Eigentlich gäbe es über das Medium Fernsehen kein Wort zu verlieren. Es ist alles darüber gesagt. Es hat nur nichts geändert. Also müssen wir wohl doch wieder drüber nachdenken. Weil eines stimmt, da hat „Olaf“ natürlich Recht, wenn er in seinem Kommentar von „manipulierter Wirklichkeit“ schreibt. Dass wir uns mit Typen wie Trump abgeben müssen, hat eine Menge mit Fernsehen zu tun und wie Fernsehen unsere Weltwahrnehmung verzerrt.

Worauf übrigens am 16. März in der „Zeit“ auch Peter Kümmel einging, der sich durch das Phänomen Trump an einen Film von 1974 erinnert fühlte: „Network“. Erschrocken erinnert fühlte, denn was da als fiktive Geschichte über die Wirkung des Fernsehens gezeigt wurde, erinnert frappierend an das, was Donald Trump in seinem Wahlkampf tatsächlich gemacht hat. Nur gab es keinen Moderator, der das Publikum vor laufender Kamera wie Howard Beale aufforderte, jetzt die Kiste endgültig auszumachen – oder die Röhre, wie er es nennt im Film.

Denn Beale hat natürlich Recht: Wer die Menschen Abend für Abend vor die Röhre lockt und ihnen fünf Stunden lang Clownerie vorsetzt, Häppcheninformation und eine Illusion der Wirklichkeit, die mit der Realität der Menschen nicht mehr viel zu tun hat, der schafft eine trügerische Welt. Und der bekommt unheimliche Macht, die Menschen zu manipulieren.

Kümmel zitiert aus Beales Rede: „Gnade uns Gott! Warum? Weil weniger als 3 Prozent von euch Bücher lesen. Weil weniger als 15 Prozent von euch Zeitung lesen. Weil die einzige Wahrheit, die ihr kennt, die ist, die aus dieser Röhre (dem Fernsehen, Anm. d. Red.) kommt. Heute existiert schon eine ganze Community von Menschen, die nie etwas kennengelernt haben, was nicht aus dieser Röhre gekommen ist. Diese Röhre ist das Evangelium, die letzte Offenbarung. Diese Röhre kann krönen und stürzen, Präsidenten, Päpste, Premierminister. Diese Röhre ist die gefährlichste, furchterregendste gottverdammte Macht in dieser gottlosen Welt. Wehe uns, wenn sie je in die falschen Hände gerät, Freunde!“

Nicht nur Sidney Lumet warnte mit diesem oscargekrönten Film. Neil Postman schrieb einen ganzen Stapel Bücher über die Verführbarkeit durch die modernen Medien. Über die viel diskutiert wurde. Doch es hat nichts geändert. Es ist immer schlimmer geworden.

Man kann auch an Ray Bradburys finstere Dystopie „Fahrenheit 451“ denken, 1953 veröffentlicht, 1966 von Francois Truffaut verfilmt.

Es gibt wenig Gründe zu sagen, wir hätten es nicht gewusst.

„Wenn sich lediglich 20 % der Nutzer über ‚soziale‘ Netzwerke informieren, 70 bis 80 % dagegen in den herkömmlichen Medien, die auch im Netz informieren, kollidiert das mit den wahlentscheidenden Mehrheiten“, meint „Olaf“. „Fake News werden auch in den klassischen Medien verbreitet. Was nicht unbedingt Lügen sein müssen. Eine manipulierte Wirklichkeit reicht aus. Diese beginnt mit Sprache. Und vermutlich hat das ein nicht unerheblicher Teil der Wähler festgestellt.“

Nein, ich denke eher, dass „ein nicht unerheblicher Teil der Wähler“ überhaupt nichts festgestellt hat. Sie nehmen das, was sie aus der Röhre erfahren, für bare Münze, die ganze Wahrheit, die richtige Wirklichkeit. Und: Sie lesen nicht.

Howard Beale hat Recht.

Da lohnt der Blick in die ARD-ZDF-Langzeitstudie zur Massenkommunikation. Die gibt es aller fünf Jahre. Die letzte wurde 2015 erstellt.

Und Sie können sich die Grafiken anschauen – sie sagen alles. Die Deutschen hängen täglich dreieinhalb Stunden vor ihrem Fernseher, haben – zusätzlich – fast drei Stunden lang das Radio laufen. Dann kommt irgendwann „das Internet“ mit nicht einmal zwei Stunden – aber von diesen 107 Minuten Internet sind 81 Minuten alles Mögliche vom Shoppen über das Schnattern in diversen Communities bis zum Spiele-Spielen. Nur 26 Minuten der täglichen Internetnutzung sind „medial“: 4 Minuten davon nutzen die Leute, um die Websites der Tageszeitungen zu durchschmökern, 10 Minuten für andere Nachrichtenkanäle – zum Beispiel diesen hier, die Leipziger Internetzeitung.

Reichweite der unterschiedlichen Medien. Grafik: ARD-ZDF-Langzeitstudie 2015
Reichweite der unterschiedlichen Medien. Grafik: ARD-ZDF-Langzeitstudie 2015

Da auch die gedruckten Tageszeitungen nur auf 23 Minuten kommen, stehen 37 Minuten interessierter Mediennutzung einer Übermacht von 381 Minuten „Spaß, Unterhaltung und Simplifizierung“ in TV und Hörfunk gegenüber. Die Macht ist völlig ungleich verteilt.  Nämlich: 1 : 10.

Wenn also in Deutschland über die sogenannte Rundfunkabgabe debattiert wird, dann geht es auch um Machtverteilung. Dann darf ein Medium, das seine eigene Wirkung nicht einmal reflektiert, bei den Bürgern abkassieren und seine Marktmacht immer weiter ausbauen, während die anderen versuchen, irgendwie über die Runden zu kommen. Und unsere bräsigen Öffentlich-Rechtlichen breiten sich ja auch längst mit zeitungsähnlichen Angeboten im Internet aus. Scham kennen die nicht. Und da sie ihr Tun auch nirgendwo öffentlich reflektieren, erzeugen sie natürlich auch Standards und den allgemeinen Eindruck, sie seien „glaubwürdig und kompetent“ (77 Prozent der Befragten meinen das) – und zwar öffentliche Sender genauso wie private.

Aber welche Selbstbeweihräucherung und welche Illusion dahinter stecken, das merkt am Ende nur noch, wer die Röhre ausmacht. Wer sich von dieser Dauerberieselung abnabelt, den Kopf unter kaltes Wasser hält und versucht, wieder nüchtern zu werden.

„Kurzum: Wenn wir nicht schlafen oder arbeiten, spricht die statistische Wahrscheinlichkeit dafür, dass wir auf dem Sofa sitzen. Da kann man die Frage schon mal stellen, ob sich das mit der Definition von Leben noch verträgt“, fragte sich Frank Patalong 2013 auf „Spiegel Online“. „Was dazu einlädt, die berühmte Sinnfrage einmal ganz quantitativ zu stellen: Ist es sinnvoll, 152 Tage im Jahr mit dem Konsum von Medien zu verbringen?“

Er geht nicht so weit zu fragen, was dieser ausufernde und vor allem passive Medienkonsum mit unserer Gesellschaft und der Fähigkeit der Menschen anrichtet, unsere Gesellschaft überhaupt noch zu verstehen. Denn sie nutzen ja sichtlich keine Wege, um sich in diverse Themen intensiver einzuarbeiten – also zu lesen zum Beispiel. Selbst Politik konsumieren sie nur – und das noch in der erschreckend banalen und in leicht konsumierbaren Häppchenform, die das Fernsehen entwickelt hat (von den sinnfreien Häppchen im Radio ganz zu schweigen). Ihnen wird suggeriert, dass es keine größere Anstrengung braucht, die Entwicklungen in der Welt zu begreifen. Sie wissen auch nicht mehr, was für Feuerwerke Lesen eigentlich erzeugen kann im Kopf und wie es – wenn man es täglich übt – zum Lernen anregt, zum Munterbleiben, Neugierigsein, Nachfragen und zu kritischer Distanz.

Fernsehen füllt den Raum mit einer Dauerunterhaltung im Sekundentakt. Die Zuschauer kommen gar nicht mehr zu Nachdenken. Unterbrechen und Einhaken können sie schon gar nicht. Fernsehen hat Politik zu einer Show-Veranstaltung gemacht. Und deswegen gewinnen auch immer öfter Zirkusdirektoren und Clowns die Wahlen – auch weil sichtlich eine Menge Menschen das Gefühl haben, dass das nicht schlimm ist, dass solche Typen unserer Gesellschaft nicht gefährlich werden können und deren tolle Auftritte auch für eine tolle Politik sorgen können.

Dass sie dabei in sämtlichen Hauptsendezeiten schon seit Jahren damit verschont werden, die eigentlichen Konflikte und Machtstrukturen unserer Gesellschaft zu sehen, das fällt ihnen nicht mal mehr auf. Das Medium Fernsehen hat sich komplett der Bequemlichkeit der Nutzer angedient. Und es passiert genau das, was auch in „Network“ passiert: Die Leute gehen ans Fenster und schreien hinaus: „Ihr könnt mich alle am Arsch lecken! Ich lass mir das nicht mehr länger gefallen!“

Und sie merken nicht einmal, dass sie schon wieder manipuliert wurden und dass sie mit ihrem Geschrei (das so erstaunlich an PEGIDA und an die Trolle im Internet erinnert) gar nichts ändern. Denn sie kommen aus ihrer Höhle nicht heraus, nicht aus der Welt, die das Fernsehen für sie geschaffen hat. Sie selber bestimmen, was „Quote“ macht. Und damit werden sie zum Goldesel und so leicht manipulierbar.

Am Ende von „Network“ wird Beale erschossen – weil all seine Eskapaden nicht nützen. Er macht nicht genug Quote. Denn im Unterhaltungszirkus gilt dasselbe Gesetz wie im politischen Zirkus: Noch mehr Aufmerksamkeit und höhere Quoten bekommt man nur, wenn man die Sache immer weiter treibt, immer rücksichtloser und manipulativer wird.

Manche Kommentatoren glauben ja, das mit dem Populismus gehe nun wieder vorbei.

Da haben sie sich aber geirrt: Die Show geht weiter. Denn es gibt niemanden, der die mediale Inszenierung unserer Gegenwart überhaupt hinterfragt oder zu bremsen vermag (oder auch nur gewillt ist). Eigentlich braucht es eine echte Medienkritik. Aber wer soll die leisten, wenn die großen Elefanten darauf keine Lust haben und den unabhängigen Medien die Luft abgedreht wird?

Nur so als Frage.

Dieses Thema jedenfalls wird uns noch oft beschäftigen.

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Es gibt 5 Kommentare

Wart mal – der Fernseher hat die Menschen also nicht dumm gemacht, weil es ihn sonst ja gar nicht gäbe? Ich bin etwas verwirrt, ist das nicht wie die Frage mit dem Ei und dem Huhn? Egal. Es ist spät und die Folgen des jahrelangen Fernsehkonsums wirken bei mir vielleicht schon.^^
Aber so nebenbei – für die Anstalt brauch ich den Kasten nicht. Irgendein schlauer Mensch hat doch die Mediathek erfunden.^^

Erst informieren sich “alle” in den (a)sozialen Netzwerken, dann doch eher im Fernsehen?
Letzteres ist doch nur eine neuere Form von “Brot und Spiele”. Und Sport oder Konzerte sind eine Abteilung davon. Also nix Neues. Bis auf die Dauer vielleicht. Die heute deutlich länger ist, als vor 2, 3 oder 4000 Jahren. Was aber den geänderten Lebensbedingungen geschuldet ist. Die Leute haben mehr Zeit.
Dümmer sind die Menschen nicht geworden. Sonst könnten sie kein Fernsehen gucken. Das gäbe es dann nicht.
“Besser” allerdings auch nicht….
So, wie “unsere” Politiker. Die nicht mal ihre Ratsvorlagen (es können auch gerne Beschlußvorlagen des BT sein), geschweige denn deren Grundlagen lesen können oder wollen.

Wer Fernseher entsorgt, verpaßt übrigens “Die Anstalt”. Die nach dem Pegida- und Trump-Bashing (womit diese ihre unverdiente Aufmerksamkeit erst erhalten haben) des letzten Jahres seit den letzten 3 Folgen wieder auf die Ursachen zurück gekommen sind. In der letzten Anstalt eine Super – Zirkus – Show geboten haben. Etwas, das bei den Privaten nicht ansatzweise zu finden ist.

Man muss sich breit gefächert informieren und sich eine eigene Meinung bilden. Man sollte nicht alles glauben. Aber die meisten haben dafür keine Zeit oder sind zu bequem. Auch sollte man vieles hinterfragen! Auch sogenannte Bewegungen! Z.B. der Gründer von “Pulse of Europe“ ist Dr. Röder, dieser arbeitet bei einer bekannten Wirtschaftskanzlei, einfach mal googlen, diese Kanzlei wickelt Arbeitsplätze ab, verkauft Firmen an ausländische Investoren….. Wem nützt das????

Ich hab meinen Fernseher absichtlich nicht auf DVBT2 umgerüstet. Jetzt ist der schon seit letztem Monat aus und fehlt mir null. Ich schmeiss ihn nächste Woche weg und hab so wieder mehr Platz für Bücher. Hier waren ja in letzter Zeit so einige in den Rezensionen, die unbedingt in mein Regal wollen.^^

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