Was stellt Marian Luft da eigentlich an? Selbst Kristin Bartels, Kuratorin der sehenswerten Preisträgeraustellung im Museum der bildenden Künste, tut sich schwer, den 1983 in Kassel geborenen Künstler einzuordnen, der 2013 sein Diplom an der HGB Leipzig erworben hat, auch hier lebt und arbeitet. Und der augenscheinlich eine hohe Affinität zu den Zeichen, Botschaften und Abgründen des World Wide Web hat.

Das ja nichts Neues ist, auch wenn es für die Bundeskanzlerin jüngst noch „Neuland“ war. Man hätte was Neues draus  machen können, denn kein Medium hatte jemals diese Potenzen, ganze Gesellschaften zu vernetzen, neue Kommunikationsformen und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Aber wenn man die Dinge dem „Markt“ überlässt, kommt eigentlich immer dasselbe dabei heraus: bestimmt die Kaufkraft die Reichweite, werden Vorurteile, Geschmäcker, Moden und Engstirnigkeiten vervielfältigt, werden alle schlechten Angewohnheiten der realen Marktwelt auch digital reproduziert. Was dann diese ganze belanglose Flut von Katzenbildern, Sex, Crime und Gewalt ergibt.

Das „Neuland“ ist schon längst ein Müllhaufen geworden. Und zum Spielfeld von Leuten, die dort alle ihre schlechten Manieren zeigen, nackte Haut, gestohlene Bilder, gefakte Nachrichten, ein ganzes Gebirge von Eitelkeiten. Obwohl man nie weiß, ob der Mensch sich jetzt tatsächlich in seiner verwechselbaren Banalität anpreist und vermarktet, oder ob es wieder nur ein Nachahmen von Narreteien anderer Leute ist.

Wer den Bild- und Markenmüll unserer Zeit sucht, wird im Internet immer fündig. Und zwar gerade dort, wo sich die meisten Konsumenten tummeln. Wobei sich Marian Luft durchaus bewusst ist, dass dieser ganze bunte Müllhaufen trotzdem so etwas ist wie die Seele unserer (westlichen Konsum-)Welt. Denn alles – von der Blondine in Marilyn-Monroe-Pose bis zu Mickey Mouse – sind Meme unserer Zeit, ikonografische Zeichen, die immer wieder erkannt werden und durch ihre Allgegenwart auch die Selbstwahrnehmung unserer Gesellschaft prägen.

Wer das mit den Memen weiterlesen will, kann bei Richard Dawkins nachschauen. Der hat den Begriff in die Welt gesetzt, weil ihn schon verblüffte, wie solche Informationsbruchstücke in der modernen Kommunikation ganz ähnlich funktionieren wie Genmaterial aus seinem Forschungsbereich, der Biologie. Sie sind allgegenwärtig. Man kann sie sogar verunstalten, wie es Marian Luft macht, und sie werden doch wiedererkannt. Sie werden zu (entschlüsselbaren) Botschaften in Kunstinstallationen, die eigentlich keine Botschaft haben, außer dass sie aus Müll bestehen, irgendwelchen zusammengestellten Gegenständen unseres Alltags, die schon beim leichtesten Kratzer aussehen wie Wegwerfartikel. Mehrere solcher Installationen, die Luft in verschiedenen Ausstellungen in der letzten Zeit gezeigt hat, sind im kleinen Katalog abgebildet, jede Szene für sich scheinbar völlig chaotisch. Man möchte eigentlich den Hausmeister rufen, dass er das mal schnell aufräumt, denn es wirkt natürlich provokant. Als hätten sich da ein paar Lümmel in ordentliche Räume gesetzt, eine wilde Party gefeiert und ihren Müll einfach liegen lassen. Beim näheren Betrachten sieht man dann schon, dass das Alles doch nicht ganz so zufällig da liegt und steht. Bilder wachsen sich zu Skulpturen aus, die die Wegwerfprodukte unserer Welt zu greifbaren Kunstobjekten machen. Scheinbar wahllose Anordnungen werden mit Bildschirmsequenzen konterkariert.

Sorry! Something went wrong, 170 x 120 cm. © Marian Luft
Sorry! Something went wrong, 170 x 120 cm. © Marian Luft

Höhepunkt dieser bewussten Ausstellungs-Irritation war eine Ausstellung 2015 in Berlin, an der Luft mit einer Präsentation im Internet teilnahm: My House in Vegas. Die Besucher konnten seine Kunst nur im virtuellen Raum betrachten. Er ist also praktisch dorthin gegangen, wo er die Ikonen unserer Gegenwart gefunden hat, zeigt sie aber nicht ordentlich als Ausstellung, sondern bereitet das Material erneut irritierend auf.

Wer derzeit ins Museum der bildenden Künste pilgert, muss nicht ins Web. Denn hier zeigt Luft – auf den ersten Blick ganz brav – wie er mit diesem Material umgeht. Denn wenn die Herstellungsmethoden verschmelzen und der virtuelle Raum nicht nur die fundreiche Müllhalde ist, sondern auch Produktionsort, dann ist die Art der Ausspielung vielleicht sogar egal. Nur vielleicht, denn alles, was es in der digitalen Welt gibt, ist vergänglich, noch viel vergänglicher als die Wegwerfprodukte unserer Gegenwart. Das weiß jeder, der schon einmal mit Serverabstürzen zu tun hatte, der nach alten Texten, Bildern, Webadressen gesucht hat. Was nur digital existiert, hat keinen Bestandsschutz.

Aber was Marian Luft digital produziert, kann auch real hergestellt werden. Er kehrt also einfach wieder in die reale Welt zurück, wenn er seine visuellen Collagen einfach zur Druckerei schickt oder an eine moderne, auf Oberflächenbehandlung spezialisierte Firma, und sie ausdrucken lässt wie ein auf Glanz getrimmtes Konsumprodukt. Und solche Objekte findet man in der Ausstellungskoje, die der frischgebackene Marion-Ermer-Preisträger in der kleinen Ausstellung im Bildermuseum hat. Wobei es sich lohnt, gerade die Oberflächenbehandlung zu würdigen, denn nie belässt er es bei der einfachen schönen Lackierung. Genauso wenig, wie er die ikonografischen Fundstücke aus dem Netz einfach schön bunt zusammenbaut, so dass der Betrachter eine neue hübsche Popart-Produktion vor sich hat. Im Gegenteil: Die Anmutung des Weggeworfenen, Abgerissenen, nutzlos Gewordenen ist selbst in jenen Bildern präsent, in denen Marian Luft die Farborgien dieser Ikonen-Welt wirken lässt. Manchmal wie ein großes, überquellendes Muster (wie in „Funtasies“), oft aber in einem Zustand, der an die organischen Objekte eines Joseph Beuys erinnert: Man erkennt noch Fetzen bekannter Figuren, bekannter Ikonen, berühmter Marken. Doch sie vergehen vor unseren Augen, schmelzen dahin, verblassen, zerrinnen, verrosten.

Und das in Bildern, die sichtlich hochprofessionell hergestellt und veredelt sind. Die Vergänglichkeit ist selbst wieder zum haltbaren Mem geworden. Man kann sie sich an die Wand hängen und hat sogar einen ästhetischen Genuss dabei. Wie bei herrlich kalligrafierten arabischen Schriftzeichen. Was auch sichtbar macht, wie sehr die Werbeikonographie unsere Interpretation der Welt beeinflusst. Wir leben ja mittendrin. Die Schriftzüge, Bilder und Gesten drängen sich überall auf, flimmern im TV, auf Internet-Seiten und mittlerweile auch in Fußgängerzonen. Sie drängen sich regelrecht auf. Und man fühlt sich zutiefst solidarisch mit diesem Künstler, der seiner ikonografischen Zerstörungswut so offenherzig Raum schafft und all diesen aufdringlichen Müll in eine Ästhetik transportiert, die ahnen lässt, dass auch digitale Kunst höchst anspruchsvoll sein kann. Wobei der Katalog andeutet, dass Marian Luft da durchaus auch noch Um- und Seitenwege zu gehen gewillt ist. Einer davon ist die farbkräftige Inszenierung unserer Körper-Konsum-Welt, wo sich die künstlichen Farbstoffe mit direktem Ekel vermischen. Den man auch wieder versteht. Denn irgendwann ist diese überzuckerte Farbwelt einfach nicht mehr erträglich, da sträubt sich alles und man möchte nur noch raus, wissend, dass kaum noch ein Raum verschont ist von dieser süßlichen, chemisch hergestellten Aufdringlichkeit.

Da kann man nur noch fragmentieren und dechiffrieren und die Meme in Partikel verwandeln, die in ein großes, schillerndes Bild der Vergänglichkeit eingehen, digital gedruckt auf Acrylglas und mit LED hinterleuchtet. Man ahnt, wie dieser junge Künstler eine Schicht nach der anderen abarbeitet. Fertig wird er damit wohl nie. Dazu ist dieser Strom der übersüßten Botschaften zu allgegenwärtig. Wir sind mittendrin. Und selten genug zeigt einer so deutlich, wie überdrüssig er dieser süßlichen Reizüberflutung ist.

Katalog „Marian Luft. Marion Ermer Preis 2016“, Museum der bildenden Künste, Leipzig 2016, 8 Euro

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