Tue was und red' darüber. Sonst merkt's ja keiner. Einmal im Quartal tut das auch die Sächsische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM), auch wenn das mit "neue Medien" eher so gemeint ist, wie es da steht: als Wurmfortsatz des privaten Rundfunks. Um den freilich kümmert man sich ganz innig und macht sich Sorgen. Und während sich die deutsche Rundfunkgemeinde um das fehlende junge Publikum kümmert, sorgt man sich in Sachsen um das alte.

Was schon überrascht. Denn just vor einem Jahr hatte die SLM selbst die Nutzerzahlen für die privaten Fernsehanbieter in Sachsen veröffentlicht. Und die zeigten, was man so ähnlich auch schon vom MDR kannte: Die Kern-Nutzergruppe ist im Schnitt 60 Jahre alt. Man erreicht die ältere Zielgruppe also bestens. Doch irgendwie geht auch bei den Geldgebern der SLM die Sorge um, den privaten Lokalkanälen in Sachsen könnten die Zuschauer abhanden kommen. Und so stellte man das hauseigene Magazin “Themen + Frequenzen” im Frühjahr kurzerhand unter das Motto “Alte Schule neu vernetzt” und tut mal so, als würden diese Kanäle nun ausgerechnet die Älteren nicht erreichen, die unter Marketingstrategen seit einiger Zeit schon als “Best Ager” verkauft werden. Und natürlich heiß umworben werden, denn auch bei PR-Spezialisten hat sich herumgesprochen, dass die klassische Zielgruppe der Werber, die 14- bis 49-Jährigen nicht nur die Hauptlast der Sozialfinanzierung der Republik zu stemmen hat und schon deshalb weniger Geld in der Tasche – durch die Sammelleidenschaft der heutigen Senioren ist – so berichtete die “Wirtschaftswoche” – heute auch der größte Teil des Vermögens deutscher Haushalte bei den Senioren aufgehäuft: 2,2 Billionen Euro.

Da möchte man wohl gern ran. Das wollen sie alle. Und deswegen will auch der Öffentlich Rechtliche nicht auf Werbeeinnahmen verzichten – und auch nicht auf die Zuschauerquote bei den “Best Agern”. Das funktioniert zwar nicht wirklich. Menschen merken ziemlich schnell, dass sie nicht als aktive Zuschauer erwünscht sind, sondern nur als Werbezielgruppe gebraucht werden.

Trotzdem widmen sich ein halbes Dutzend Artikel in “Themen + Frequenzen” der Frage, wie man die Zuschauer der Altersgruppe “50plus” erreichen könnte. Man behauptet einfach mal, eine “neue Zielgruppe” vor Augen zu haben. Und schreibt dann Sätze, wie sie nun seit Jahren von der Branche verwendet werden, um die Alten zu umgarnen: “Die Generation 50plus ist jugendlicher denn je”, heißt so ein Satz. “An der Medien- und Onlinewelt will sie aktiv partizipieren und nicht passiv konsumieren …”

Der Satz wird im Heft nicht belegt. Auch nicht durch Statistiken. Was das Mindeste gewesen wäre, auch wenn das Heft vorwiegend für die aktiven Medienmacher in der Branche gedacht ist. Denn die Altersgruppe der “50plus” gibt es nicht. Schon gar nicht im Internet. Denn ein gut Teil dieser Gruppe ist – auch wenn diverse Marketing-Leute das anders behaupten – mit dem Internet aufgewachsen. Und sie konsumieren nicht nur. Was man übrigens jedes Jahr aufs Neue in der ARD-ZDF-Online-Studie nachlesen kann. Sie sind zwar nicht so “internetaffin” wie die ganz Jungen, die mit dem Smartphone quasi schon in der Wiege unterwegs sind und 100 Prozent Internet-Nutzung als Normalzustand leben. Aber 82,7 Prozent bei den 50- bis 59-Jährigen ist nicht wirklich weit weg davon. Und das sind keine Leute, die in Seniorenkursen vielleicht mal den Umgang mit E-Mail und Suchmaschine gelernt haben. Das trifft in Deutschland tatsächlich nur noch auf einen Teil der über 60-Jährigen zu, die auf eine Internetnutzung von 42,9 Prozent kommen.

Und wer sich dann die Auswertung zu “Abrufe von Video- und Audio-Dateien” in der ARD-ZDF-Onlinestudie ansieht, sieht, dass die etwas Älteren auch mit Filmmaterial aus dem Internet wesentlich aktiver umgehen, als es das SLM-Heft behauptet.

Aber dann geht es noch etwas konkreter um die Lokalsender in Sachsen. “Realität nicht abgebildet”, heißt ein Beitrag, der so ein Oha-Gefühl auslöst: Haben sie es jetzt gemerkt?

Nicht wirklich. Denn so gemeint ist die Überschrift nicht. Sie bezieht sich auf die einst von RTL-Chef Helmut Thoma definierte (Werbe-)Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Das Wörtchen “Werbe” gehört immer davor, auch wenn es etliche “Medienmacher” in Deutschland gern als Zielgruppe ihres Mediums selbst behaupten. Und es gibt viele Politiker, die das nachbeten und nicht mal am eigenen Medienkonsum abprüfen. So entsteht das völlig falsche Bild von homogenen Altersgruppen, die mit altersspezifischen Programmen erreicht werden könnten. In gewisser Weise glückt das ja den öffentlich-rechtlichen Sendern ganz ähnlich wie den geförderten Lokalsendern. In ihrer Jagd nach hohen Quoten haben sie ihr Programm vor allem den – jawollo – passiven Konsumenten angepasst, denen, die viel Zeit vorm Fernseher verbringen und weniger informiert als unterhalten werden wollen. Das trifft auf viele Alte zu. Nicht auf alle.

Aber irgendwie scheinen viele Menschen mit Austritt aus dem Berufsleben tatsächlich sehr immobil zu werden und das häusliche Fernsehgerät sehr lange laufen zu lassen. “Der tägliche TV-Konsum der 50- bis 64-jährigen Frauen liegt durchschnittlich bei 4,7 Stunden”, erklärt im Beitrag der Sat.1Gold-Senderchef Marc Rasmus. Mit Heimatsendungen und Musikantenstadl sei diese Zielgruppe nicht zu erreichen, so Rasmus. Also sendet der Sat.1-Seniorensender “deutsche Serien, Filme, Musiksendungen, Magazine und Rechtsberatung”.

Hört sich zwar genauso alt an und irgendwie nach dem, was man sonst so auch aus dem ÖRR und dem Lokalfernsehen kennt. Aber die SLM macht ja so ein Heft nicht, um die Qualität der Sender zu verbessern. Bei der Förderung der SLM geht es vor allem um Technik. Und wenn man Förderprogramme für mehr Internetangebote auflegen will, muss man erst einmal einen Bedarf analysieren. Brauchen die Senioren nicht eine besondere Internet-Landschaft? – Das hat zwei Seiten – die Inhalte und das Design. Und da gibt es für Ältere tatsächlich Nachteile, wie im Heft Prof. Dr. Panayiotis Zaphiris, Multimedia-Professor der TU Zypern erklärt. Das Design macht die Benutzung mit geschwächter Seh- und Hörleistung oft schwierig.

Aber das ist das Design, das jeder Website-Betreiber selbst anpassen kann. Aber wie ist es nun mit den Inhalten? Braucht es tatsächlich Extra-Angebote für Alte und für Junge? Und sind die Angebote für Ältere bei den Lokalsendern tatsächlich das Problem?

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Die Heftmacher haben auch die paar existierenden Lokalsenderbetreiber in Sachsen gefragt. Das Ergebnis ist eigentlich, wie erwartet: Man macht Sendung für alle, macht es aber irgendwie so, dass es vor allem die Älteren vor den Bildschirm lockt.

René Falkner, Geschäftsführer von Leipzig Fernsehen: “Für unsere Sender hat die Generation 50plus keine bedeutendere Stellung als jede andere unserer Zielgruppen auch. Wir machen Lokalsender für die Region und wollen alle Altersgruppen erreichen. Unsere Zielgruppe ist also in erster Linie immer die Stadtbevölkerung – dabei soll sich niemand wegen seiner Jugend oder seines Alters ausgegrenzt fühlen.”

Und Hagen Deichsel, Geschäftsführer von info tv Leipzig, sagt zwar: “Eine Segmentierung bei info tv Leipzig in der Zielgruppe 50plus findet nur untergeordnet statt.” Aber dann geht’s doch richtig zur Sache: “Für ältere Zuschauer haben wir deshalb die ‘SAH Pflege aktuell’, einen ‘Sanitätshaus-Tipp’ und unser sogenanntes ‘Garderobengespäch’ – hier handelt es sich vor allem um Kabarettszenen – im Programm. Des Weiteren bieten wir das ‘Wochenendwetter’, den ‘Tierarzt-Tipp’, ‘leipzig um 7’, den ‘Kino-Tipp’ und ‘so nah am Leben’. Die genannten Formate sind mehrheitlich direkt gegenfinanziert – insofern funktioniert die Vermarktung der Zielgruppe 50plus recht gut. Und betrachtet man den Anteil der vermarktbaren Best-Ager-betreffenden Formate, kann man nur sagen, dass der Umsatzanteil durchaus höher ist als bei Formaten für jüngeres Publikum.”

Womit dann die steileren Thesen aus dem Vorderteil des Heftes gründlich auf den Kopf gestellt sind. Oder – um noch einmal Hagen Deichsel zu zitieren: “Die Zielgruppe 50plus hat für unseren Sender also ganz nüchtern betrachtet eine überdurchschnittliche umsatzrelevante Bedeutung.”

Wohin geht also die Reise? – Auch Zaphiris sieht es nüchtern, denn in den nächsten Jahren gehen immer mehr Menschen in Ruhestand, die mit dem Internet aufgewachsen sind. Auf die Frage, ob die auch so selig vor den Fernsehbildschirmen sitzen werden und Tierarzt- und Apothekensendungen schauen, berührt das Heft nicht. Aber ziemlich sicher ist, dass sie sich in den technischen Nutzungen immer weniger von den Jüngeren unterscheiden werden. Bis hin zur mobilen Internetnutzung. Der Anteil der mobilen Onlinenutzer unter den 50- bis 59-Jährigen ist seit 2009 von 8 auf 24 Prozent gestiegen, bei den ab 60-Jährigen von 9 auf 14 Prozent. Die Erwartungen dieser Menschen an die technischen und inhaltlichen Angebote ist also eine andere, als sie klassisches Fernsehen bieten kann. Und die Erwartungen sind hoch.

Man könne die “Silversurfer” (ja, noch so ein Marketingwort) nicht ignorieren, meint der Leitbeitrag im Heft.

Aber vielleicht sollte man besser anfangen, Mediennutzer weniger nach ihrer Haarfarbe zu bewerten, sondern nach ihren Ansprüchen. Denn auch das zeigen die Auswertungen ja immer wieder: Die jüngeren Mediennutzer haben im Schnitt einen höheren Bildungsgrad. Man wird sie mit Berichten über Stützstrümpfe und Herztropfen möglicherweise nicht nur unterfordern, sondern gründlich vergrätzen.

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