Wer den Leipziger Ortsteil Connewitz begreifen will, muss sich mit der Vokabel Hedonismus beschäftigen. Wahrscheinlich müssen da die meisten erst mal im Wörterbuch nachschlagen, was das eigentlich bedeutet. Aber wenn man es tut, merkt man möglicherweise, dass man dem Hedonismus mit Polizeiwachen nicht beikommt. Und Connewitz und seinem über die Stränge schlagenden Völkchen schon mal gar nicht.

Und eine Band gibt es dazu natürlich auch, die Hedonismus auf und hinter der Bühne zelebriert: S.U.F.F. Vor 30 Jahren gegründet. Zeit für eine Rückschau aus berufener Feder.

Denn Abo Alsleben war von Anfang an dabei. Sein Buch ist auch ein Dank an all die Leute, die in den 30 Jahren mitgemacht haben. Denn S.U.F.F. war eigentlich immer ein Projekt, zelebrierter Musikspaß auf der Bühne. Durchaus auch in Ostdeutschland auf Tournee. Aber beheimatet und verwurzelt ist die Band vor allem in Connewitz.

Und entstanden natürlich als Schnapsidee auf einer wilden Tour nach Prag im fernen Jahr 1995, die im Grunde thematisch schon alles vorwegnahm, was aus dieser Bande einmal werden sollte. Samt fröhlich fließenden Strömen Bier und kühnen Plänen auf der Rückfahrt, die dann schon mal in der Namensgebung für die zu gründende Band gipfelte. Simpel und einfach. Mit Punkten dazwischen: S.U.F.F.

Gitarrist und Probenraum mussten noch gefunden werden. Und was man nicht konnte, konnte man ja üben. Schon der Start machte klar: Diese Musiktruppe würde ganz gewiss nie bei Schlagerparaden auftreten, wohl auch nie in Stadien (von dem des erst viel später gegründete Roten Sterns einmal abgesehen).

Aber alle, die mitmachten, würden einen unheimlichen Spaß haben auf der Bühne – mit richtig dollem Punkrock, der in keine Schublade passt, jeder Menge Spaß an Verkleidung und Show. Zwei Guinness-Buch-Rekorde holte sich die Truppe auch noch. Sie müsste also irgendwie auch weltberühmt sein. Ist sie aber nie geworden.

Klamauk und Polizei

Denn ihre Fanbase hat sie immer in Leipzig und speziell in Connewitz gehabt. Auch weil hier ihre Songs zu Hause waren, von denen Abo selbst etliche beigetragen hat. Songs, die vom entfesselten Leben genauso erzählen wie von der sehr speziellen Freundschaft mit der Polizei, die ja bekanntlich ein besonders wachsames Auge auf diese Connewitzer hat, die so gern „All Connewitzer are beautifull“ an die Wände malen. Oder zu Silvester Klamauk am Kreuz veranstalten. Und nicht nur dann.

Aber wächst man da nicht irgendwann heraus? So wie auch Leipzig aus den ziemlich ramponierten 1990er Jahren herausgewachsen ist? Werden aus jungen Heißspornen, die auf der Bühne alles geben, nicht irgendwann auch gestandene Väter, die sich um Kinder und Haushalt kümmern müssen? Teils, teils. Die Geschichten, die Abo Alsleben über den zweimal praktizierten Indianerüberfall auf die von Cowboys gekaperte Eisenbahn am Auensee erzählt, machen wohl endgültig klar, dass Erwachsenwerden und Vatersein niemanden daran hindern, ab und zu einmal wieder das große Kind im Manne herauszulassen. Und die Kinder machen mit.

Schlechte Vorbilder, würde wohl die verkniffene Leipziger Sonntagsgesellschaft dazu sagen. Aber wer will schon Väter, die vor lauter Erwachsensein langweilig geworden sind wie Trockenbrot? Obwohl auch 30 Jahre S.U.F.F. keine Rodelpartie waren. Manchen, der am Anfang mit dabei war, zog es auf andere Bahnen. Mancher stieg aus, weil es zu viel wurde.

Dafür kamen andere dazu. Zeitweilig standen 15 Musiker/-innen auf der Bühne. Und brav wurde die Truppe sowieso nie. Auch wenn es dann nach den ersten fünf furiosen Jahren etwas lückenhafter zuging im Kalender und die launigen Aktionen, mit denen Festivals und Wettbewerbe gesprengt wurden, seltener wurden.

Heimatbasis Connewitz

So wie es Abo Alsleben erzählt, merkt man schon, dass sich für viele Mitstreiter von S.U.F.F. die Lebensmittelpunkte deutlich verschoben. Selbst in Connewitz gehen Familie und Kinder irgendwann vor, fällt die Wahl zwar schwer, mit S.U.F.F. die Nächte durchzufeiern oder doch lieber wilde Sonntage mit den Kindern zu erleben. Aber wählen muss man.

Und das prägte dann die Geschichte der Band in den nächsten Jahren, die sich zu Höhepunkten und Benefiz-Aktionen doch immer wieder zusammenfand. Und Benefiz braucht es in Connewitz und darüber hinaus immer wieder. Zum Beispiel, wenn in der Lieblingskneipe die Mieten durch die Decke gehen. Da schickt man kein Beileidsschreiben, sondern lädt ein zum Kneipenkonzert.

Und zwischen all den Auftritten fand die Truppe auch immer wieder Zeit, ins Studio zu gehen und eine neue Scheibe mit neuen Songs für die Fangemeinde einzuspielen. Acht Tonträger habe man in der Zeit eingespielt, bilanziert Abo Alsleben, außerdem zwei Filme gedreht. Und dazu noch dutzende Videoclips, die man alle in der Suffgalaxie auf YouTube finden kann.

Für alle, die S.U.F.F. tatsächlich noch nicht kennen, ist das der schnellste Einstieg in die Musik dieser Truppe, die eben doch immer ein Stück mehr war als die selbsterklärte Spaßguerilla. Denn was da mit jeder Menge Zinnober und Begeisterung gesungen wurde und wird, erzählt nun einmal auch von der Connewitzer Wirklichkeit, in der nicht nur übereifrige Polizisten und jede Menge Alkohol vorkommen, sondern auch diverse Nazi-Überfälle.

Sodass Connewitz und sein hedonistisches Völkchen hier im Grunde immer den Background abgeben. Spielt S.U.F.F. in Connewitz, ist die Bude voll. Auch deswegen, weil die Truppe den hier Lebenden aus dem Herzen spielt. Oder sollte man eher von Eingeborenen sprechen, wo doch Connewitz eine Art Paradiesinsel ist, über die Abo Alsleben schon drei dicke Bücher geschrieben hat: „Tschüss, Deutschland“, „Ahoi, Connewitz“ und „Punkrock Hooliganz“. Wer wissen will, wie die Leute in diesem besonderen Leipziger Kiez ticken, sollte sie lesen. Sofern er noch irgendwo ein Exemplar auftreiben kann.

Heilige Kühe

Mit „30 Jahre S.U.F.F“ taucht Abo Alsleben in dasselbe Milieu ein, auch wenn an der realen Existenz von S.U.F.F. kein Zweifel besteht. Zeitweilig schien das Projekt ja auch schon mal einzuschlafen. Aber dann taten sich immer wieder Unentwegte zusammen und beschlossen, doch wieder ein Programm auf die Beine zu stellen. Öfter auch mit Musikerkollegen aus anderen Bands. Denn Connewitz beherbergt nicht nur eine Band. Man kennt sich, hilft sich und hat zusammen jede Menge Spaß, wenn es wieder in wilder Verkleidung auf die Bühne geht.

Lebendig wird Alslebens Erzählung nicht nur durch die vielen Fotos, die die Geschichte von S.U.F.F. sichtbar machen, sondern auch durch viele Zitate von einstigen und noch aktuellen Mitgliedern der Band. Denn auch jene, die den Bühnenauftritt in den 1990er Jahren prägten, sind nicht im Groll gegangen und sind ihrer alten Truppe nach wie vor verbunden.

Und weil jeder die Sache aus seiner eigenen Perspektive sieht, hat Abo Alsleben die Interviews mit den einstigen Stars der Truppe seinem Bericht einfach angehängt, dazu noch Fränki Pänkis Tagebuch aus den Jahren 1998 bis 2000, als im Grunde ein Abenteuer das nächste jagte. So dicht, dass einem nüchternen Zeitgenossen durchaus schwindelig werden kann.

Und wirklich zu Ende ist die Geschichte nicht. Nur das 30-Jährige musste jetzt mal gewürdigt werden, ein durchaus erstaunlicher Geburtstag für ein Projekt, das auf einer bierseligen Reise nach Prag praktisch geboren wurde. Aber irgendwie spürt man auch: Connewitz braucht so eine Truppe. Sie ist das singende Gewissen eines Ortsteils, der seinen Hedonismus gegen staatliche Kontrollsucht genauso verteidigt wie gegen vergnügungsfeindliche Nazis.

Keine Frage, dass sich auch Abo Alsleben zu einem Dasein als hedonistischer Lebenskünstler bekennt. Womit man – auch mit S.U.F.F. – eine Ahnung davon bekommt, wie sehr Connewitz bis heute ein großes Experiment in gelebtem Hedonismus ist. Und deshalb auch von Verfassungsschützern seit 35 Jahren argwöhnischst beobachtet wird. Denn das kann ja nicht sein in einem Land, in dem Ordnung und Sauberkeit die heiligen zwei Kühe sind.

Aber manchen Leser wird das Buch bestimmt neugierig machen auf ein S.U.F.F.-Konzert. Man muss nur die Augen aufhalten, damit man es nicht verpasst.

Abo Alsleben „30 Jahre S.U.F.F. Mit der Spaßguerilla durch Ostdeutschland“, DIY 04277 Books, Leipzig 2025, 13,12 Euro.

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