Seit einiger Zeit untersucht das in Leipzig ansässige Leibniz-Institut für Länderkunde die auseinanderdriftenden Entwicklungen zwischen boomenden Großstädten und abgehängten ländlichen Regionen. Der Forschungsbereich nennt sich „Multiple Geographien regionaler und lokaler Entwicklung“. In der aktuellen Debatte über abgehängte Regionen plädiert IfL-Direktor Sebastian Lentz nun für eine stärkere Fokussierung auf die individuellen Entwicklungspotenziale von strukturschwachen Räumen.

Angesichts der Diskussion über eine ausgewogene Raumentwicklung rät das Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) zu einer Politik, die strukturschwache Räume in die Lage versetzt, ihre ökonomische Basis neu zu erfinden und gleichermaßen sozial verträglich wie ökologisch nachhaltig zu gestalten. Insbesondere die Innovationsfähigkeit wirtschaftlich schwächerer Städte und Regionen werde von der Förderpolitik wie auch in der öffentlichen Wahrnehmung systematisch unterschätzt.

„Die materiellen, physischen und ideellen Freiräume für eine solche Entwicklung brauchen Kreativität, Mut und vor allem auch finanzielle Förderung. Wenn wir Stadt und Land gegeneinander ausspielen, laufen wir Gefahr, ganze Landesteile und ihre Bevölkerung vom wachsenden Wohlstand einiger weniger Zentren auszugrenzen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden“, sagt IfL-Direktor Sebastian Lentz.

Das Leibniz-Institut für Länderkunde erforscht seit längerem die Ursachen und Folgen der zunehmenden sozialräumlichen Polarisierung in Deutschland und Europa. Nicht nur Studien des IfL zeigen, dass die Konzentration von Fördermitteln und Wachstumsimpulsen in einigen wenigen Regionen zu mehr struktureller Ungleichheit führt.

„Die Annahme, dass wenn wir die Ballungszentren fördern, früher oder später auch das weitere Umland von deren wirtschaftlichem Wachstum und globaler Wettbewerbsfähigkeit profitieren würde, hat sich als falsch herausgestellt“, meint Thilo Lang, Leiter des Forschungsbereichs „Multiple Geografien regionaler und lokaler Entwicklung“ im IfL. Gemeinsam mit seiner Kollegin Franziska Görmar hat er kürzlich einen Sammelband zur Regionalentwicklung in Europa herausgegeben, in dem Alternativen zu einer auf die Metropolen ausgerichteten EU-Wirtschaftspolitik aufgezeigt werden.

Ansatzpunkte für eine Förderung peripherer Räume in Deutschland und Europa sehen die IfL-Forscher unter anderem in deren Fähigkeit zur Innovation.

Thilo Lang: „In Politik und Gesellschaft wird Innovation oft mit technologischem Fortschritt gleichgesetzt und in den Metropolen verortet. Doch mindestens genauso wichtig wie innovative Techniklösungen, für die im Übrigen durchaus auch Unternehmen außerhalb der Metropolen stehen, sind soziale Innovationen.“

Aber da muss man umdenken, darf nicht nur technologische Innovationen im Auge haben. Denn wenn sich die Rolle von Dörfern und kleinen Städten verändert, weil die modernen Arbeitsplätze fast nur noch in den großen Städten entstehen, dann müssen die kleinen Kommunen sich insgesamt neu erfinden.

Diese Art Innovation zu ermöglichen, sei Aufgabe einer auf die Förderung lokaler Strukturen und nachhaltiger Wirtschaftskreisläufe ausgerichteten Regionalpolitik zum Nutzen der Menschen vor Ort, so das IfL.

Wichtige Akteure sind nach Einschätzung der Leipziger Forscher sozial engagierte Unternehmen oder auch gemeinnützige Organisationen, Bewegungen und Einwohner, die alternative Strategien zur Überwindung der strukturellen Defizite entwickeln.

In einem Verbundprojekt mit europäischen Partnern untersuchen die Wissenschaftler derzeit beispielsweise, wie sogenannte Sozialunternehmen miteinander kollaborieren und Beziehungen zu Personenkreisen außerhalb der eigenen Firmengrenzen aufbauen. Ein anderes am IfL koordiniertes Forschungsprojekt analysiert die unterschiedlichen Entwicklungspotenziale altindustrialisierter Regionen in Europa.

„Im Kern zielt unsere Forschung zur regionalen Ungleichheit darauf ab, einen differenzierteren Blick auf bislang oft pauschal charakterisierte Problemräume zu gewinnen und Grundlagen für regionsspezifische Förderinstrumente zu ermöglichen“, betont Sebastian Lentz.

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