In den sächsischen Kindertagesstätten sind also die Ausgangsbedingungen der Kinder noch recht ausgewogen. Zwar sind sie augenscheinlich recht miserabel, wenn man die Betreuung (wie im jüngsten Bertelsmann-Monitor zur "Frühkindlichen Bildung") bundesweit vergleicht. Aber innerhalb des Landes sind die Betreuungsbedingungen alle relativ gleich mau. Aber was passiert dann in der Grundschule?

Denn da wird ja endgültig entschieden, ob das Kind die nötigen Leistungen bringt, um am Ende der 4. Klasse eine gute Bildungsempfehlung zu bekommen. Doch genau hier beginnt sich, die Spreu vom Weizen zu trennen – nicht die Leistungs-Spreu, sondern die “Gutes Elternhaus”-Spreu. Selbst der Leipziger Sozialreport zeigt, wie sich in den Ortsteilen mit den höchsten Quoten an Arbeitslosen und Migranten auf einmal alle Schalter umlegen und aus Kindern, die scheinbar alle mit den selben Chancen in die Grundschule gestartet sind, auf einmal Gewinner und Verlierer werden, wie in sozial besser situierten Ortsteilen am Ende der 4. Klasse 70 bis 90 Prozent der Kinder problemlos eine Empfehlung für das Gymnasium bekommen, in sozialen Brennpunkten wie dem Leipziger Osten oder dem Leipziger Westen aber nur zwischen 10 und 20 Prozent der Kinder.

Gründe gibt es möglicherweise mehrere. Aber der sachsenweite Vergleich zeigt auch, dass es im Land nicht mal so etwas wie ein einheitliches Grundrauschen gibt. Mit 49,5 Prozent von Gymnasialempfehlungen für die Kinder des Jahrgangs 2012/2013 lag Leipzig sogar noch überm sächsischen Durchschnitt von 47,2 Prozent. Dresden lag noch viel weiter drüber mit 59,5 Prozent, Chemnitz kam dagegen nur auf 40,3 Prozent.

Erklärungsversuche und Lösungsvorschläge

Dafür könnte es mehrere Erklärungen geben, meint die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, Cornelia Falken. Einer wäre: Kinder bekommen die Bildungsempfehlung nach vorhandenen Schulen im näheren Umkreis. Wenn keine attraktive Gymnasiallandschaft existiert, braucht’s auch keine Gymnasialempfehlung. Da gehen die Kinder dann eben auf die nächste Mittelschule.

Eine Rolle spiele auch die soziale Gemengelage in der jeweiligen Schule. In Schulen mit besonders hohem Anteil von Kindern aus bildungsfernen Familien bräuchte es eigentlich besondere Förderangebote, die das ausgleichen. “Gibt es aber nicht”, sagt Falken. Alle Schulen bekommen dieselben Lehrerzuweisungen, egal, wo sie liegen.

Geld und soziale Probleme daheim könnten auch eine Rolle spielen, meint Dr. Dietmar Pellmann, der die Broschüre “Bildungschancen an Leipziger Schulen” erarbeitet hat. Dafür ist ihm die Zahl der Schulverweigerer ein Indiz: “Während die Zahl der Ordnungswidrigkeitsverfahren sachsenweit sogar etwas rückläufig war, was allerdings nicht überbewertet werden sollte, stieg sie in Leipzig sogar noch an. Ohnehin liegt Leipzig mit Abstand an der Spitze dieser Skala, was sicher nicht auf schärfere Kontrollen in der Messestadt zurückzuführen sein dürfte, sondern wohl eher auf deutlichere soziale Verwerfungen in der Messestadt.”

Beim Thema “Bildungsempfehlungen” spricht Pellmann sogar vom “Status der Eltern in einer Residenzstadt” (in Bezug auf den sehr hohen Dresdner Wert) und deutet zumindest an, wo sich in Sachsens Grundschulen die Lebenswege trennen: beim Geld. Denn auch im extrem leistungsorientierten Sachsen sorgen natürlich Eltern mit hohem Einkommen und hohem gesellschaftlichen Status dafür, dass ihre Kinder die Bildungsbarrieren überwinden. Und das passiert nicht nur durch den familiären Ansporn, sondern auch durch die Wahl der Schule. Wer seine Kinder dem Tohuwabohu an einer staatlichen Grundschule nicht aussetzen will, der bringt sie an einer Privatschule unter.

“Sachsen ist mittlerweile das Land mit dem höchsten Anteil an Privatschulen”, kommentiert Cornelia Falken die Zahlen aus Pellmanns Broschüre. “Und in den Großstädten ist die Zahl der Privatschulen noch einmal höher, vor allem bedingt durch die wachsende Zahl privater Berufsschulen.” Im Sekundärbereich hat Sachsen mit über 10 Prozent der Schüler, die eine Privatschule besuchen, mittlerweile den höchsten Wert im Bundesvergleich.

Was aber im Bereich der Grundschulen auch bedeutet, dass Eltern, die das nötige Kleingeld haben, durchaus schaffen können, Kinder aus bestimmten Grundschulbezirken fern zu halten – wissend auch, dass solche Schulen in sozialen Brennpunkten keineswegs besondere Aufmerksamkeit durch die Landespolitik erfahren. Hier ist es wieder die Kommune, die vor allem mit Sozialarbeitern versucht, etwas Ausgleich zu schaffen. Aber Kommunen können nicht in die Lehrerbetreuung und die Unterrichtsabsicherung eingreifen. So beginnt in einigen Quartieren schon früh die soziale Auslese bei den Kindern. Und für Sachsen gilt schon lange: Wer den Sprung aufs Gymnasium nicht schafft, der bekommt ganz schnell das Gefühl, schon jetzt versagt zu haben.

“Deswegen sage ich auch konsequent nicht Oberschule, sondern Mittelschule”, sagt Cornelia Falken. “Die Oberschule in Sachsen ist keine Oberschule.”

Aber dazu kommen wir im nächsten Teil.

Dr. Dietmar Pellmann „Grünauer Schriften Nr. 2. Bildungschancen an Leipziger Schulen“, Leipzig 2015. Die Broschüre ist im Wahlkreisbüro von Dr. Cornelia Falken und Sören Pellmann in der Stuttgarter Allee 16 in Grünau erhältlich.

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