Am 10. Juli fand die letzte Sitzung des scheidenden Landtages in Sachsen statt und danach gings in die Sommerpause - 2014 auch Wahlkampf genannt. Doch kurz vor der Neuwahl am 31. August brachte die schwarz-gelbe Koalition mittels eigener Mehrheit noch einiges in Gesetzesform. Unter anderem die höhere Förderung der sächsischen Lokal-TV-Sender, entgegen der rechtlichen Bedenken der Opposition und unter dem Weglassen der sächsischen Bürgerradios. L-IZ fragte also die medienpolitischen Sprecher der Fraktionen an, wie sie den Beschluss bewerten.

Es hatte eine Menge Geschrei gegeben, bevor die rund 50 Lokal-Sender endlich ihr neues Gesetz bekamen. Da war vorab von einem sonst eintretenden “Super-Gau” die Rede, auf Medienseiten wurde über die “Selbstausbeutung der Lokal-TV-.Macher” geklagt und es galt “die Medienvielfalt zu retten”. Die Lobbyarbeit hat sich gelohnt, der Zeitpunkt vor der Wahl war richtig, das Geld soll kommen.

Wie viel zusätzliches Geld es letztlich werden wird, liegt nun bei der Sächsischen Landesmedienanstalt (SLM), welche nach dem Beschluss auch überlegen darf, wem sie die Gelder wegnehmen wird?

Als erster der medienpolitischen Sprecher der Fraktionen fand nun Dr. Karl-Heinz Gerstenberg von B90/Die Grünen die Zeit, grundlegende Zahlenverhältnisse, die derzeitige Politik und das komplexe Subventionsgewirr aus Sicht seiner Partei zu erläutern. Zum Komplex “unabhängige Onlinemedien” versprach Gerstenberg, sich genauer zu informieren – die detaillierteren Antworten dazu blieben noch aus.

Ist Ihnen bekannt, welche Gesamtreichweite bei welcher Zuschauergruppe die rund 50 Lokal-TV-Anbieter in Sachsen zusammen haben?

In der Funkanalyse Sachsen von März 2014 wurde für die Lokal-TV-Anbieter eine Tagesreichweite (Nutzer gestern) von 14 %, eine Wochenreichweite (Nutzer in der letzten Woche) von 37 % sowie ein “weitester Seherkreis” (Nutzer in den letzten zwei Wochen) von 48 % ermittelt. Hochgerechnet auf Personen ab 14 Jahren ergibt das eine Tagesreichweite von 190.500 und einen weitesten Seherkreis von 643.500 Personen. Die Reichweiten der Lokal-TV-Sender haben in den vergangenen Jahren abgenommen.

Das Durchschnittsalter der Nutzer liegt generell über dem Durchschnittsalter der Bevölkerung ab 14 Jahren im Erhebungsgebiet, was bei Fernsehen allerdings normal ist. Bei den Tagesreichweiten stehen 57 Jahre einem Durchschnittsalter von 51 Jahren gegenüber. Der Anteil von voll Berufstätigen sowie Rentnerinnen und Rentnern hält sich etwa die Waage.

Interessant, gerade im Zusammenhang mit der Förderung von lokalen Fernsehveranstaltern, sind die sendergenauen Reichweiten, die erstmals und bisher letztmals mit der Funkanalyse Ostdeutschland 2012 veröffentlicht wurden. Selbstverständlich haben hier das Verbreitungsgebiet und die Verbreitungsformen entscheidenden Einfluss. Erwartungsgemäß lagen deshalb die drei bekanntesten großstädtischen Veranstalter an der Spitze, und zwar Dresden Fernsehen mit einer Tagesreichweite von 58.000 Zuschauern, Leipzig Fernsehen mit 48.000 und Sachsenfernsehen Chemnitz mit 41.500.

Danach differenzierten sich die Reichweitenzahlen im Land jedoch sehr stark, bis hin zu Veranstaltern wie Röderaue TV oder Antenne Berbisdorf, die nicht mehr messbar waren.

Sind Ihnen die Erhebungsmethoden für diese Zuschauerzahlen bekannt und welche sind diese?

Die Zuschauerzahlen wurden mittels telefonischer Befragungen durch die INFO GmbH Markt- und Meinungsforschung Berlin ermittelt. Für die Funkanalyse Sachsen 2014 wurden 6.958 Interviews (Stichprobe) geführt. Zur Bildung der Stichproben wurden die Verbreitungsgebiete der einzelnen Sender in Abstimmung mit den Veranstaltern definiert. Innerhalb der Gebiete wurde eine repräsentative Haushaltsstichprobe auf Basis des ADM-Telefonstichprobensystems gezogen, die durch im Telefonbuch eingetragene Mobilfunknummern ergänzt wurde. Innerhalb des ausgewählten Haushalts wurde die jeweilige Befragungsperson mithilfe des Schwedenschlüssels bestimmt.

Geben diese Erhebungsmethoden Ihrer Meinung nach ein realistisches Bild über das Gewicht der Lokal-TV-Anbieter in Sachsen wieder?

Problematisch ist die Festlegung der Verbreitungsgebiete der Sender in Absprache mit den Veranstaltern, da dieses Verfahren nicht frei von Subjektivität und Wunschdenken ist. Das ADM-System ist generell mit dem Mangel behaftet, dass nur Festnetznummern ermittelt werden und dadurch junge Altersgruppen, die häufig ausschließlich Mobilanschlüsse nutzen, systematisch unterrepräsentiert sind. Die Einbeziehung von Mobilnummern aus dem Telefonbuch kann diesen Fehler nicht ausgleichen.

Wie hoch wird mit der neuen Beschlussfassung im sächsischen Landtag die Bezuschussung der Lokal-TV-Anbieter bei den Leitungskosten gesamt pro Jahr ausfallen?

Das geänderte sächsische Privatrundfunkgesetz enthält keinerlei Aussagen über die Höhe der Bezuschussung, sondern ermächtigt die sächsische Landesmedienanstalt (SLM), ihren Anteil am Rundfunkbeitrag künftig auch zur Unterstützung der Verbreitungsinfrastruktur lokaler und regionaler Fernsehveranstalter einzusetzen.

In welcher Form, in welcher Höhe und unter welchen Bedingungen das erfolgt, muss die SLM durch Satzung regeln. Nach Aussage des SLM-Präsidenten Michael Sagurna in der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf könnte die SLM jährlich 250.000 bis 300.000 Euro zur Förderung aufbringen.

Das würde allerdings u.a. auf Kosten der Förderung von Projekten der Medienkompetenz und des Jugendmedienschutzes, der Filmförderung und der Medienforschung gehen. Allerdings hat die SLM auch ein weit besser ausgestattetes staatliches Förderprogramm aus dem Landeshaushalt ins Gespräch gebracht – ein Weg, der aus Sicht unserer Fraktion nicht gangbar ist.

Dem Beschluss ging sinngemäß voraus, dass Sachsen mehr Lokal-TV-Anbieter hat, als bspw. Bayern. Ist dies nicht eher ein Zeichen einer wenig marktorientierten Lage, da offenkundig die Umsätze der jeweiligen Firmen nicht zur Existenzsicherung genügen und deshalb eine Bezuschussung beschlossen wurde?

Die Landschaft der regionalen und lokalen Fernsehveranstalter in Sachsen hat sich nicht nur durch den Markteinstieg privatwirtschaftlich orientierter Unternehmen herausgebildet, sondern ist vor allem aus den Gemeinschaftsantennen und -kabelanlagen gewachsen, die in der DDR für den Empfang von ARD und ZDF entstanden waren. Aufgrund der territorialen Empfangsbedingungen war deren Zahl in Sachsen besonders hoch. 1990 begannen viele dieser Kabelgemeinschaften “Programme” auszustrahlen, meist in Form von Texttafeln.

So wichtig und begrüßenswert diese Initiativen zur Bereicherung der sächsischen Medienlandschaft damals waren, so wenig kann die Geschichte Grund dafür sein, solche historisch gewachsenen Strukturen mit öffentlichen Fördergeldern zu konservieren.

Wie haben die Grünen bei der Beschlussfassung abgestimmt und warum so?

Die GRÜNE Fraktion hat sich bei der Beschlussfassung enthalten. Meinungsvielfalt ist eine notwendige Voraussetzung für die Demokratie. Bei der lokalen Berichterstattung ist es jedoch teilweise sehr schwierig, überhaupt von Vielfalt zu sprechen. Insofern konnten wir dem Anliegen zustimmen, dass die SLM ermächtigt wird, einen Teil ihrer Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag für die Förderung technischer Verbreitungskosten von LokalTVs einzusetzen.

Wir sehen es jedoch sehr kritisch, dass der Gesetzentwurf ein Vorgehen nach dem Prinzip “Alle machen weiter wie bisher, werden aber künftig gefördert” suggeriert, was durchaus die Erwartungen vieler Lokalfernsehveranstalter trifft. Die Anhörung hat deutlich gemacht, dass einem solchen Prinzip schon allein das EU-Beihilferecht entgegensteht.

Vor allem aber ist eine Förderung nur für Sender zu rechtfertigen, die eine publizistische Mindestqualität erfüllen und tatsächlich einen Beitrag zur lokalen Meinungsvielfalt leisten, und selbst dann nur ausnahmsweise und übergangsweise. Wir GRÜNE wollen keine aktionistische Rettungspolitik, sondern wollten mit der Gesetzesänderung einen Auftrag zur Strukturentwicklung verbinden.

Die Förderung soll mittelfristig eine Konsolidierung der kommerziellen Senderlandschaft und deren wirtschaftliche Selbstständigkeit bewirken. Außerdem wäre für uns der Gesetzentwurf nur zustimmungsfähig gewesen, wenn zugleich die seit Jahren auf der Tagesordnung stehende Förderung der Freien Radios mit beschlossen worden wäre. Änderungsanträge in beide Richtungen wurden jedoch von der CDU/FDP-Koalition abgelehnt.

Welche Lokal-TV-Anbieter kennen Sie persönlich, die in Sachsen produzieren?

Ich kenne vom gelegentlichen Sehen Dresden Fernsehen, Dresden Eins und Leipzig Fernsehen, mit weiteren Abstrichen Sachsenfernsehen Chemnitz. Sehr selten bin ich bei Reisen durch Sachsen in die Programme kleiner Veranstalter “geraten”.

Wie würden Sie die journalistische Qualität, den Sendebetrieb und das Image dieser Ihnen bekannten Lokal-TV-Anbieter in Sachsen beschreiben?

Die großstädtischen Lokal-TV-Anbieter arbeiten mit viel Engagement, sehr aktuell und oft mit beachtlicher journalistischer Qualität. Sie leisten ohne Zweifel einen Beitrag zur Meinungsvielfalt vor Ort. Sie haben offensichtlich einen festen Zuschauerkreis und einen guten Ruf.

Das haben nicht zuletzt die Zuschauerreaktionen gezeigt, als vor einem Jahr Leipzig Fernsehen und Sachsenfernsehen Chemnitz von Abschaltung bedroht waren. Bei den kleinen Veranstaltern im ländlichen Raum sind mir dagegen Zustände begegnet, die ich längst für Geschichte hielt: Es werden “Bildschirmzeitungen” ausgestrahlt, teilweise werden relativ kurze Programmschleifen über Tage wiederholt.

Welche Förderungen der drei bekannten Bürgerradios Radio T, Coloradio und Radio Blau seitens des Freistaates oder der SLM sind Ihnen bekannt?

Eine Förderung durch den Freistaat gibt es nicht. Die SLM fördert die Zuführungs- und Verbreitungskosten sowie die GEMA/GVL-Gebühren in diesem Jahr mit ca. 15.600 Euro, und das für alle drei nichtkommerziellen Lokalradios. Dadurch sind die drei Radios seit Jahren in einer Finanzsituation, die ihr Überleben gefährdet. Hilfreich waren und sind hier die kommunalen Zuwendungen.

Bekanntlich werden die drei genannten Radios als eher “links” eingeordnet. Sehen Sie hier einen Zusammenhang zu der erfolgten Beschlussfassung zum Lokal-TV unter Auslassung einer Unterstützung für die drei genannten Radios?

Die drei Radios sind, traditionell gesprochen, im besten Sinne Medien von Bürgern für Bürger. Sie bilden großstädtisches Leben umfangreich ab, von Kommunalpolitik über kulturelle Ereignisse bis hin zu Sport und vielfältigen sozialen Themen, und sie sind die einzigen Medien, in denen auch Subkultur ihren angemessenen Platz hat.

Notwendigerweise sind sie oft kritisch gegenüber etablierten Strukturen, was höchst wünschenswert für ein Radio ist, aber nicht allen gefällt. Deshalb hat die CDU/FDP-Koalition seit Jahren die im Rundfunkstaatsvertrag vorgesehene Ermächtigung der SLM zur Förderung aus dem Rundfunkbeitragsanteil verweigert. Ich will hier ebenso Klartext reden wie im Landtag: Die sächsische CDU kämpft gegen alles, was Kritik an ihrer Politik bedeutet. Sie tut das lautlos, mit der Strategie der kalten Schulter.

Deren Behauptung, die LokalTVs hätten den größten Finanzbedarf, die Freien Radios nicht, ist ein ärmlicher Versuch, ihre Absichten zu verschleiern: Sie will die Freien Radios aus politischen Gründen aushungern!

Radio T hat bereits eine Klage gegen den Beschluss der Förderung der Lokal-TV-Sender angekündigt. Wie sehen Sie die Rechtslage bei der neuen Förderung der Leitungskosten durch die SLM?

Die Rechtslage ist in mehrfacher Hinsicht unsicher. Die Förderung könnte aus EU-Sicht beihilferechtlich problematisch werden, darauf haben EU- und Verfassungsrechtler in der Anhörung hingewiesen. Da das Gesetz hier keine Klarheit geschaffen hat, muss dies nun die SLM mit ihrer Satzung tun. Die SLM hat die Absicht, Anforderungen für die Förderung zu formulieren, die zu einer höheren Qualität und Aktualität der Berichtserstattung führen.

Ob sie das im geplanten Dialog mit den Veranstaltern durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.Andererseits ist von Juristen darauf hingewiesen worden, dass eine Ungleichbehandlung zwischen Förderung für die kommerziellen LokalTVs und Nichtförderung für die nichtkommerziellen Lokalradios begründet werden muss. Ich sehe hier politische Willkür. Ob das für den Erfolg einer Klage ausreicht, kann ich nicht einschätzen.

Welche Förderungen durch die SLM oder den Freistaat tagesaktueller oder magazinartiger Onlinemedien in Sachsen sind Ihnen bekannt?

Mir sind keinerlei Förderungen entsprechender Onlinemedien durch den Freistaat oder die SLM bekannt.

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