Wenn Moni Port ein Buch illustriert, dann sollte man auf Überraschungen gefasst sein. Mal sind es furchtsame kleine Monster unterm Bett, mal Muscheln, die undeutlich reden, oder winkende Eulen im Wald. Die Illustratorin aus Frankfurt hat sich ihre kindliche Sicht auf die Welt bewahrt. Und deshalb weiß sie auch, was Kinder täglich alles um sich versammeln. Und wie sie Worte lernen zum Beispiel zu vergossener Milch und zerbrochenen Eiern.

Denn das hier ist mehr als ein Bilderbuch – eher ein Bilder-Worte-Buch, eines in vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch. Und Hessisch, wenn man gar über so ein Wort wie Apfelgrotze stolpert, das ja nun im Sächsischen ganz einfach Abbelgriebsch heißt. Eben das, was übrig bleibt vom Apfel, wenn man rundum alles weggeknabbert hat und einen schon die Kerne aus dem Gehäuse anschauen. Da muss man auch als Erwachsener nicht lange nachdenken, was das nun auf Englisch heißt oder Französisch. Das kam im Sprachenunterricht gar nicht vor. Mit solchen irdischen Banalitäten geben sich Schulbuchinhaltfüller gar nicht erst ab. Weil sie die Welt durch die Hornbrille hochgebildeter Erwachsener betrachten, die Politik viel wichtiger finden als das, was morgens am Frühstückstisch alles passiert. Wahrscheinlich sind sie da schon gar nicht mehr da und überlassen alles Mama und den Knirpsen.

Und was Knirpse von der Welt sehen, das hat Moni Port in diesem riesigen Bilderbuch als witzige Bilder gemalt – ungefähr 386, verspricht der Verlag. Ich habe es auch nicht nachgezählt. Ich bin ja auch ein großes Kind und habe lieber nach lustigen Sachen geguckt. Denn Sprache ist immer lustig, fremde Sprache erst recht. Auch wenn dann der liebenswerte Abbelgriebsch auf Französisch so würdig klingt wie ein Operettenkapellmeister: le trognon de pomme.

Das lernt man dann irgendwann, wenn die anderen Worte sitzen. Viele Kinder lernen ja früh schon mit Mama andere Sprachen. Oder im Kindergarten, weil da lauter Kinder aus anderen Länden sind. Da ist Arabisch ganz praktisch, wenn man sich nach ein bisschen Geplauder darauf einigen kann, dass Mamas Butterbrot auf Arabisch schatira belsobda heißt. Das steht extra in lateinischen Buchstaben noch mal drunter. Nicht jeder kann ja die arabischen Schreibkringel lesen. Und Keks heißt auf Arabisch biscuit – so wie im Englischen und Französischen. Man merkt schon: Manchmal wandern Worte in andere Sprachen hin und her.

So wie die Spaghetti aus dem Italienischen, die überall so heißen, außer wenn sie zu Nudeln oder makarona werden. Man kann mit dem Buch also lauter Dinge benennen lernen, die alle zum Leben als Kind gehören. Auch ein paar ganz normale Malheure – so wie den verlorenen Handschuh: un gant perdu auf Französisch. Oder die Mütze, die klein Steppke nicht unbedingt aufsetzen will. Vielleicht, weil sie Mütze heißt und nicht woolly wie in England. Klingt doch schon ganz anders. Wobei sich alle richtig schön streiten können, welche Sprache nun das beste Wort hat – etwa für Kuscheltier. Da kommen die Engländer mit ihrem soft toy nicht mit. Aber die Franzosen: le doudou.

Der Flummi fehlt im Spielzeugregal genauso wenig wie das selbst gebastelte Kastanienmännchen und – jaja, das Buch hat Moni Port bebildert – die Puppe mit den abgeschnittenen Haaren und dem kaputten Bein, die Zwille und der Teddybär, der nur in Deutschland und England nach Theodore Roosevelt benannt ist. In Frankreich heißt er nounours und im Arabischen dabdub.

Und selbst die Puppe hat in allen Sprachen einen völlig anderen Charakter: doll auf Englisch, domia auf Arabisch und auf Französisch la poupée.

Es gibt lauter riesige Doppelseiten zu den verschiedenen Lebenswelten der Kinder. Dem Spielzimmer folgt die Expedition in die Natur mit Pilzen, dem wiedergefundenen Handschuh, der Pfütze und der Ahornnase, dem Kronkorken und dem alten Schuh (na, stellt sich jetzt jeder Mamas verzweifelten Ausruf „Lass das liegen!“ vor?). Und auch die Bananenschale fehlt nicht. The banana peel, auf der Charly Chaplin ständig Leute ausrutschen ließ.

Natürlich geht es nach so einem Ausflug ins Matschige und Stachlige ins Bad mit Töpfchen, Wanne, Waschmaschine und Quietscheentchen, oder rubber ducky, wie die Engländer dazu sagen. Und man lernt gleich noch lauter neue Worte für Toilette. Von Donnerbalken bis le throne.

Dann ist das Kind zwar einigermaßen sauber. Aber nicht in Sicherheit: Eine ganze Seite widmet sich den Dingen, die gefährlich sind – vom Herd (heiß!) über Messer und Glasscherben (scharf!) bis zum kleinen grünen Kaktus (sticht! sticht! sticht!). Wenn man dann auch noch Brennnesseln, Steckdosen, Bügeleisen, Streichhölzern, Wespen und Hundekacke (pfui Teufel!) begegnet, wundert man sich eigentlich, dass man das alles überlebt hat. Aber wahrscheinlich hatte Mama die richtigen starken Sprüche drauf, so dass man mit ein paar Schnitten, Stichen und Verbrennungen ganz gut durchgekommen ist.

Fast hätte man danach eine Seite mit Arzt, Krankenhaus und Auaaua erwartet – aber als Belohnung gibt es lauter Dinge, mit denen ein richtiges Kind Musik und Krach machen kann (auch die Klorollenrassel und Mamas Kochtöpfe), bevor es eine Doppelseite mit lauter elektrischem Krimskrams gibt – samt Bandsalat und Waffeleisen. Es geht schon langsam wieder in die Küche zu Rührschüssel, Lätzchen und – na ja – passiert halt: Ei kaputt (schon wieder).

Mit lauter Rollern, Autos, Schiffen und Baggern geht’s dann heim. Wenn’s keinen Unfall gibt, crash, l’accident oder hadesha. Und das Belohnungseis fehlt auch nicht. Man staunt schon, wie viele Worte Kinder im Krabbel- und Zappelalter eigentlich schon kennen – mehr als die meisten Erwachsenen benutzen. Das Buch lädt also nicht nur ein, den Kleinen auch schon mal ein Türchen in drei andere Sprachen zu öffnen, es animiert auch, den Reichtum der eigenen Sprache wahrzunehmen und Kinder staunen zu lassen, für wie viele Dinge sie schon einen Namen kennen.

Das wichtigste Wort steht natürlich auf der Seite mit den gefährlichen Dingen auf einem dicken roten Stern: „Nein!“

Wahrscheinlich das Wort, das Mama am häufigsten sagen muss, wenn der Knirps zu neugierig ist: No! Non! La!

Dass auch Papas „Rülpsi“-Bier dazu gehört und „Vino Tinto“, dürfte manche Kinder vielleicht ein bisschen überraschen. Trinkt denn Papa nicht jeden Tag problemlos sein „Rülpsi“? Gute Frage. Aber ein spinatbekleckerter Herd (heiß) erzählt ganz von allein von einem Drama, das sich eben in wenigen Schrecksekunden abgespielt hat. Entweder hat das Kind dann ein paar schmerzhafte Brandblasen. Oder es gibt keinen Spinat zu Mittag. Darüber entscheidet dann immer die Reaktionsgeschwindigkeit von Mama.

Man sieht schon: Dieses handfeste Buch hilft der ganzen Familie. Man lernt haufenweise neue Worte. Und hat auch noch jede Menge Spaß dabei.

Moni Port Kennst du das schon?, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig, 2018, 15 Euro.

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