Da staunten nicht nur wir in der L-IZ-Redaktion, was die „Zeit“ am 13. August online ihren Lesern als Leckerbissen servierte: Ein uraltes Buch voller Zaubersprüche, das auf geheimnisvolle Weise ausgerechnet in der Universitätsbibliothek Leipzig aufgetaucht sein sollte. „Es ist Magie! 10.000 Seiten uralter Zaubersprüche entdeckt“, konnte man da lesen.

Und: „Verstaubt in der Unibibliothek, Jahrhunderte alt: In Leipzig ist eine einzigartige Ritualsammlung aufgetaucht. Geister beschwören, sich unsichtbar machen – so geht’s.“

Wahrscheinlich war schon das Wort „verstaubt“ der Punkt, an dem Ulrich Johannes Schneider, Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig, mit den Augen rollte. Als wenn Leipzigs Universitätsbibliothek irgendeine verwunschene Klosterbibliothek wäre, in der die Spinnen weben und der Staub sich ablagert und nur aller 100 Jahre mal ein begeisterter Forscher vorbeikommt, der dann die sensationelle Entdeckung des Jahrhunderts macht.

Aber die Bibliothek hat nicht nur ein paar Milliönchen gekostet. Sie ist auch auf modernstem Stand. Und Bücher findet man dort auch nicht zufällig, wenn man sich mal mit der Taschenlampe in vergessene Gänge verirrt.

„Nix verstaubt und nix entdeckt, sondern gut bekannt und digital: Magische Handschriften in Leipzig“, meldet Schneider also postwendend.

Wahrscheinlich wollte es „Zeit“-Redakteurin Alina Schadwinkel auch nur ein bisschen spannender machen. Kinogänger sind es ja gewohnt, dass geheimnisvolle alte Bücher in längst vergessen geglaubten uralten Bibliotheken gefunden werden und dann richtig viel Wirbel verursachen. Staubigen zumeist.

Aber in diesem Fall ging es um ein Buch, das am 17. September auf Englisch erscheinen und sich genau mit diesem Leipziger Schatz beschäftigen soll: „Magical Manuscripts in Early Modern Europe. The Clandestine Trade in Illegal Book Collections“ (Basingstoke 2017; Palgrave MacMillan, New Directions in Book History), verfasst von Daniel Bellingradt und Bernd-Christian Otto. Bevor es auf Deutsch kommt, wird es wohl noch ein bisschen dauern.

Aber für die Wissenschaft fülle das Buch erst einmal eine große Forschungslücke, so Schadwinkel, denn mit den Schriften zur Magie im 18. Jahrhundert habe sich bislang wohl noch niemand so ausführlich beschäftigt.

Und das zugrundeliegende Leipziger Buch sei als Grundlage für diese Forschung einzigartig. Aber nicht nur dieses, betont Schneider. Denn die beiden Forscher haben sich überhaupt nicht zufällig in die Leipziger Sammlung verirrt.

„Die UB Leipzig besitzt tatsächlich eine der weltweit bedeutendsten Handschriftensammlungen zur Magie. Die gesamte Sammlung stammt aus der Leipziger Ratsbibliothek und kam 1962 in die Universitätsbibliothek (Signaturgruppe Cod.mag. = Codices magici). Erstmals beschrieben wurde die Sammlung in einem gedruckten Handschriftenkatalog der Leipziger Stadtbibliothek 1840 von Ernst Naumann. Die gesamte Sammlung wurde wiederum 2011 in den Katalog des Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes katalogisiert und digital bereitgestellt, d. h. die gesamte Sammlung der Codices magici kann im Internet eingesehen werden“, so Schneider.

Die beiden Forscher mussten also weder Taschenlampen benutzen noch Staub wegpusten. Sie konnten alles vom Computer aus erforschen.

Der Titel, aus dem wohl ihr Material stammt, nennt sich nach Hinweis von Ulrich Johannes Schneider „Clavicula Salomonis filii David – Cod.mag.85“. Da hat man fast schon so einen alten Faust-Gelehrten vor sich, dem die reinen Naturwissenschaften zu langweilig wurden und der in alten Schriften zur Magie die Formeln zur Beschwörung von Geistern, Nymphen und Mephistophelen sucht. Vielen Zuschauern der Goetheschen „Faust“-Dramen ist kaum bewusst, wie sehr dieser Habe-nun-ach-Forscher tatsächlich auf den alten Pfaden von Alchemie, Goldmacherei und Geisterbeschwörung wandelt.

Aber die Leipziger Bibliothek will von diesem Schatz auch selbst mehr zeigen.

„Die UB Leipzig arbeitet derzeit an einer Präsentation ihrer digitalisierten Schätze und will diese im Frühjahr 2018 als eigene Plattform präsentieren, dann auch mit den Zauberbüchern“, kündigt Ulrich Johannes Schneider an. „Im Herbst 2019 ist eine Ausstellung dieser Sammlung geplant, in Zusammenarbeit mit der UB Leipzig kuratiert von Prof. Dr. Marko Frenschkowski von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Er ist Experte für diese Literatur.“

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