Das Schuljahr 2014/2015 kommt - naja - irgendwie doch nicht so wie geplant. Nicht nur das Sächsische Kultusministerium steht mit seiner desolaten Personalpolitik in der Kritik. Die Stadt Leipzig rückt jetzt auch verstärkt in den Fokus, denn die hat ihr Schulausbauprogramm - genauso wie seinerzeit das Kita-Bauprogramm - viel zu spät gestartet. Die Kinder sind schneller da als die Schulen. Und ein Schnellschuss in Schönefeld entpuppt sich als Problem.

24 Eltern von Kindern, die ab Herbst nun in die neue Außenstelle des Brockhaus-Gymnasiums in der Löbauer Straße gehen sollen, haben jetzt einen erbitterten Offenen Brief an OBM Burkhard Jung geschrieben. Sie finden es unverständlich, dass das neue Interim in der Löbauer Straße jetzt wie ein Sammelbehälter für all die Kinder genutzt wird, die in anderen Stadtteilen keinen Platz mehr in den dortigen Gymnasien bekommen.

Die Gründe sind klar: Die zentralen Stadtteile sind diejenigen, wo es in den letzten Jahren den größten Zuzug und die meisten Kinder gab. Man konnte zuschauen, wie es hier vor zehn Jahren begann, mit Kinderbetreuungsplätzen eng zu werden. Und Kinder wachsen – auch dann, wenn in Stadtrat und Verwaltung um Prioritäten und einzelne politische Vorteile gekungelt wird. Die Stadtgesellschaft konnte regelrecht zuschauen, wie das Problem der fehlenden Kita-Plätze immer wieder kleingeredet wurde und es tatsächlich fünf Jahre dauerte, bis der verantwortliche Amtsleiter seinen Hut nahm und wirklich ernsthaft Kita-Neubau organisiert wurde.

Darüber verging die Zeit, die eigentlich schon für die Planungen im Schulbereich nötig war. Zwar reichten die Schulplätze für Grundschüler irgendwie noch. Aber nicht überall. Vor vier Jahren wurde etwa im Waldstraßenviertel sichtbar, dass man das Thema – olala – doch unterschätzt hatte. Und auch jetzt noch unterschätzt. Der Wettlauf zwischen Neueinschulungen und neuen Schulbauten ist gerade voll entbrannt – aktuell mit echtem Nachteil für die Kinder. Wichtige Bauten werden zu spät fertig.

Und noch ehe die ersten beiden Probleme geklärt sind, hat sich das nächste zusammengebraut. Denn auch das war absehbar, dass ab 2014 die ersten Gymnasien fehlen werden. Und zwar nicht irgendwo, wo sie schön in die Landschaft passen, sondern dort, wo die Kinder mit Gymnasialempfehlung wohnen. Das überschneidet sich mit der Bildungs- und Förderpolitik des Freistaates. Wäre die einigermaßen in Schuss, gäbe es auch in anderen Stadtteilen als den innenstadtnahen hohe Anmeldezahlen fürs Gymnasium. Im Leipziger Osten zum Beispiel, wo deutlich weniger Kinder eine Gymnasialempfehlung bekommen.Doch da ist man mitten in der Diskussion der Leipziger Schulnetzplanung von 2011. Selbst der zu dieser Zeit verantwortliche Amtsleiter sprach von damals schon existierenden Unterkapazitäten für Gymnasien in Mitte, Süd und Nord – also genau in dem Streifen der geburtenstarken Stadtteile von Connewitz bis nach Gohlis. Genau da, wo jetzt die Probleme entstehen, weil das Louise-Otto-Peters-Gymnasium in Connewitz nur einen kleinen Teil des Problems gelöst hat. Das neue Gymnasium in der Telemannstraße, wo man 2010 erst in einem Akt der völligen Blauäugigkeit die alte Thomasschule abgerissen hat, wird erst 2017 fertig. Und auch das wird nicht reichen.

Was jetzt auch der große Verschiebebahnhof nach Schönefeld zeigt, wo das neue Gymnasium zwar 2016 schon fertig sein soll. Nur ist es eben nur zum Teil der Stadtteil, der hier den Nachwuchs liefert. Das wird jetzt schon mit den Zuweisungen für das Interim im ehemaligen Fechner-Gymnasium sichtbar: Die Hälfte der Kinder kommt aus weit entfernten Stadtteilen. Und die Eltern haben wohl zu recht das Gefühl, dass hier weit ab vom Schuss ein Problem gelöst werden soll, das Stadt und Stadtrat mit falschen Entscheidungen erst haben entstehen lassen.

Die Eltern, die jetzt den Brandbrief an Burkhard Jung geschrieben haben, wohnen in Schleußig, dem Waldstraßenviertel, Gohlis, der Südvorstadt und Connewitz – genau in jenen Stadtteilen, wo der Mangel an Gymnasiumsplätzen 2011 schon offenkundig war. Ihre Kinder haben jetzt mehr als nur kleine Weltreisen in das abgelegene Gymnasium in der Löbauer Straße vor sich. Per ÖPNV ist es gut erschlossen, keine Frage. Doch die Wahrheit, die dazu gehört, ist auch, dass nur die Schleußiger Kinder nicht umsteigen müssen, weil die Linie 1 nach Schönefeld fährt. Selbst die Kinder aus dem Waldstraßenviertel müssen die Bahn wechseln.

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Für die betroffenen Eltern ein inakzeptabler Zustand. Sie sprechen von “Zwangsumlenkungen”. Ein Konzept hat die neu entstehende Interimsschule auch noch nicht. “Die Stadt Leipzig hatte 10 Jahre lang Zeit, um sich auf den momentanen Ansturm auf Leipzigs Gymnasien (‘im Raum des auftretenden Bedarfs’) vorzubereiten. Dies wurde ganz offensichtlich nicht getan. Nun sind wir in keiner Weise einverstanden damit, dass diese fehlgeleitete bildungsplanerische Standortpolitik auf dem Rücken unserer Kinder ausgetragen wird!”, heißt es im Offenen Brief, in dem die Eltern auch ihre Forderungen formulieren – ganz obenan natürlich die nach einer sofortigen Prüfung der Möglichkeit, jeweils eine zusätzliche 5. Klasse einzurichten in den innerstädtischen Gymnasien: Leibniz Gymnasium, Thomasschule, Friedrich-Schiller-Schule, Immanuel-Kant-Gymnasium, Anton-Philipp-Reclam-Schule (für die Kinder aus Zentrum, Gohlis, Plagwitz, Schleußig), Louise-Otto-Peters-Schule und Neue Nikolaischule (Südvorstadt, Connewitz, Marienbrunn) …

Was das Problem nicht löst. Denn im nächsten Schuljahr wird der nächste Schwung Kinder aufs Gymnasium drängen. Tatsächlich ist die Nutzung leer stehender Schulgebäude in den innerstädtischen Vierteln sogar Zeichen der Zeit. Die alte Kästner- und die alte Neruda-Schule könnten die Rolle spielen, meinen die Eltern. Und wenn die Kinder doch nach Schönefeld sollen, erwarten sie Zusagen für einen künftigen Schulplatz in der Telemannstraße und der Karl-Heine-Straße, wenn die Schulen dort 2016 und 2017 wahrscheinlich eröffnen.

Der Offene Brief als PDF zum Download.

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