Für FreikäuferImmer wieder gibt es regelrechte Katastrophengeschichten über Schüler und Erwachsene, die nicht (mehr) richtig schreiben können, die mit der Rechtschreibung auf Kriegsfuß stehen und denen das scheinbar auch egal ist. Ist unser Verständnis vom richtigen Schreiben tatsächlich ins Rutschen gekommen? Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Dudenredaktion, war jedenfalls höchst besorgt und lud zum „Krisengespräch“ ein. Dies Büchlein zeigt das Ergebnis.

Natürlich war es nicht das übliche Krisengespräch, das Politiker gern inszenieren, bei dem man am Ende Beschlüsse fasst, die schnell für möglichst brachiale Lösungen sorgen sollen. Einige solcher Krisengespräche haben ja auch erst zu den diversen alarmistischen Meldungen geführt.

Und ganz unbesorgt waren die Gesprächspartner von Kunkel-Razum natürlich auch nicht. Immerhin kennt Ulrike Holzwarth-Raether als Lehrerin die Probleme aus ihrer langjährigen Dienstzeit. Professor Dr. Peter Gallmann kennt sie aus seiner Arbeit als Inhaber des Lehrstuhls für Deutsche Sprache der Gegenwart an der Uni Jena. Und Burghart Klaußner kennt sie aus seiner Arbeit als Schauspieler und Sprecher. Wobei er das Dilemma früh im Gespräch schon auf den Punkt bringt: Texte voller Rechtschreibfehler werden nicht ernst genommen, sie sorgen dafür, dass der Lesende seine Aufmerksamkeit auf die Fehler fokussiert. Damit werden sie praktisch unlesbar. Und unsprechbar, wenn es sich um Hörspieltexte handelt.

Das heißt ja im Klartext: Wer nicht richtig schreibt, macht dem Lesenden Mühe, sorgt dafür, dass der viel mehr Energie dafür aufwenden muss, die Botschaft des Textes zu entschlüsseln, als wenn er eine klare und stolperfreie Rechtschreibung vor sich hätte.

Natürlich beschäftigen sich die vier mit der Frage, ob das mit der Rechtschreibung tatsächlich schlimmer geworden ist in den letzten Jahren. Ist es wahrscheinlich nicht. Dazu haben sich viel zu viele Rahmenbedingungen geändert. Bis hin zu den Anforderungen, die Politiker in immer größerer Zahl der Schule übergeholfen haben. Und es hört ja nicht auf. Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht ein neuer Lobby-Verein fordert, was als nächstes noch unbedingt in der Schule unterrichtet werden soll – Medienkompetenz, Programmieren, Wirtschaft, noch die eine oder andere Religion … Es hört nicht auf.

Im Ergebnis verschwinden die Freiräume, in denen die Kinder die tatsächlich notwendigen Kulturtechniken erlernen und üben. Oder auch erst einmal Zeit bekommen, sie zu entdecken. Denn Fakt scheint auch zu sein, dass Rechtschreibung selbst bei Lehrern nicht allzu beliebt ist. Ein Teil der Didaktik scheint falsch eingepasst in die Lehrpläne – die Schönheit und Funktionalität unserer Sprache wird nicht als Entdeckung für die Kinder organisiert, sondern als dröge Pflichtaufgabe. Man merkt es gerade aus den Beiträgen von Holzwarth-Raether, dass in deutschen Schulen eine riesige Chance vertan wird, den Kindern frühzeitig zu zeigen, dass richtiges Schreiben nicht nur eine Kulturtechnik ist, sondern auch viel mit Sich-verständlich-Machen, mit Chancengleichheit und Klarheit zu tun hat.

Es sind nicht zufällig Kinder aus den sogenannten „bildungsfernen“ Schichten, die die meisten Probleme mit der Rechtschreibung haben – und die im Leben dann auch entsprechende Probleme haben, wenn Rechtschreibung eine elementare Rolle spielt – bei der Bildungsempfehlung, beim Schulabschluss, bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz oder einen Job. Jedes Mal entscheidet richtiges Schreiben darüber, ob die Bewerber überhaupt infrage kommen oder gleich aussortiert werden.

Da ist die Frage: Sorgen heutige Entwicklungen in der Technik, früher Umgang mit Computern, Musik-, Fernseh- und Jugendkultur dafür, dass das schlampige Sprechen sich auch in schlampiges Schreiben verwandelt und das völlig egal ist?

Nicht ganz. Auch wenn die Aussage nicht zu überhören ist, dass das Fehlen einer gut geübten Schönschrift durchaus auch eine Fehlstelle sein kann, wenn es um das handgreifliche Erfassen richtigen Schreibens geht. Im Grunde steuert das Gespräch der vier, das in fünf pointierte Kapitel gefasst ist, am Ende zu einem recht deutlichen Plädoyer, der Rechtschreibung in den Schulen einen neuen, schöneren Platz zuzuweisen, sie aus der Ecke der quälenden Regelpaukerei zu holen und den Kindern neue Wege anzubieten, gemeinsam zu entdecken, warum Worte Regeln haben und eine gemeinsame Rechtschreibung dazu dient, dass man sich besser versteht. Auch dass man für sich selbst deutlicher und klarer wird.

Irgendwie hat nämlich noch ein begabter Schriftsteller in der Runde gefehlt, der erzählt hätte, wie wichtig richtiges Schreiben für einen guten Stil und Lesefreude beim Leser ist. Das klingt nur beiläufig an, wenn über den Deutschunterricht der älteren Schüler gesprochen wird, die zwar viel über allerlei moderne Textformate lernen – sich aber selbst bei erstklassigen Autoren nicht mehr über Stil und die Wirkung von Worten und Sätzen unterhalten. Sie lernen nur noch „Verpackung“, aber nicht, wie gut verwendete Sprache tatsächlich funktioniert.

Einerseits ist das Büchlein natürlich eine kleine Entwarnung: So schlimm, wie es einige Politiker, Lobbyisten und Journalisten malen, ist es um die Rechtschreibung im Land (noch) nicht bestellt. Im Gegenteil: Gerade die Lehrer bestätigen, dass die Kinder von sich aus darum kämpfen, möglichst fehlerfrei zu schreiben. Es gibt keinen wirklichen Trend hin zur Zerstörung unserer Rechtschreibregeln.

Andererseits ist das Büchlein trotzdem ein Appell, die Rechtschreibung endlich aus ihrer drögen Pflichtecke zu holen und ihre Vermittlung in den Schulen zu einer Entdeckungsreise für die Kinder zu machen. Denn genug Spannendes gibt es zu entdecken, egal, ob es um die Herkunft der Worte geht (die erklärt, warum sie so und nicht anders geschrieben werden), ihre Verwandtschaft und ihre oft aufregende Rolle in den Sätzen. Denn Subjekte stellen ja bekanntlich einiges an, Verben erzählen, was sie anstellen, und Adjektive beschreiben, wie sie es tun.

Wer mehr weiß über die Struktur der eigenen Sprache – und darüber, was sie alles kann – der ist natürlich auch souveräner, selbstbewusster. Dass er ganze Welten entdeckt, die man erst als wissender Leser entdeckt, wird noch nicht mal angerissen. Aber die Botschaft ist deutlich: Wir haben eine schöne und auch klare Sprache, wenn man ihre Regeln beherrscht. Und sie ist es nicht wert, wie ein lästiges Aschenputtel behandelt zu werden. Und sie ist die wichtigste Basis für richtige Teilhabe. Denn richtiges Schreiben hängt aufs Engste mit richtigem Sprechen zusammen.

Deswegen werden einige Aussagen des Gesprächs auch fett gedruckt. Einige gehen schon in Richtung Aphorismus, so wie etwa bei Burghart Klaußner: „Gleichheit vor dem Gesetz ist Gleichheit vor dem Buchstaben oder umgekehrt.“

Man merkt schon: Die vier haben sich angeregt unterhalten, auch manchmal zugespitzt. Aber in einem waren sie sich einig: Richtiges Schreiben ist eine Freude. Und ein Geschenk für alle Leser. Und es lohnt sich die Mühe, die oft gar keine mehr ist, wenn im Unterricht viel besser vermittelt wird, warum wir so schreiben. Ein Appell an die Lehrplangestalter also: Es braucht wieder mehr Platz für eine kindgerechte Vermittlung des richtigen Schreibens – das ist auch die Basis für richtigeres Denken. Denn Sprache ist auch Denken. Da hat also auch noch ein Kognitionswissenschaftler gefehlt irgendwie. Wir wissen über die enge Verbindung von Lesen, Schreiben, Sprechen und Denken heute viel mehr. Aber wir tun immer noch so, als seien Kinderköpfe große Container, in die man lauter Wissensstoff stapeln muss.

So deutlich haben es die vier am Ende nicht gesagt. Aber es steckt natürlich in dieser nur zu berechtigten Forderung, dem richtigen Schreiben wieder viel mehr Wohlwollen entgegenzubringen.

Kathrin Kunkel-Razum und andere Warum es nicht egal ist, wie wir schreiben, Dudenverlag, Berlin 2018, 8 Euro.

Ein Clip zum Buch
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