Für FreikäuferHat das, was ein Archäologen-Team unter Beteiligung von Dr. Angelika Berlejung von der Universität Leipzig jetzt bei Ausgrabungen nahe der israelischen Küstenstadt Aschdod gefunden hat, vielleicht etwas mit Funden aus dem alten Heliopolis zu tun, über die Dr. Dietrich Raue, Kustos des Ägyptischen Museums – Georg Steindorff, berichtet? Möglich ist es. Aber selbst eine Erinnerung an Goliath wird wach.

Eigentlich befindet man sich ja irgendwie in der frühen Epoche der jüdischen Staatsbildung, all den biblischen Geschichten um das Königreich Davids und das Aufkommen der Assyrer. Aber die Überreste menschengroßer Statuen, die die Archäologen jetzt in Palästina gefunden haben, erzählen eine andere Geschichte, die mit den biblischen Geschichten eher nichts zu tun zu haben scheint.

Einem deutsch-israelischen Team um die Theologin Prof. Dr. Angelika Berlejung von der Universität Leipzig und Prof. Dr. Alexander Fantalkin von der Tel Aviv University ist dieser Fund nun im Sommer bei Lehrausgrabungen nahe der israelischen Küstenstadt Aschdod erstmals gelungen. Als die Wissenschaftler die bronzenen Augenumrisse einer lebensgroßen Statue im Sand entdeckten, war das eine echte Sensation.

Aufgrund ihrer Größe vermutet Berlejung, dass die Bronzeaugen und deren Augäpfel aus Muscheln zu einer Gottes- oder Königsfigur aus Holz beziehungsweise Stein gehörten. Dies sei ein außergewöhnlicher Fund für die Region um die einstige Hafenstadt Tel Aschdod-yam in Palästina, 45 Autominuten von Jerusalem entfernt. Das Team aus Professoren und Studierenden der Universitäten Leipzig und Tel Aviv fand zudem Goldfragmente und Plättchen von Fayence sowie hochwertige Keramikware aus der Eisenzeit (8. bis 7. Jahrhundert v. Chr.).

„Luxusgüter dieser Art lassen darauf schließen, dass wir da an einem Ort gegraben haben, der von der gut situierten Elite der Siedlung bewohnt war – etwa ein Tempel oder ein Palast“, ordnet Berlejung die Ausgrabungsfunde ein. Darauf deute auch das Vorderteil eines Löwenkopfes hin, das als Schmuck an einem Gefäß oder an der Wand eines Bauwerks angebracht war.

Die mittlerweile zerstörte Hafenstadt Aschdod-yam könnte für Jerusalem und Südpalästina eine wichtige Bedeutung für die Handelsbeziehungen zum Mittelmeer gehabt haben, vermuten die Ausgräber. Auch strategisch war sie wichtig. Daher schließt Berlejung nicht aus, dass es einen Zusammenhang mit den jüngsten, spektakulären Ausgrabungsfunden ihres Leipziger Kollegen Dr. Dietrich Raue gibt. Der hatte aufsehenerregende, riesige Teile einer kolossalen Statue des Pharaos Psammetich I. (664 bis 610 v. Chr.) in Ägypten gefunden. Da sich die Funde der Leipziger Wissenschaftler auf dieselbe Zeit datieren lassen und es weitere Hinweise gibt, vermutet Berlejung, dass der ägyptische Pharao die Stadt vernichtet hat, an der sie jetzt in Israel forscht. In den kommenden Jahren werden die Wissenschaftler diese Spur weiterverfolgen.

Aschdod lag zwar nicht weit entfernt von Jerusalem, gehörte aber zum Land der Philister, deswegen findet man Informationen zum historischen Aschdod auch bei Wikipedia unter dem Stichwort Philister. Mitsamt den von der Bibel erzählten kriegerischen Auseinandersetzung, die sich bislang archäologisch nicht nachweisen ließen.

Der Satz dazu auf Wikipedia: „Ab der mittleren Königszeit (etwa 9. Jahrhundert v. Chr.) ist relativ plötzlich und ohne genaue Erklärung in der Bibel von den Philistern nur noch ganz vereinzelt die Rede, während andere Nachbarvölker in den Vordergrund rücken.“

Waren es also die Ägypter, die Aschdod zerstört haben? Oder nicht doch die Juden, die im Alten Testament so blutige Schlachten und Städtevernichtungen schilderten?

Ganz verschwand Aschdod freilich nicht von der Landkarte.

Das internationale Team bei der "bucket line". Foto: Prof. Dr. Angelika Berlejung/Universität Leipzig
Das internationale Team bei der „bucket line“. Foto: Prof. Dr. Angelika Berlejung/Universität Leipzig

Auch die Ausgrabungen in Aschdod-Yam waren nicht nur von der vorchristlichen Zeit geprägt. Im Zuge einer Pilotausgrabung in Zusammenarbeit mit der israelischen Antikenbehörde haben die Leipziger und Tel Aviver Forscher zwischen modernen Villen von Aschdod Überreste einer byzantinischen Kirche oder eines Klosters der Monophysiten freigelegt. Die katholische Kirche erklärte diese Interpretation der christlichen Lehre 451 n. Chr. als ketzerisch, doch haben einige orientalisch-orthodoxe Kirchen sie weiter vertreten.

Für Aufregung sorgte eine rätselhafte Bauinschrift auf einem Mosaikboden. Das dort vermerkte Datum deutet darauf hin, dass in Palästina ein georgisches chronologisches Kalendersystem benutzt worden war, lange bevor es in Georgien selbst in Gebrauch kam. Wenn dies so sein sollte, stammt die Kirche aus dem Jahr 539 nach Christus.

Der Georgische Kalender ist ein zyklischer Kalender mit Zyklen von 532 Jahren. Nicht zu verwechseln mit dem Gregorianischen Kalender, der ist 1.000 Jahre jünger.

Die Ausgrabungen sind Teil des Lehrangebots an der Universität Leipzig. Bereits in den Jahren 2013 und 2015 führten Prof. Dr. Berlejung und Prof. Dr. Fantalkin auf dem Tel Aschdod-yam Lehrausgrabungen durch und boten so Studierenden verschiedenster Fachrichtungen die Gelegenheit, unter realen Bedingungen die Arbeit von Archäologen kennenzulernen. Anhand der Funde rekonstruieren angehende Theologen, Ägyptologen, Orientalisten oder Archäologen aus Leipzig in Israel vier Wochen lang die Kultur der Eisenzeit (8. bis 7. Jahrhundert v. Chr.) bis in die christliche Epoche.

Dabei geht es nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um die Gegenwart. Die Studierenden lernen die Region kennen und nicht wenige entscheiden sich im Nachhinein für einen längeren Studienaustausch. Das trifft auch auf die israelischen Studierenden zu. Über die persönliche Zusammenarbeit werden auch tiefverwurzelte Vorurteile auf beiden Seiten abgebaut. Die Studierenden gehen nach der Arbeit gemeinsam im Meer baden, machen Ausflüge in die Region und gehen am Wochenende in Tel Aviv feiern. „Es ist großartig, dass die Arbeit an der Vergangenheit nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft der Teilnehmerinnen und Teilnehmer beeinflusst“, berichtet Berlejung von den positiven Begleiteffekten der Lehrgrabungen.

Insgesamt sind in den kommenden sechs Jahren drei weitere Ausgrabungen geplant. Berlejung hofft, dabei weitere Teile der menschengroßen Figur zu finden, die zu den geheimnisvollen Bronzeaugen gehören.

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