Es sieht wie ein kleiner Zufall aus, dass sich zum Jahresauftakt ausgerechnet Konstanz in die Reihe "... an einem Tag" des Lehmstedt Verlages gemogelt hat. Aber ganz so zufällig ist das nicht: Ein wichtiges Jubiläum hat 2015 mit Konstanz zu tun. Vor 600 Jahren stand die Stadt am Bodensee mitten im politischen Geschehen des Heiligen Römischen Reiches. Und das gleich mehrfach. Am Anfang die Ermordung von Jan Hus.

Er war der groĂźe Vorläufer, auf den sich 100 Jahre später auch Martin Luther berief – und damit ein ähnliches Schicksal wie der Universitätsprofessor und Reformator aus Prag riskierte. Dabei war die Zeit zu einer grundlegenden Reform der römisch-katholischen Kirsche schon 1414 reif, als Jan Hus nach Konstanz aufbrach, um dort seine Lehre zu verteidigen. Der deutsche König Sigismund hatte ihm freies Geleit zugesagt. Dem Mann hätte also gar nichts passieren dĂĽrfen. Doch wenn die Mächtigen ihre Spiele spielen, ist jeder Zivilist ein billiges Opfer. Immerhin war Sigismund auch noch scharf auf die Krone des böhmischen Königs.

Gleichzeitig wollte er das seit 40 Jahren anhaltende Schisma der römischen Kirche beenden. Drei Päpste regierten gleichzeitig. Das Konzil von Konstanz sollte endlich Abhilfe schaffen. Doch Gastgeber des Konzils war einer dieser drei Streit-Päpste: Johannes XXIII., der den Geleitbrief für Hus ignorierte und ihn gefangennahm und am Ende dafür sorgte, dass Hus auf dem Scheiterhaufen landete.

Heute erinnert in Konstanz Vieles an den Tod dieses Mannes, der 100 Jahre vor Luther schon eine wirkliche Erneuerung der Kirche predigte und der damit ins Ränkespiel der Mächtigen geriet. Gleich Station Nr. 6 auf dem Rundgang, den Steffi Böttge fĂĽr Konstanz vorschlägt, ist das Hus-Haus, in dem die Erinnerung an den Märtyrer bewahrt wird. Gleich daneben beginnt die HussenstraĂźe. Auch nach König Sigismund ist eine StraĂźe benannt. Immerhin gelang es ihm tatsächlich, das Schisma zu beenden und mit Martin V. einen neuen Papst wählen zu lassen. Was fĂĽr ihn reiche FrĂĽchte trug – 1419 bekam er auch die böhmische Königskrone, 1433 auch die Kaiserkrone. Geopfert wurde nicht nur Hus, sondern auch sein Mitstreiter Hieronymus von Prag, der ihm zu Hilfe geeilt war. Auch an ihn findet man in Konstanz Erinnerungen.

Es passt eine Menge hinein in so eine 84.000-Einwohner-Stadt an der Schweizer Grenze. Auch eine Menge Geschichte, denn die Geschichte von Konstanz reicht bis ins 1. Jahrhundert zurĂĽck. Die ausgegrabenen Reste des Römer-Kastells kann man unterhalb des MĂĽnster-Platzes besichtigen. Muss man aber selbst hinfahren. Reisende junge Damen treffen immer andere Entscheidungen und haben andere Vorlieben. Das mit dem Militär ist nicht so ihres – sie huschen lieber in jede Kirche und schildern ausfĂĽhrlich die beeindruckenden Details: ob nun die Christuskirche St. Konrad oder das MĂĽnster Unserer Lieben Frauen (wo eine Bodenplatte an Jan Hus erinnert), die Dreifaltigkeitskirche oder St. Stephan – Altäre, Säulen, Kapellen und Madonnen lassen sie jubeln. Was natĂĽrlich die Frage aufwirft: Was tut man zu zweit in Konstanz? Macht man lieber getrennte Touren? Eine mit Kirchen und CafĂ©s fĂĽr Mademoiselle und eine mit Kastell, Schnetztor, Rheintorturm und Pulverturm fĂĽr Monsieur?

Wäre vielleicht keine dumme Idee, auch wenn man in alten Mauertürmen in Konstanz eher keine Kanonen, Armbrüste oder blankgeputzte Schwerter erwarten darf, sondern ein Fasnachtsmuseum (im Rheintorturm), die Narrengesellschaft Niederburg (im Pulverturm) und die Konstanzer Blätzebuebe Zunft (im Schnetztor). So eine Stadt kann nur sympathisch sein, in der die Narren die Wache übernommen haben.

Und wo treffen sich Mademoiselle und Monsieur wieder? – Ein schöner Ort, weil 1992 noch so herrlich umstritten, wäre die Imperia-Statue an der Hafeneinfahrt, geschaffen von Peter Lenk, der die Welt als Schalk und KĂĽnstler betrachtet und die Konstanzer Geschichte genauso nimmt, wie sie die honorigen Geschichtsbuchschreiber niemals nehmen: von ihrer realistischen Seite. Denn als die 60.000 zumeist hoch theologischen Gäste 1413 zum Konzil nach Konstanz kamen, waren sie so prĂĽde und zölibatär, wie es die auch die heiligen Mönche, Priester und Kardinäle die ganze Zeit ĂĽber immer waren: nämlich gar nicht. Und damit der Bedarf gestillt wurde, waren 1.000 “HĂĽbschlerinnen” um Konstanz am Werk. Darauf spielt Lenk an mit seiner herrlich schamfreien Imperia, die er als Motiv aus einer der schönen “Tolldreisten Geschichten” von HonorĂ© de Balzac gemaust hat. Und was sie so siegestrunken in Händen hält, sind ein Papst und ein Kaiser. In dreieinhalb Minuten dreht sich die Schöne einmal um sich selbst, damit alle sehen, welche Fänge sie da gemacht hat.

Was man beim Wiedertreffen am Hafen verpasst hat, kann man ja dann gemeinsam nachholen: Kloster Zoffingen, Spitalkellerei, Rosgartenmuseum. Oder doch lieber zum fröhlichen Ausklang in die Gasthausbrauerei an der St.-Johann-Gasse? Ein zwei Gläschen noch auf die BerĂĽhmten der Stadt – auf den Grafen Zeppelin (der in Konstanz auch ein sehr seltsames Denkmal hat, auf dem sich Wieland der Schmied in Ikarus verwandelt) oder auf den mutigen Georg Elsner, der einen der wenigen Anschläge auf Hitler wagte – und auf seiner Flucht an der Schweizer Grenze in Konstanz gefangen wurde. Nicht zu vergessen Friedrich Hecker, der 1848 in Konstanz die erste deutsche Republik ausgerufen haben soll. Was natĂĽrlich geschwindelt ist. Die Konstanzer Stadtbilderklärer sind wahrscheinlich genauso wild auf ein klein wenig geflunkerte Geschichte(n) wie die Leipziger. Die erste deutsche Republik wurde 1793 in Mainz gegrĂĽndet. Aber Hecker war trotzdem berĂĽhmt, denn er startete in Konstanz den Heckeraufstand, an dem sich eine ganze Reihe der damals berĂĽhmten Radikaldemokraten beteiligte – unter anderem auch der Dichter Georg Herwegh und ein gewisser Friedrich Engels. Der badische Aufstand wurde niedergeschlagen – die meisten der Revolutionäre gingen nach Amerika.

Hecker begegnet man am Sankt-Stephans-Platz. Vorher ist man noch einmal Peter Lenk begegnet, der in der Unteren Laube den wirklichen Triumphbogen für alle unsere jüngeren Zeiten hingestellt hat) natürlich auch das unter starkem Protest der Immerbeleidigten. Ein Blick auf das Sterbehaus des Volapük-Erfinders Johann Martin Schleyer und dann nichts wie zum Bahnhof? Oder doch lieber noch eine Sause am Hafen dranhängen und Bodensee-Fische verspeisen? Wer sagt denn, dass ein Tag nur ein Tag sein muss? Am zweiten kann man es ja gemächlicher angehen lassen und mit der historischen Fähre mal rüber nach Meersburg fahren. Zusammen mit den Schweizern, die bis 1914 heimlich zum Einkaufen nach Konstanz fuhren, so wie sie es 2015 wieder tun. So ist Geschichte. Sie wiederholt sich gern mit allerlei Späßen und Narreteien, mal als Tragödie, mal als Farce. Aber das ist jetzt von Marx, den man in Konstanz nicht trifft. Dafür Goethe. Der war hier auch.

Und noch einer war hier: Friedrich VI. von Zollern. 1417 verlieh ihm König Sigismund in Konstanz die KurfĂĽrstenwĂĽrde von Brandenburg, womit die Hohenzollern zu Brandenburgern wurden – und der ganze Ă„rger fĂĽr die Wettiner anfing, die sechs Jahre später ja bekanntlich die sächsische KurwĂĽrde bekamen. Man glaubt es kaum, aber manchmal ist es ein scheinbar so friedliches Ă–rtchen wie Konstanz, wo ein langer Zoff zwischen Sachsen und PreuĂźen seinen unscheinbaren Anfang nahm.

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