Bei all den Kümmernissen um den Klimawandel und das Artensterben vergisst man ja oft genug, dass nicht nur die industrialisierte Landwirtschaft und das Abholzen der Wälder den Insekten die Lebensräume nimmt. Gleichzeitig wachsen die Städte, leben immer mehr Menschen in riesigen urbanen Ballungsräumen. Doch für die meisten Schmetterlinge sind Städte kein Lebensraum, sie können dort nicht überleben. Eine alarmierende Untersuchung aus dem iDiV.

Die sich stark ausbreitenden städtischen Lebensräume dürften auf lange Sicht einen Großteil von Schmetterlingsarten gefährden. Das vermelden jetzt Forschende vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) in der Fachzeitschrift „Global Change Biology“.

Nur Generalisten, die große Temperaturschwankungen tolerieren und sich von vielen verschiedenen Pflanzen ernähren, profitieren voraussichtlich von den menschlich geprägten Lebensräumen. Die Autoren empfehlen deshalb, zur Erhaltung der Artenvielfalt die Bedürfnisse von spezialisierten Schmetterlingsarten in der Städte- und Raumplanung zu berücksichtigen.

Was auch in einer Stadt wie Leipzig deutlich größere Anstrengungen erfordern würde, Artenschutz in der Stadt überhaupt zu denken. Denn aktuell hat auch Leipzig – etwa mit Blühstreifen und Schmetterlingswiesen – erst die ersten Schritte getan, das Überleben der Insekten in der Stadt überhaupt mitzudenken. Die Schaffung von Überlebensräumen für spezialisierte Insekten bräuchte deutlich mehr wissenschaftlichen Sachverstand dazu auch in der Stadtplanung.

Die Veränderung von Lebensräumen, etwa durch Urbanisierung, ist eine der wichtigsten Ursachen für den Rückgang der biologischen Vielfalt. Weltweit wird bis 2050 ein Zuwachs der Siedlungen und Städte von 2 bis 3 Millionen Quadratkilometern – etwa der Hälfte der Fläche von Grönland – prognostiziert. Natürliche und naturnahe Lebensräume werden so nach und nach durch urbane Lebensräume mit völlig neuen Bedingungen ersetzt.

Wie die Wildtiere sich auf solch fundamentale Veränderungen einstellen können, ist bislang vorwiegend nur für wenige Artengruppen wie etwa Säugetiere und Vögel untersucht.

Der Kleine Maivogel (Euphydryas maturna) ernährt sich ausschließlich von Eschen und benötigt feuchte, lichte Wälder als Lebensraum. Die Art bildetet unter den 158 untersuchten Arten das Schlusslicht für Urbanaffinität und dürfte in Europa weiter zurückgehen. Foto: Julia Whittman, @birdingjulia CC BY 4.0
Der Kleine Maivogel (Euphydryas maturna) ernährt sich ausschließlich von Eschen und benötigt feuchte, lichte Wälder als Lebensraum. Die Art bildetet unter den 158 untersuchten Arten das Schlusslicht für Urbanaffinität und dürfte in Europa weiter zurückgehen. Foto: Julia Whittman, @birdingjulia CC BY 4.0

„Um jedoch Vorhersagen zur Entwicklung der biologischen Vielfalt als Ganzes machen und aktuelle Phänomene wie das Insektensterben bekämpfen zu können, braucht es gesichertes Wissen auch für andere Artengruppen“, sagt Erstautor der Publikation Dr. Corey Callaghan, Postdoktorand am iDiv und an der MLU. Allerdings sei die Datengrundlage hier wesentlich schlechter. „Schmetterlinge bieten jedoch den Vorteil, dass sie beliebt bei vielen Menschen sind, die ehrenamtlich deren Vorkommen erfassen, was eine verhältnismäßig gute Datengrundlage schafft.“

Der Großteil der Schmetterlinge ist durch Urbanisierung gefährdet

Um herauszufinden, wie Schmetterlinge auf die zunehmende Urbanisierung reagieren und welche Arten sich daran anpassen können, werteten die Wissenschaftler über 900.000 Einträge zu 158 Schmetterlingsarten in Europa aus der Global Biodiversity Information Facility (GBIF) aus. Dabei handelt es sich um das größte frei zugängliche Portal für Biodiversitätsdaten zu allen Arten, in das auch viele ehrenamtliche Daten einfließen.

Die Verbreitungsdaten zeigten, dass die Mehrheit (79 %) der Schmetterlingsarten die Städte meidet. Immerhin 25 der 158 Arten kamen im städtischen Umfeld häufiger vor als in anderen Lebensräumen, allen voran der Gelbe C-Falter (Polygonia egea). Die geringste Affinität zum Stadtleben zeigte der Kleine Maivogel (Euphydryas maturna).

„Überraschend war, dass wir so klare Muster über den gesamten europäischen Kontinent hinweg gefunden haben“, sagt Callaghan. „Der Grad der Stadtaffinität deutet darauf hin, welche Arten künftig voraussichtlich zu den Gewinnern und Verlierern der Urbanisierung gehören.“

Zudem untersuchten die Forscher, welche Merkmale solchen Arten ihre Stadtaffinität verliehen. Es stellte sich heraus, dass vor allem Generalisten sich gut an den städtischen Lebensraum anpassen können, also solche Arten, die sich von vielen verschiedenen Pflanzen ernähren und starke Temperaturschwankungen aushalten können.

Außerdem war den Gewinnern gemein, dass sie grundsätzlich mehr Zeit des Jahres Flugaktivität zeigten und sich mehrmals im Jahr fortpflanzten. Spezialisierte Arten hingegen, die stark von einer bestimmten Pflanze oder Pflanzengemeinschaft und bestimmten Klimabedingungen abhängen, dürften künftig im städtischen Umfeld nicht so gut zurechtkommen.

„Mit unserer Methode konnten wir zeigen, dass sich Artmerkmale wie Temperatur- und Lebensraumpräferenzen gut als Anhaltspunkte nutzen lassen, um vorherzusagen, welche Arten am empfindlichsten auf menschliche Aktivitäten reagieren, um sie bei Schutzmaßnahmen zu priorisieren“, sagt Mitautorin Dr. Diana Bowler vom iDiv und der FSU.

Bedürfnisse von Spezialisten in Planung berücksichtigen

Um den Verlust der Artenvielfalt durch Urbanisierung aufzuhalten, sehen es die Autoren als notwendig an, dass Stadt- und Regionalplaner künftig das Vorkommen von Nahrungsarten und Wirtspflanzen besonders von spezialisierten Schmetterlingen sicherstellen.

„Jeder Gartenbesitzer kann aber auch selbst mithelfen, indem er heimische Pflanzen wählt“, meint Callaghan.

„Unsere Arbeit veranschaulicht die Kraft der Bürgerwissenschaft und Datenportalen wie GBIF“, sagt Letztautor Prof. Dr. Henrique Pereira vom iDiv und der MLU. „Die meisten der von uns verwendeten Schmetterlingsbeobachtungen aus der GBIF-Datenbank wurden von Freiwilligen in ganz Europa zusammengetragen. Jeder kann dazu beitragen, das Wissen über die Auswirkungen unserer Lebensweise auf die biologische Vielfalt zu vergrößern.“

Ein sehr einfacher Weg sei es, Smartphone-Apps wie iNaturalist oder naturgucker zu nutzen. Diese speisen ihre Daten direkt in die GBIF-Datenbank ein und stellen sie Wissenschaftlern weltweit zur Verfügung, um besser zu verstehen, wie es der biologischen Vielfalt auf unserem immer stärker veränderten Planeten geht.

Diese Forschungsarbeit wurde gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118).

Originalpublikation: Callaghan, C. T., Bowler, D. E., Pereira, H. M. (2021): Thermal flexibility and a generalist life history promote urban affinity in butterflies. Global Change Biology

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