächsische Mythen” geschrieben.

Die Identität eines Staatsvolks definiert sich halt nicht über Parteifarben, Gesetze oder Politikerreden, sondern über seine Mythen, seine Legenden, Sagen, Märchen, all die Über-Erzählungen, an denen man mit einigem romantischen Seufzen hängt, die man immer wieder neu erzählt und auch neu einwebt, wenn die Staatslegende mal wieder erneuert wird. Da gehört der starke August hinein (von dem die Sachsen in der  Regel nicht alles wissen – Mythen sind auch immer eine Auswahl des ganz Besonderen), die Eierschecke, Luther und die Bibelübersetzung – natürlich ins Sächsische. Aber auch der etwas modernere Mythos Schwarzenberg und natürlich der Königstein, auf den oben Genanntes alles zutrifft. Man weiß ein bisschen was, kennt das Studentenlied (“Auf der Festung Königsstein ..”), weiß auch um den ein oder anderen auf der Festung Inhaftierten. Aus Leipziger Sicht sind das zum Beispiel Bürgermeister Romanus (der auf dem Königstein den Rest seines Lebens verbrachte), Kanzler Krell (der nach über zehn Jahren Haft und Folter in Dresden recht erbärmlich hingerichtet wurde), oder August Bebel, der nur kurz einsaß auf der Festung – er musste ja noch die deutsche Sozialdemokratie zum Erfolg führen.

Da und dort geistert auch die Legende von der nie eroberten Festung herum – zumindest seit der  Königstein ab  dem 16. Jahrhundert systematisch zur Festung ausgebaut wurde, trifft das zu. Aber das war auch immer die Schwachstelle des Baus: Für modernere Armeen gab es selten einen Grund, überhaupt an die Eroberung der Festung zu denken, strategisch lag sie zu sehr im Abseits, die Schlachten und Eroberungen von Schlüsselstellungen fanden immer woanders statt – und die sächsischen Könige bekamen eben doch ihre Prügel und mussten immer wieder aus ihrer Landeshauptstadt flüchten. Das war beim schwedischen König Karl XII. so, bei Friedrich II. von Preußen genauso wie in den antinapoleonischen Kriegen, aber auch 1866 noch, als die Sachsen mal wieder auf der Verliererseite standen, der österreichischen in diesem Fall, so dass auch diesmal preußische Truppen – friedlich – in die Feste einzogen.

Danach wurde zwar weiter ordentliches Geld in den Ausbau der Festung gesteckt, aber militärisch war sie noch viel nutzloser geworden als zuvor. Im 19. Jahrhundert spielte sie eher eine Hauptrolle als Gefängnis für allerlei rebellische Untertanen, mit denen nicht immer menschlich umgegangen wurde. Die ersten auf dem Königstein inhaftierten Demokraten erlitten einen mehr als fragwürdigen Tod – in beiden Fällen nie aufgeklärt. Irgendwie tun sich sächsische Ermittler schwer, wenn es um Staastsangelegenheiten geht. Das war nicht nur unter König August so. Drei Mal diente die Feste auch als Gefängnis für Kriegsgefangene.

Aber die beschusssicheren Bauwerke dienten auch immer wieder als sicherer Aufbewahrungsort für die Dresdner Kunstschätze. Außer 1945, als die Festung mal wieder kampflos übergeben wurde – diesmal an die sowjetischen Truppen, die die Kunstschätze freilich erst mal gen Moskau schickten, von wo bislang nur ein Teil wieder zurückgekehrt ist, wie Groß schreibt.

Man hat also ein Bauwerk vor sich, das still und nutzlos neben der sächsischen Militärgeschichte aufragt. Weil’s aber ein – mit ausgeklügelten Zugangssicherungen ausgestattetes – Militärbauwerk war, kam der normalsterbliche Sachse Jahrhunderte lang nicht hoch – es sei denn, man verdingte sich als Knecht oder Magd oder gar als Wachsoldat. Nur honorige Persönlichkeiten durften auch mal so auf die Festung, meist auf Einladung der sächsischen Fürsten und Könige, die sich da oben ihre eigenen Vergnügungsstätten geschaffen hatten, die selbst wieder zum Mythos wurden – wie das größte Weinfass der Welt, das Spiegelkabinett in der Christiansburg oder der  Heldensaal. Nicht alles, was Legende wurde, ist heute noch zu sehen – zumeist, weil mit dem fortschreitenden Stand der Militärtechnik auch immer bombenfester gebaut und neugebaut werden musste.

Oder sollte. Im Grunde steht das Bauwerk für den ganzen sinnlosen Versuch Sachsens, sich irgendwie militärisch zu profilieren, obwohl es praktisch über Jahrhunderte immer zwischen den Groß- und Mittelmächten eingeklemmt war und für jedes Heer die großen reichen Städte des Landes ein viel lohnenderes Ziel waren als diese abweisende Festung, deren martialischer Zugang noch heute die Besucher erschauern lässt. Oben hat man dann einen der schönsten Ausblicke übers sächsische Land, kann sich wie einer der vielen Soldaten fühlen, die hier Wache standen und guckten und sich langweilten und manchmal auch vom Sturm über die Brüstung gepustet wurden.

Den Teil mit der Erläuterung der Gebäude und militärischen Anlagen hält Reiner Groß recht kurz. Dafür hat er seinem Buch einen recht ausführlichen Teil mit den Daten der sächsischen Geschichte beigefügt, denen die Daten des Königsteins gegenüber stehen. Am Ende ordnet man den Königstein sowieso da ein, wo die meisten sächsischen Mythen schon sind: in der Schatzkammer der teuren und schönen Nutzlosigkeiten – irgendwo zwischen Grünem Gewölbe, Pillnitz und Moritzburg und der innigen Glorifizierung der Wettiner, die dem Lande ja auch heute noch verbunden sind auf sehr herzliche Weise. Ein  echtes Kleinod eben, das man erlebt haben will, auch wenn man die Worte des Pastors Christian Heckel von 1736 nicht gar zu ernst nehmen sollte, der behauptete, dass man vom Lande Sachsen nicht allzu viel gesehen hätte, wenn man noch nicht auf dem Königsstein war.

Natürlich ist es andersherum richtig. Und der Königstein ist das Sahnehäubchen obendrauf, die Bestätigung für all die anderen oft so herzlich nutzlosen Schönheiten des Landes, die vom Reichtum der Städte, Bürger und der Fürsten erzählen. Man muss sich so etwas erst einmal leisten können. Und so ähnlich haben ja die diversen Auguste den Felsen auch benutzt: den anderen Kraftprotzen der Welt mal so richtig zeigen, was eine ordentliche Festung ist. Möglichst eine, bei der nicht mal der verrückteste Feldherr auf die Idee käme, sie anzugreifen.

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