Das neue Schulgesetz, das der Sächsische Landtag am 11. April beschloss, war am Ende nur ein Lüftchen. Ein lauer Kompromiss, der den Namen Reform nicht verdiente und fast alle Akteure, die sich im Vorfeld an der Diskussion um die Anforderungen an ein wirklich modernes Bildungssystems beteiligt hatten, vor den Kopf stieß. Auch und gerade die Schüler. Der Landesschülerrat will sich diese regierungsamtliche Fläzigkeit nicht gefallen lassen.

Aber da er keine echten demokratischen Einspruchsrechte hat, bestenfalls mal wohlgefällig angehört wird, greift der Landesschülerrat jetzt zu einem Mittel, das in Sachsen zum letzten Mal im Jahr 1995 angewendet wurde: dem Schülerentscheid. Und der startet heute. Landesweit. In über 600 Schulen.

Immer wieder kanzelte die sächsische Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) die SPD ab, die zwar seit 2014 ein bisschen mitregieren darf im Land, aber von einer guten Schulbildung eine etwas andere Meinung hat als die aufs Auslese-System fixierte CDU. Als der kleine Koalitionspartner auch nur die Formel vom „längeren gemeinsamen Lernen“ fallen ließ, kanzelte Kurth die SPD via LVZ ab: Das längere gemeinsame Lernen stünde nicht im Koalitionsvertrag, deswegen werde es auch nicht kommen.

Dabei fordern längst Eltern, Schüler, Gewerkschaften und vor allem die Wissenschaft eine deutliche Veränderung im deutschen Bildungssystem, das die Kinder schon frühzeitig sortiert und damit die Bildungs- und Lebenskarrieren der Kinder ab der 5. Klasse in starre Bahnen lenkt.

Am 11. April redete Brunhild Kurth eine Menge über die Anforderungen eines modernen Schulgesetzes. Aber tatsächlich machte sie deutlich, dass sie Schule nach wie vor als neoliberalen Durchlauferhitzer betrachtet, indem es ihr vor allem darum geht, Ressourcen zu sparen. Das versteckte sie dann hinter dem Wörtchen flexibel. Beide stammen (so wie das Wörtchen effizient) aus dem neoliberalen Wörterbuch und kaschieren einfach die Tatsache, dass die sächsische Bildungsministerin gar nicht bereit ist, ein Schulsystem zu entwickeln, das tatsächlich so etwas wie Chancengleichheit herstellt.

„Bildungswissenschaftler sind sich einig: Das Wichtigste für den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler ist guter Unterricht“, sagte sie. Und zog dann einen Schluss, den ihr gute Lehrer in einem Aufsatz nie und nimmer hätten durchgehen lasen: „Und guter Unterricht braucht Rahmenbedingungen, die flexibel gestaltet werden können.“

Da hätten sie wohl mindestens die Formel „Begründung fehlt“ oder „logischer Fehler“ an den Seitenrand geschrieben.

Und das ist das Problem an dieser Kultusministerin: Sie kann nichts von dem, was sie tut, logisch begründen. Sie reagiert nur, wo sie entweder durch Gerichtsbeschlüsse, den Gesetzgeber im Bund oder durch zwingende demografische Entwicklungen genötigt ist, Änderungen herbeizuführen. Sie hat überhaupt keine Vision für ein wirklich den Erfordernissen der Zeit genügendes Bildungssystem. Und die Bildungswissenschaftler, von denen sie redet, fordern in großer Majorität immer wieder, dass die Kinder nicht schon nach der 4. Klasse auseinandersortiert werden, sondern länger miteinander lernen – was nämlich die Leistungsschwächeren anspornt und die Stärkeren ein klein wenig solidarischer werden lässt. Denn Elite-Denken macht unsolidarisch. Genau darum aber geht es bislang der CDU mit ihrem sturen Festhalten an der frühen Auslese.

Und wo sind die besseren Ressourcen, die Kurth als unerlässlich bezeichnet für besseres Lernen?

In einem der letzten Absätze ihrer Rede wurde sie ganz deutlich: „Hier muss ausgesprochen werden, dass durch einige Regelungen im Schulgesetz die Möglichkeiten des effizienten Lehrereinsatzes verringert werden. Exemplarisch sei erwähnt, dass Abschlussklassen nicht mehr zusammengelegt werden können. Die Senkung der Mindestschülerzahl für Berufsschulzentren sowie einzügige Oberschulen in Mittelzentren sind ebenso ressourcenrelevant.“

Das ist schon reines neoliberales Wortmaterial. Ihre Priorität heißt Effizienz. Aber eben nicht Effizienz im Sinne vom bestmöglichen Lernerfolg für alle Kinder, sondern im sparsamsten Lehrereinsatz.

Logisch, dass dieser Kompromiss eher eine Ohrfeige war für alle, die nun 13 Jahre lang auf ein wirklich modernes Schulgesetz für Sachsen gewartet haben.

Und wo die Ministerin bockt und mauert, versuchen jetzt die Schüler, den dringendsten Wunsch auch mit Zahlen zu untersetzen.

Der LandesSchülerRat Sachsen ruft ab dem heutigen Montag, 2. Mai, alle Schülerinnen und Schüler an den weiterführenden Schulen auf, an einem landesweiten Schülerentscheid teilzunehmen.

„Ziel ist es, das Meinungsbild möglichst vieler Schülerinnen und Schüler zu einer konkreten Thematik zu erhalten. Die Abstimmenden sollen sich positionieren, ob die höchste gesetzlich legitimierte Schülervertretung auf eine Ausweitung der Grundschulzeit auf sechs Jahre hinarbeiten soll“, erläutert Leonard Kühlewind, Sprecher des LandesSchülerRats, das Anliegen des Schülerentscheids.

Abstimmen können die rund 400.000 stimmberechtigten Schülerinnen und Schüler im Zeitraum vom 22. Mai bis zum 2. Juni 2017.

„Der Schülersprecher der Schule legt dafür einen Abstimmungstag fest, an welchem in allen Klassen die Befragung durchgeführt wird. Die Ergebnisse werden dann gesammelt an den LandesSchülerRat gesendet, der diese auswerten und die Öffentlichkeit über das Endergebnis informieren wird“, erläutert Kühlewind. „Die Möglichkeit eines Schülerentscheides ist in der Geschäftsordnung des LandesSchülerRates festgeschrieben. Diese sieht eine Durchführung bei Schlüsselfragen besonderen Interesses der sächsischen Schülerschaft vor. Eine Befragung in dieser Form gab es zuletzt 1995. Im Vorfeld wurde den Schülersprechern der über 600 Schulen entsprechendes Informationsmaterial zugesendet.“

Da kann man gespannt sein, wie Oberschüler und Gymnasiasten die Sache einschätzen, ob sie mehrheitlich für ein längeres gemeinsames Lernen bis zur 6. Klasse plädieren oder am Ende gar die Ministerin unterstützen.

Wobei auch das längere gemeinsame Lernen nur der erste Schritt zu einer schülerfreundlicheren Schule sein kann. Auch die weiterführenden Schulen haben eine Reform nötig, damit die Wahl der Schulart irgendwann nicht mehr zur Stigmatisierung wird, sondern zu einer echten Qualifizierung für alle, egal, welche Bildungskarriere sie anstreben.

Die Rede von Brunhild Kurth am 11. April 2017.

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