Manches hat sich ja überschlagen in den letzten Tagen. Erst trat die Kultusministerin zurück, dann – nach dem Debakel zur Bundestagswahl, bei dem die sächsische CDU hinter der AfD landete – auch noch Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Logisch, dass es beide auf die Titelseite der neuen „Leipziger Zeitung“ geschafft haben. Denn da kündigt sich was an.

Und es ist ziemlich fraglich, ob es die verbliebenen Köpfe der sächsischen CDU richten werden: Michael Kretschmer, den Tillich als neuen Ministerpräsidenten vorgeschlagen hat, oder Frank Kupfer, der Fraktionschef, der längst schon für einen erzkonservativen Kurs der Sachsen-CDU steht. Der „Spiegel“ attestiert: Dieser CDU-Landesverband ist völlig zerstritten.

Aber er ist auch ratlos – so wie der scheidende Ministerpräsident, der eben tatsächlich für viele Entwicklungen in Sachsen seit 2008 ganz persönlich verantwortlich ist. Und am Erstarken der AfD und von PEGIDA ausgerechnet in Ostsachsen ist ganz und gar nicht Angela Merkels Flüchtlingspolitik schuld. Und auch nicht die emsig beklagte Strukturschwäche Ostsachsens. Strukturschwächen sind politische Schwächen. Sie erzählen von fehlenden Strategien und demontierten Infrastrukturen.

Und von einem Gefühl der Ohnmacht, das sich in Frust verwandelt, wenn die zuständige Regierung neun Jahre lang regelrecht abtaucht und schweigt.

Und stattdessen auf Heimatstolz („So geht sächsisch“) und Schein-Sicherheit setzt, während unübersehbar die Lehrer fehlen, die Polizisten und die Ideen für eine Zukunft, in der auch die Sachsen „gut und gerne leben“ würden.

Und das soll so weitergehen. Jedenfalls, wenn man den CDU-Granden Kretschmer und Kupfer zuhört. Da hätte auch Stanislaw Tillich im Amt bleiben können, wenn er “die Kraft” gehabt hätte, wie er selbst einräumte. Die Neubesetzung des Kultusministeriums mit Frank Haubitz (parteilos) am Donnerstag sieht genau so aus. Die Bildungsexperten im Land fassen sich schon an den Kopf.

Mit dieser CDU ist wohl kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Sie ist so ratlos wie ihr scheidender MP. Eine moderne Politik, die Antworten gibt auf die berechtigten Sorgen der Sachsen, hat sie derzeit nicht zu bieten.

Wobei, das ist wichtig: Das geht nicht nur Sachsen so. Andere Länder und Bundesländer stecken im selben Dilemma. Und gestandene Demokraten werden auf einmal defensiv, weil sie dem Lärm der Rechtspopulisten nichts entgegenzusetzen haben.

Deswegen können wir in dieser LZ-Ausgabe nur andeuten: Sachsen wird in den nächsten zwei Jahren, bis zur nächsten Landtagswahl, zu einem Labor werden, in dem ein paar Demokraten zeigen müssen, wie echte Alternativen zum Gelärm von Rechts aussehen. Handfeste Angebote für ein zutiefst verunsichertes Völkchen. Denn das ist es, dieses Sachsenvolk. Es fehlt die Vision eines Weges, den man gemeinsam gehen kann. Wer keine Ziele setzt, bleibt im Ungewissen. Und rauscht bei Wahlen in den Keller.

Natürlich belassen wir es nicht bei der ersten Analyse.

Da warens nur noch neun. Der Titel der LZ im Oktober 2017. Screen Titel
Da warens nur noch neun. Der Titel der LZ im Oktober 2017. Screen Titel

Wir schauen auch rechts und links

Zum Dilemma der sächsischen Politik gehört ihr seltsames Verständnis von Rechts und Links. Die Abhöraffäre bei Chemie Leipzig nimmt, je tiefer man sich ins Dunkel begibt, immer groteskere Züge an. Teil 2 der Geschichte ist im Blatt.

Leipzig steckt in Kita-Not. Für 45 Millionen Euro will Burkhard Jung 13 neue Kitas aus dem Boden stampfen – und prallt in Dölitz auf Widerstand.

Umweltschutz ist in Sachsen ein im Grunde schlecht besetztes Feld. Was auch jedes Mal sichtbar wird, wenn wieder Wolfsgeschichten die Runde machen. Dass es sich lohnt, sich mit dem Wolf zu beschäftigen, erzählen wir in der LZ 48 einmal etwas ausführlicher. Zwei Seiten berichten frisch aus gleich zwei Stadtratssitzung, also auch frisch vom Mittwoch, 18. Oktober, wo es auch um Einwegbecher, Kulturtickets für Studenten und eine Dreck-weg-App ging.

Ein in Sachsen völlig ausgeblendetes Thema: der Klimawandel. Tatsächlich verteuern viele Verluste, die durch die weltweite Erderwärmung eintreten, jetzt schon viele Dinge in unserem Leben. Wir werden für alles bezahlen, was wir mit unserem Weiterso anrichten. Und zwar direkt über die Preise all der Dinge, die selten und unerschwinglich werden.

Dass Sachsens Abschiebepraxis eine Katastrophe ist, wird noch einmal am Schicksal Dhruv Patels skizziert. Denn die eingeholten Antworten aus der Leipziger Ausländerbehörde lassen ein großes Genehmigungs- und Verweigerungsdurcheinander vermuten. Alles säuberlich geregelt – bis niemand mehr durchsieht.

Die Berichte aus dem Gerichtssaal sind ja für LZ-Leser schon Standard. Neues gibt es zum Beispiel im „Gemkow-Prozess“. Auch wenn man so eine Ahnung bekommt: Das geht auch wieder aus wie das Hornberger Schießen.

Universität, Forschung und Bildung gipfeln eigentlich in Jens-Uwe Jopps berechtigter Frage: Brauchen wir tatsächlich all diese Wunschpakete zu Bildung XXL oder sollten wir uns nicht eigentlich wieder mit Dingen wie Können und Konzentration beschäftigen.

Denn wenn wir uns nicht mehr konzentrieren können, also auch nicht mehr zu strukturiertem Denken kommen, dann ist ja leicht verständlich, dass wir so völlig außer uns sind und die Demokratie einfach aus Schusseligkeit und Unfähigkeit zu klarem Denken abschaffen. Das zumindest befürchtet Theaterdirektor Jürgen Zielinsky im Interview, bevor sich die Zeitungsseiten in Kultur und Sport stürzen und regelrecht dramatisch werden, denn auch Judoka, Volleyballer und Handballer in Leipzig können Drama. Manchmal auch ungewollt.

Manche freuen sich ja, dass die Sportler so viel Drama anrichten. Da braucht man selbst keins produzieren. Oder kaufen. Hoppla: Aber lebt man dann noch? Eine nicht ganz unwichtige Frage, mit der sich Ulrike Gastmann beschäftigt.

Lesefutter genug für die nächsten vier Wochen.

Die neue „Leipziger Zeitung“ liegt ab Freitag, 20. Oktober 2017, an allen bekannten Verkaufsstellen aus. Besonders in den Szeneläden, die an den Verkäufen direkt beteiligt werden.  Also, support your local dealer. Da es vermehrt zu Ausverkäufen kam, ist natürlich auch ein LZ-Abonnement möglich, um garantiert nichts mehr zu verpassen.

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