Im Grunde hätte "Spiegel Online" zum letzten Weltklimagipfel dasselbe schreiben können wie zum so elend im Kompromiss versackten europäischen Klimagipfel in der vergangenen Woche: "Einigung auf EU-Gipfel: Merkels fauler Klimadeal". Wenn Staatschefs miteinander verhandeln, haben sie nie das Große, Ganze im Blick, sondern - sie wollen ja wiedergewählt werden - die Erwartungen ihrer Klientel. Nicht mehr, nicht weniger, so faul.

Das menschliche Handeln umzusteuern, damit die kommenden Klimakapriolen nicht unsere so wertvollen und so leicht zerstörbaren Infrastrukturen zerfetzen, braucht es einen großen Blick fürs Ganze, den Mut, ganze Volkswirtschaften umzusteuern und Projekte wie die deutsche Energiewende zielstrebig durchzuführen. Ohne die Eiertänze, die die diversen Merkel-Regierungen nun hinter sich haben. Und der Auftritt der deutschen Vertretung beim EU-Klimagipfel war Teil dieser Eiertänze. Um Visionen oder Projekte ging es da unübersehbar nicht. Hinter der merkelschen Energiepolitik steht kein Konzept, kein Fahrplan oder wie immer man das nennen möchte. Nicht einmal eine schlüssige Informationsstrategie, die dem neugierigen Wähler erklären würde, welche Schritte notwendig wären, um das Land in wenigen Jahrzehnten energieautark zu machen.

Das würde auch Konzepte für die jetzt immer wieder dazwischen funkenden Energiekonzerne bedeuten.

Ganz aufgeben aber wollen auch die Klimaforscher nicht, die am 23. Oktober noch einmal ihre Position bekräftigten, dass ambitionierte EU-Ausbauziele für Erneuerbare Energien ökonomisch sinnvoll sind. Mit Betonung auf ökonomisch.

“Die europäische Energiepolitik braucht auch nach 2020 ambitionierte Ausbauziele für Erneuerbare Energien, aber auch Freiräume bei deren nationaler Umsetzung.” Das ist das Ergebnis einer internationalen Studie unter Leitung von Umweltökonomen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ). Das in letzter Zeit häufig kritisierte deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) stehe auch nicht im Widerspruch zur Idee des europäischen Binnenmarktes, so die Wissenschaftler.

Am Donnerstag durften sie noch hoffen. Sie hatten ja keine anderen Signale. Die große Politik blinkte fröhlich “links” – und bog dann bekanntermaßen in gemächlicher Ruhe nach rechts ab.

“Gegenwärtig verhandeln die europäischen Regierungschefs in Brüssel über die Ziele der europäischen Klima- und Energiepolitik für das Jahr 2030. Eine Verschärfung des verbindlichen Klimaziels scheint grundsätzlich Konsens zu sein. Hingegen bestehen noch klare Differenzen, wie es mit dem Ausbauziel für Erneuerbare Energien weitergeht”, meinten die UFZ-Forscher. “Wie stark soll der Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 erhöht werden? Und sollen feste Ausbauziele auch für einzelne Mitgliedsstaaten festgelegt werden oder nur für die EU insgesamt?”

Die UFZ-Forscher sprechen sich in ihrer Studie für ambitionierte und auch auf Länderebene verbindliche Erneuerbaren-Ziele aus.
“Die mit der Energieerzeugung verbundenen Umweltauswirkungen sind vielfältig und betreffen nicht nur die Erderwärmung: Sie reichen vom Abbau der Energieträger (etwa Landschaftsverbrauch durch Kohletagebau) über deren Einsatz zur Strom-, Wärme- und Krafterzeugung (Feinstaubemissionen und nukleare Störfälle) bis zur Entsorgung von Atommüll oder Importrisiken”, erklärt Dr. Paul Lehmann vom UFZ.

Um all diese Probleme anzugehen, sei es wichtig, am Ausbau der erneuerbaren Energien festzuhalten und sich hier weiterhin ambitionierte Ziele zu setzen. Eine umweltverträgliche Gestaltung der europäischen Energieerzeugung erfordere auch aus rein ökonomischer Sicht einen Mix aus Zielen und Instrumenten, zu dem der Ausbau Erneuerbarer Energien und ihre Förderung sinnvoll beitragen können. Modellberechnungen der UFZ-Ökonomen zeigen, dass zusätzliche Ziele für den Ausbau Erneuerbarer volkswirtschaftlichen Mehrwert erbringen könnten. Die Förderung Erneuerbarer Energieträger würde den Einsatz nuklearer und teilweise auch fossiler Brennstoffe in der Stromerzeugung und die damit verbundenen Umweltschäden verringern. Gleichzeitig fielen die volkswirtschaftlichen Zusatzkosten verhältnismäßig gering aus.

Immer wieder fordere zudem die Europäische Kommission – aber auch deutsche Politiker und Wirtschaftsvertreter – eine stärkere “Europäisierung” der deutschen Energiewende, kommentiert das UFZ. So würden regelmäßig Zweifel geäußert, ob das jüngst reformierte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) mit dem europäischen Wettbewerbsrecht und der Idee des Binnenmarktes vereinbar sei. Eine insgesamt sehr heterogene energiepolitische Landschaft in der EU lasse aber weiterhin Raum für nationale Ansätze, zumal eine vollständige Harmonisierung auch ökonomisch nicht auf allen Feldern der Energiepolitik – anders als beim Klimaschutz – überhaupt sinnvoll sei. Das EEG verstoße aus Sicht der Umweltökonomen auch nicht gegen das EU-Beihilferecht: So seien die Ausnahmeregelungen für bestimmte Industriezweige zwar staatliche Beihilfen und auch im EEG 2014 zu weitreichend geraten. Sie würden den europäischen Wettbewerb aber nicht verfälschen, da niemand besser gestellt werden kann als ein EU-Konkurrent.

Die jüngsten Vorschläge der Kommission zu den Leitlinien für die Förderung Erneuerbarer Energien sehen zusätzlich vor, dass diese überall in der EU mittelfristig auf Ausschreibungsmodelle umzustellen sind. Ausschreibungsmodelle sollen gezielt die günstigsten Produzenten von Erneuerbaren Energien fördern.

“Eine derartige Harmonisierung hat jedoch auch Nachteile: Letztlich ist noch gar nicht klar, wie die langfristigen Herausforderungen der Umstellung auf Erneuerbare am besten angegangen werden müssen. Entsprechend könnte sich eine dezentrale Suche nach Lösungen – etwa durch ‘Politikexperimente’ der Mitgliedsländer – auf Dauer als effizienter herausstellen als eine zentral verordnete Vereinheitlichung der Förderpolitik”, gibt Prof. Erik Gawel vom UFZ zu bedenken.

Eine weitgehende Zentralisierung energiepolitischer Kompetenzen oder eine entsprechende Harmonisierung von Politikansätzen auf europäischer Ebene halten die Umweltökonomen um Gawel und Lehmann weder für realistisch noch für erstrebenswert. Zum einen umfasse die Energiepolitik unterschiedlich zu beurteilende Felder wie Klimapolitik, Technologiepolitik, Energieeffizienzpolitik oder Binnenmarkt- und Netzpolitik. Zum anderen seien auch die Vorstellungen der Bevölkerung in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich, was jene Auswirkungen der Energieversorgung angeht, die nicht über Märkte bewertet werden können – wie etwa die Risiken der Atomenergie oder den Einsatz Norwegens als “grüner Batterie” Europas. Außerdem könnte eine europaweit organisierte Stromversorgung zur Aufgabe nationaler Produktionsstandorte und damit zum Verlust an regionaler Wertschöpfung sowie zu neuen Herausforderungen bei der Netzstabilität führen.

So gesehen also eine Haltung, die durchaus mit dem leben kann, was der “Spiegel” als “Gefahr der Zersplitterung” sieht. “Es droht in der Klimapolitik ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten”, zitiert “Spiegel Online” Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Germanwatch. Als wenn es das nicht schon gäbe, sogar ein Deutschland der verschiedenen Geschwindigkeiten. Vielleicht ist es wirklich Zeit, von diesem Glauben an ein gemeinsames Tempo Abschied zu nehmen. Dieser Versuch könnte sogar noch teurer ausfallen als eine “deutsche Vorreiterrolle”, denn wenn es dem Technologieland Deutschland gelingt, sich von Atommeilern, Kohlekraftwerken und gar noch russischem Erdgas unabhängig zu machen, sorgt das ganz von allein für einen neuen Markt.

Dann wird es zu eine ingenieurtechnischen Aufgabe, wenn es um Versorgungssicherheit und Energieeffizienz geht. Die Wissenschaftler fragten also zu recht, “für welche energiepolitischen Handlungsfelder eine Vergemeinschaftung auf EU-Ebene aus ökonomischen Gründen überhaupt angezeigt ist.” Und gerade beim Thema Ausbau der Erneuerbaren Energien sahen sie keinen wirklich Hinweis, dass das auf europäischer Ebene geklärt werden muss. Und beim Thema Zertifikatehandel (CO2) kneifen die EU-Gremien immer wieder, weil, sie eine Gefahr für ihre nationalen Kohlekraftwerke und emissionsstarken Industrien sehen.

Das Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist also Fakt und wird wohl genau so lange erhalten bleiben, bis die deutsche Energiewende überzeugt.

Mit Material des UFZ/Tilo Arnhold

www.ufz.de

Das Diskussions-Papier:
www.ufz.de/export/data/global/56659_DP_4_2014_Gawel_et_al_Europa.pdf

“Spiegel Online”-Beitrag vom 24. Oktober: Einigung auf EU-Gipfel: Merkels fauler Klimadeal
www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/eu-gipfel-zum-klima-deutschland-kann-ziele-nur-teilweise-erreichen-a-998990.html

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