Es ist ein ganz amtlicher Witz. Am Dienstag, 17. Juni, veröffentlichte das sächsische Kultusministerium in aller Ernsthaftigkeit eine Meldung zur Einstellung von neuen Lehrern für den Freistaat. Und verkündete dabei eine Zahl, die nicht mal den eigenen Erkenntnissen genügt: "In Vorbereitung auf das neue Schuljahr 2014/15 läuft das Einstellungsverfahren der Sächsischen Bildungsagentur für insgesamt 775 neue Lehrkräfte."

775 neue Lehrkräfte, wenn allein 500 den Schuldienst verlassen in diesem Jahr und über 1.000 schon fehlen? Die Serie der seltsamen Meldungen aus dem völlig überforderten Ministerium reißt nicht ab. “Zum 1. August diesen Jahres werden insgesamt 415 Lehrkräfte an allgemein- und berufsbildenden Schulen unbefristet eingestellt”, heißt es weiter. “Den möglichen Einstellungen stehen rund 1.780 Bewerbungen gegenüber. Aktuell sind für die 415 unbefristeten Stellen Angebote unterbreitet worden, von denen mehr als 75% bereits unterschrieben sind. Ende der Woche startet das Verfahren der befristeten Einstellungen.”

Das klingt so, als würde das Ministerium jetzt endlich den Stau an Neueinstellungen abarbeiten. Doch nichts dergleichen ist im Gang. Es sind nicht mal die von Stanislaw Tillich angekündigten 1.000 Neueinstellungen pro Jahr, wie die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Cornelia Falken, feststellt: “Offensichtlich ist der öffentliche Druck auf die Staatsregierung so groß, dass der Ministerpräsident die Bevölkerung per Presseinterview zum Stand der Schuljahresvorbereitung zu beruhigen versucht. Schließlich stehen Wahlen vor der Tür. So kündigt der Ministerpräsident an, ‘pro Jahr mehr als 1.000 Lehrer einzustellen’; die Kultusministerin spricht dagegen von lediglich 775 Neueinstellungen zu Beginn des Schuljahres. Davon werden 360 Lehrkräfte nur für ein Jahr eingestellt. Die Lehrkräfte, die aus dem Schuldienst ausscheiden, ersetzt das nicht.”Denn am Ende dieses Schuljahres gehen über 540 Lehrkräfte in den Ruhestand. Im kommenden Schuljahr wird es 4.400 Schülerinnen und Schüler mehr geben.

“Allein dafür braucht es mindestens 180 Lehrer”, rechnet Falken vor. “Und berücksichtigt werden muss zudem, dass der Unterrichtsausfall aufgrund der Altersstruktur der Lehrerschaft zunehmen wird und dass der Erhalt von Schulen im ländlichen Raum zusätzliches Lehrpersonal erfordert. Die Kultusministerin, die angetreten war, es besser zu machen als ihr Vorgänger, bekommt das Personalproblem nicht in den Griff. Das Chaos dauert an. Es werden nur Löcher gestopft. Sachsen braucht endlich ein Personalentwicklungskonzept, das den Unterricht auf lange Sicht garantiert.”

Aber es gibt ja schon einen Mann, den man vors Loch schiebt, wenn dann deutlich wird, dass auch 2014 zu wenig Lehrer eingestellt wurden.

“Die zwischenzeitlich geplanten sehr straffen Klassenbildungen, die auch Klassenzusammenlegungen und Umlenkungen an andere Schulen in großem Ausmaß zur Folge gehabt hätten, sind vom Tisch”, erklärte Direktor Béla Bélafi, Direktor der Sächsischen Bildungsagentur, am Dienstag. “Damit können die aus den Vorjahren bekannten Klassenbildungsgrundsätze angewendet werden. Die große Zahl an Neueinstellungen ermöglicht es uns, das neue Schuljahr 2014/15 geordnet und bedarfsgerecht vorzubereiten.”

Was man aus Leipzigs Schulen hört, klingt nach dem Gegenteil. Man stopft die Klassen so voll, wie es nur geht. Vielleicht hat man auch aus diesem Grund den Wahltermin ans Ende der Ferien gelegt in der Hoffnung, die Eltern haben sich dann schon etwas abgeregt und lassen ihren Frust nicht an der Wahlurne aus.

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“Sachsens CDU mit ihrem Regierungschef voran will weiter Lehrerstellen abbauen. Anders lassen sich Tillichs Äußerungen zur Einstellung von jeweils 1.000 neuen Pädagogen in den nächsten Jahren nicht interpretieren”, erklärt denn auch Sachsens SPD-Chef Martin Dulig zum Thema, das in der regierungstreuen LVZ am Dienstag, 17. Juni, auch noch mit einem Tillich-Interview begleitet wurde. “Tillich versucht etwas als Wohltat zu verkaufen, was eine Unverschämtheit ist und einem Betrug gleichkommt. Wenn zum Schuljahr 2016/17 allein 1.600 Lehrerinnen und Lehrer in den wohlverdienten Ruhestand gehen, aber nur 1.000 neue eingestellt werden – wie bitte wird damit, wie der MP behauptet, das hohe Bildungsniveau weiter garantiert? Das ist doch Stellenabbau pur und Verschlechterung, zumal die Schülerzahlen wieder steigen. Denkt der Ministerpräsident eigentlich an die Kinder und Jugendlichen, denen er damit einen vernünftigen Start ins Leben verwehrt?”

Bis 2020 gehen in Sachsen mindestens 9.000 der heute etwa 30.000 Lehrkräfte in den Ruhestand. Im gleichen Zeitraum werden die Schülerzahlen um etwa 20.000 steigen. “Angesichts steigender Schülerzahlen, übervoller Klassen, angesichts von Unterrichtsausfall und der anstehenden Aufgaben bei der Integration von behinderten Kindern müssen mehr Lehrerinnen und Lehrer an unsere Schulen”, stellt Dulig fest. “Deshalb bleibt es bei unserer Forderung: Für jeden einzelnen Lehrer, der bis 2020 in den Ruhestand geht, muss ein neuer Lehrer eingestellt werden. Darüber hinaus – also zusätzlich – müssen jährlich noch einmal 500 Lehrer eingestellt werden, um die Qualität der Bildung an unseren Schulen zu sichern.”

Das Klemm-Gutachten zum Lehrerbedarf in Sachsen als PDF zum Download.

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