Natürlich ist das Buch vergriffen: „Leipzig in Farbe. Frühe Farbfotografien 1937–1947“. Erschienen 2014 im Lehmstedt Verlag. Das erste Buch, das Leipzig in farbigen Fotoaufnahmen aus Privatarchiven in dieser Zeit zeigt, als der Farbfilm erstmals auch für Amateure erschwinglich war. Ein kleiner Ersatz ist jetzt im Wartberg Verlag erschienen. Der Sammeleifer von Henning Jost macht ihn möglich.

Der Sammler stammt aus dem hessischen Dreieich und hat irgendwann angefangen, Farbfotos deutscher Städte aus den 1930er und 1940er Jahren zu sammeln. Das Internet macht’s möglich. Hier werden Sammler fündig. Und das Sammelgebiet ist reizvoll, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass in diesem Zeitabschnitt überhaupt erstmals private Farbfotografien greifbar sind, weil preiswerte Handkameras und Farbrollfilme die Fotopirsch in dieser Zeit auch für Fotoamateure bezahlbar machten. Gleichzeitig zeigen die Aufnahmen die deutschen Städte auch noch im unversehrten Vorkriegszustand.

Ein reizvolles Thema auch für Liebhaber von Stadt- und Architekturgeschichte. Im Wartberg Verlag sind schon einige solcher kleinen Fotobände zu Städten wie Wiesbaden, Darmstadt, Stuttgart, Kiel und Bremen erschienen.

Jetzt hat Henning Jost auch für Leipzig so eine kleine Fotostadttour zusammengestellt, die freilich in Teilen auch auf farbige Bilder der 1910er und 1920er Jahre zurückgreift. Aber natürlich zeigen auch diese in vielen Fällen Stadtdetails, die man heute nicht mehr sehen kann, weil sie im Krieg zerbombt und in den Folgejahren abgerissen wurden. Diese früheren Aufnahmen sind in der Regel kolorierte Aufnahmen. Und sie zeigen auch nicht wirklich die Großstadt mit all ihrem Straßenleben, den Lichtern, dem Gedränge. Das schafften erst die Kameras der 1930er Jahre.

Und sie zeigen eine doppelt fremde Welt. Denn der Großstadtglanz der 1920er Jahren, den es auch in Leipzig gab, war nach dem Krieg genauso verschwunden und wich einer zunehmenden Tristesse und Gräue, wie das zum Teil sogar noch mittelalterliche Flair einiger Innenstadtgassen. Denn gerade sie wurden ein Opfer der Flammen, während die noch recht neuen Messepaläste mit ihren Stahlbetonkonstruktionen oft dem Bombenhagel widerstanden und nach dem Krieg bald wieder nutzbar gemacht werden konnten.

Henning Jost hat sich Mühe gegeben, die von ihm für diesen Band gesammelten Aufnahmen genau einzuordnen und die wichtigsten Fakten zu den abgebildeten Orten und Gebäuden zu recherchieren. Was ja nicht unbedingt selbstverständlich ist, wenn man nicht selbst in Leipzig lebt. Und einige der ausgewählten Ansichten sind durchaus erklärungsbedürftig, weil von den abgebildeten Gebäuden heute kein einziges mehr steht – etwa die Johanniskirche im Winter 1941, zwei Jahre, bevor sie von den Bomben des 4. Dezember 1943 getroffen werden würde. Dasselbe gilt fürs Naundörfchen.

So wundert es nicht, wenn Jost zwar die Fakten zum „Kohlrabizirkus“ zusammenträgt, aber nicht über die Straßenbahnen im Vordergrund des Fotos von 1938 stolpert, die eindeutig als Lastentransport zu erkennen sind. Für Leipzig ja damals etwas Besonderes: Straßenbahnen als Gütertransporteure.

Zum alten List-Harkort-Denkmal, zu dem er ein seltenes Foto von 1928 beibringt, weiß er zwar, dass die Büste Gustav Harkorts einen neuen Sockel bekommen hat – aber ein Leipziger Stadtforscher hätte ihm verraten, dass sowohl Harkorts als auch die Büste von Friedrich List ihren neuen Aufstellungsort im Hauptbahnhof gefunden haben.

Und beim scheußlichen Bismarck-Denkmal, das einst im Johannapark stand, vermutet er „ideologische Gründe“ für dessen Abriss 1946. Beim Wort „ideologisch“ könnte man ja mittlerweile richtig allergisch werden. Aber um das Jahr 1946 wurden überall in Deutschland Bismarck-Denkmäler abgebaut, genauso wie all die Hindenburg- und Siegesdenkmäler. Für die Überlebenden des 2. Weltkriegs war die nationale-preußische Linie, die in den fürchterlichen Krieg geführt hat, noch sehr nachvollziehbar. Sie hatten die Nase voll von all diesen Säbelrasslern – in West wie Ost. Nur wenige Bismarckdenkmäler blieben deutschlandweit dann oft aus Verlegenheit oder Gleichgültigkeit stehen.

Und die Leipziger räumten damals auch kurzerhand das bombastische Siegesdenkmal vom Marktplatz. Die Information fehlt dann zum entsprechenden Bild.

Wobei dann auch verwundert, dass Jost gleich zwei Aufnahmen des Alten Gewandhauses im Musikviertel von 1932 und 1939 liefert, aber nicht erwähnt, warum in der zweiten Aufnahme das Mendelssohn-Denkmal fehlt.

Ist das jetzt zu kritisch gesehen? Ich denke nicht. Denn es gibt die Faszination der alten Bürgerstadt in ihrem noch unzerstörten Zustand nicht ohne den heillosen Zivilisationsbruch, den die Nationalsozialisten über Deutschland brachten. Und nicht ohne dessen direkte Folgen für das Stadtbild. Man sieht eine scheinbar friedliche Großstadt vor sich, in der die Menschen ihren täglichen Verrichtungen nachgehen. Kriegsgerät oder Uniformen sind in den Fotos nicht zu sehen. Die Fotografen wollten augenscheinlich wirklich die Schönheit ihrer Stadt im Foto festhalten.

Manchmal gelangen ihnen auch Aufnahmen, die man in den offiziellen Archiven vergeblich sucht. Manchmal wirken die Bilder sogar so frisch, dass man geneigt ist, einfach hineinzutreten ins Bild und den Sonnenschein am Teich im Johannapark zu genießen oder sich auf einer Bank vor dem Bildermuseum am Augustusplatz ein wenig die Sonne auf die Nase scheinen zu lassen. Gerade beim Bauensemble am Augustusplatz vereinen sich ja die Folgen eines rücksichtslosen Krieges mit der Kulturarroganz sozialistischer Sprengmeister.

Den stärksten Eindruck aber machen die Nachtaufnahmen eines weltstädtischen Leipzigs, die von einer historischen Alternative erzählen, die Deutschland 1933 so gründlich vergeigte. Wer freilich umblättert, sieht auch, dass sich das Weltstädtische in Leipzig immer auch mit einer rührseligen Erinnerungskultur vermischte, die dann in Altleipziger Kneipen und Restaurants ihr Abbild fand.

Was aber eben oft auch noch mit einer aus dem Mittelalter stammenden Gassenstruktur konform ging, ganzen Straßenzügen abseits der Prachtstraßen, in denen sich noch die enge Bebauung aus Renaissance und Barock erhalten hatte. Eben das, was selbst die Zeitgenossen schon als Relikt empfanden und auf Postkarten als „Alt-Leipzig“ bezeichneten.

Westdeutsche Städte nutzten die Folgen der Bombardements oft dazu, mit der alten Bausubstanz komplett aufzuräumen und die Innenstädte mit breiten Straßen aufzuhämmern. In Leipzig blieb vieles schon deshalb stehen, weil man schlicht kein Geld hatte, um Ersatz zu bauen. So mangelt es auch nicht an Straßenzügen, die man sehr leicht wiedererkennt, manchmal vielleicht nur ein wenig irritiert, weil ganz weit hinten noch Häuserzeilen ins Bild lugen, die die Platzsituation völlig verändern. So etwa am Naschmarkt.

Da viele Ruinenfelder nicht wieder bebaut wurden, erlebte auch Leipzig eine Auflichtung seiner Innenstadt, aus der die meisten Aufnahmen in diesem Buch stammen. Ein paar Ausflüge über den Promenadenring hinaus weiten den Blick – etwa in den Zoo oder in den Alten Johannisfriedhof, der hier im Zustand des Jahres 1914 zu sehen ist, noch ohne Grassi-Museum.

So rundet sich das Büchlein dann doch noch zu einem bilderreichen Ausflug in ein Leipzig, wie es vor dem Krieg zu erleben war, noch unversehrt. Eine Stadt, der man nicht ansieht, dass in ihren (hier nicht zu sehenden) Industriequartieren schon die Aufrüstung läuft und der Krieg vorbereitet wird, der mit britischen Bombergeschwadern wenig später zurückkehren würde. Wer sich da noch wundert, dass später die Kriegerdenkmale eingeschmolzen wurden, ignoriert die Ruinen, die in diesem Bildband nicht mehr oder eben noch nicht zu sehen sind.

Henning Jost Das alte Leipzig in Farbe, Wartberg Verlag, Gudensberg-Gleichen 2019, 12 Euro.

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