Für Freikäufer Die Frage, wie Journalismus beschaffen sein müsste in einer pluralen Gesellschaft, ist am Freitag, 10. November, ab 13:15 Uhr Thema bei der vom Zentrum für Europäische & Orientalische Kultur (ZEOK) e.V. im Neuen Rathaus veranstalteten 2. Fachkonferenz Integration 2017 unter dem Schwerpunkt „Medien, Migration und Integration: Der Weg zu einer inklusiven Gesellschaft?!“. Keine Frage: Medien haben einen gewaltigen Anteil daran, wie Migration und Integration wahrgenommen werden.

In der Diskussionsrunde soll mit den Medienschaffenden und Journalisten die Fragen diskutiert werden, „welche Strategien notwendig sind, um eine differenzierte Berichterstattung in pluralen Gesellschaften zu gewährleisten sowie ethnische und religiöse Vielfalt in Medienstrukturen zu fördern? Zentrale Frage lauten:

„Existiert ein Zusammenhang zwischen dem Anteil der Journalisten mit Migrationshintergrund in den Redaktionen, den Medieninhalten bzw. Titelseiten und der negativen Stimmung in der Bevölkerung?

Führt ein höherer Anteil von Minderheitenangehörigen in der Medienproduktion automatisch zu mehr Ausgewogenheit im Umgang mit diesen Themen?

Inwiefern bilden die Redaktionen in den neuen Bundesländern die Diversität der Gesellschaft ab, die inzwischen eine Realität ist?

Welche Strategien sind notwendig, um eine differenzierte Berichterstattung in pluralen Gesellschaften zu gewährleisten und Vielfalt in Medienstrukturen zu fördern?“

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Das sind vier eigentlich ganz einfache Fragen. Die Antworten auf die ersten drei können ganz kurz lauten: Ja. Ja. Nein.

Was viele Gründe hat, die es sich natürlich lohnt, im Einzelnen zu untersuchen. Spannend wäre es allemal. Vor allem, weil ein Wort wahrscheinlich richtig ist an dieser Stelle: Strategien.

So wie in Frage 4: „Welche Strategien sind notwendig, um eine differenzierte Berichterstattung in pluralen Gesellschaften zu gewährleisten und Vielfalt in Medienstrukturen zu fördern?“

Denn Beförderungen, Postenbesetzungen, Gremienbesetzungen – all das hat mit Strategien zu tun. Vor allem jenen Strategien, die Politik und Medienbesitzer anwenden, um ihre Meinungshoheit in den Medien zu sichern. Was gern vergessen wird: Der einzelne Journalist kann sehr wohl interesselos sein. Der Inhaber des Mediums ist es ganz und gar nicht. Medienpolitik wird schon bei der Auswahl der Menschen gemacht, die bestimmte Leitungs- und Ressortfunktionen übernehmen. Ganz zu schweigen von der Stärke der Ressortbesetzung. Lieber drei Redakteure für Fußball und eine Halbtagskraft für „Familienpolitik“? Oder sparen wir uns das mit dieser Familienpolitik und holen uns lieber noch einen Fußballer ins Haus?

Besetzen wir den „Newsdesk“ mit drei Vollzeitkräften? Oder stellen wir lieber mal ein weibliches Rechercheteam zusammen?

Wer in hiesigen Medien unterwegs ist, weiß, was das für ketzerische Fragen sind. Drei Herren, die im Schweiße ihres Angesichts die News runterschrubben, egal wie viel weißer Macho-Müll da verbreitet wird (Stichwort: Trump), sind in heutigen Lokalzeitungen auf der sichereren Seite – Frauen dürfen sich um Blümchenthemen kümmern wie: Kochen, Lifestyle, Promis. Vielleicht noch: Haustiere.

Wenn es irgendwo anders sein sollte in mitteldeutschen Landen, bitte melden, Kollegen. Was man sehen kann, zeichnet genau dieses Bild. Aus den richtigen „harten“ Themen werden Frauen lieber ferngehalten. Und die anderen Themen finden gar nicht erst statt.

Von Journalisten mit Migrationshintergrund spreche ich da gar nicht. Es gibt sie hier nicht. Die radikalen Einsparprogramme bei den Regionalzeitungen kommen noch hinzu und haben das Thema noch verschärft.

Das vorher schon köchelte. Denn dass die Stimmung in Sachsen so ist, wie sie ist, hat auch damit zu tun, dass die wichtigen Medien hierzulande seit 1990 einem fatalen journalistischen Prinzip gefolgt sind: So zu berichten, dass der Leser nicht beunruhigt, herausgefordert oder gar verstört werden könnte. Man hatte ein ziemlich simples Leserbild vor sich und hat es mit seiner Berichterstattung immer wieder bestärkt und bestätigt.

Was unter anderem zum Ergebnis hat, dass sich die so verwöhnten Durchschnittssachsen daran gewöhnt haben, dass nur sie allein der Maßstab sind. Mainstream-Medien bedienen nicht nur den Mainstream – sie schaffen ihn auch.

Und sie schaffen damit auch die Filterblase, in der die Selbst-Bilder der Leser gedeihen.

Und in der die Redaktionen arbeiten. Zunehmend in problematischer Verengung, denn wenn man das Spiel zu lange getrieben hat und seine Leser nicht daran gewöhnt hat, dass Berichterstattung kritisch, vielfältig und pluralistisch sein kann (und muss), dann reagieren sie mit Abwendung. Oder Groll.

Die anderen, die schon vorher gemerkt haben, dass sie in diesem Kosmos nicht vorkommen, sind eh nicht da. Die haben sich schon früher abgewendet. Als plural haben sie die regionalen Mainstream-Medien ganz bestimmt nicht empfunden.

Aber: Kann man Pluralität in Medien schaffen?

Kann man. Mit dem nötigen Geld auf jeden Fall. Dann ist es einfach eine ehrliche Besetzungsfrage der Redaktionen. Dann bekommt eben der eitle Bewerber mit der tollen Brille mal nicht das Ressort „Sachsen“, sondern die junge Dame mit dem schwer auszusprechenden Namen und den frechen Fragen, die Politiker immer wieder ins Stottern bringt.

Die Möglichkeiten hätte auf jeden Fall der MDR. Und er nutzt sie nicht. Nicht wirklich. Die Reaktionen sind weiß. Und wahrscheinlich ist man schon stolz, dass ein Drittel der Stellen mit Frauen besetzt sind.

Aber wie macht man das in kleinen Redaktionen, wo man ganz genau weiß: Eigentlich ist der Etat nicht da, um noch weitere spannende Leute zu bezahlen – was wir ja eigentlich wollen. Aber das wird Zeit brauchen, Einfallsreichtum, das ist nicht einfach von heute auf morgen zu bewerkstelligen.

Aber bei „Strategie“ geht es nicht immer nur um besetzte Stellen. Sondern auch um die Denkweise dahinter: Denn auch das Wie der Berichterstattung ist Strategie. Was gerade in den letzten zwei Jahren sichtbar wurde, als auf einmal über Fakenews und die Probleme diverser Mainstream-Medien berichtet wurde, die realen Vorgänge noch realistisch wiedergeben zu können. Manchmal war es die wilde Hatz auf News, die Probleme machte, mal war es der Drang, Geschichten mit Reizworten aufzublasen, oft waren es aber auch simple Vorurteile, die die Berichterstattung in eine seltsame Richtung verdrehten. Alles rannte wie blöd einem Leithammel hinterher und war hinterher nicht mal über das bescheidene Ergebnis verblüfft.

Da gingen simple Grundsätze einfach über Bord. Auch die sind Strategie.

Einen kühlen Kopf bewahren, ist so einer. Innerlich auf Distanz gehen, ist ein anderer. Auch zum eigenen Publikum, was gerade Regionalzeitungen immer schwerer fällt. Sie trauen ihren Lesern nichts mehr zu. Deswegen gibt es zwar auf jeder Zeitungsseite lauter weichgekochte Kommentare, die irgendwie versuchen, die Stammtischkumpanei mit dem Leser herzustellen nach dem Motto: „Eigentlich denken wir doch dasselbe, nicht wahr?“ Aber völlig verschwunden ist die lesbare Pluralität. Denn die heißt immer: Hat diese Geschichte nicht auch eine andere Seite? Kann man das Thema auch mit den Augen anderer Betroffener sehen? Verändern sich die Wahrnehmungen und Argumente, wenn ich jetzt mal aus der Rolle des Allwissenden schlüpfe und mich selbst dabei infrage stelle?

Wofür es übrigens ein sehr gutes Bild gibt, das der russische Schriftsteller Daniil Granin 1971 in seinem Band mit Reiseskizzen „Sad kamneu“ (auf deutsch erschienen als „Garten der Steine. Reisebilder“ bei Verlag Volk und Welt 1973) benutzte. Bei seinem Japan-Besuch hat er auch den berühmten Zen-Garten im Ryōan-ji besucht, den „Garten der Steine“, in dem sich der Europäer erst einmal seltsam vorkommt, weil nicht klar ist, warum man hier 15 Steine, die verstreut auf einer geharkten Kiesfläche liegen, anschauen soll und was man dabei denken soll. Granin macht die Verwirrung deutlicher, indem er sich quasi teilt in einen russischen Grübler und einen Ingenieur, der alles in technischen und wissenschaftlichen Abstraktionen sieht. Beide haben so ihre Probleme, das Gesehene einzuordnen, wirken geradezu hilflos und ratlos.

Aber da Granin die Fülle der Gedanken niederschreibt, wird auch deutlicher, wie viel so ein scheinbar simpler Steingarten auslösen kann an Assoziationen, Gedanken, Erinnerungen. Und irgendwann merkt er auch, dass er niemals alle 15 Steine gleichzeitig sehen kann – von denen übrigens jeder völlig anders aussieht. Auch das beschäftigt ihn.

Und das gilt eben nicht nur für aufmerksam reisende Schriftsteller. Es gilt auch für Journalisten.

Wir sehen niemals alle Steine. Und ein einigermaßen stimmiges Bild bekommen wir erst, wenn wir wenigstens die Unterschiedlichkeit aller Steine zu zeigen versuchen.

Man merkt schon: Nichts wäre dabei so tödlich wie das übliche Klippklapp: Pro und Kontra, Gut und Böse. Genau die billige Masche, mit der uns in ihrem Phlegma versunkene Redakteure suggerieren wollen, sie hätten alle Seiten einer Geschichte beleuchtet – dabei zeigen sie immer nur die zwei größten Brocken und lassen die 13 anderen einfach weg. Und  nennen das dann ausgewogene Berichterstattung.

Sie ahnen schon, wohin das führt: So kann man Pluralität nie und nimmer abbilden. So entstehen falsche Muster, viel zu simple Darstellungen, Einseitigkeiten sowieso.

In kleinen Redaktionen wie der unseren kann man sich nur immer wieder deutlich machen, dass es so ist. Dass man auf die meisten Sensationsgeschichten lieber verzichtet, wenn man nicht Zeit und Kraft hat, sich wirklich in das Thema hineinzuknien und mehr als zwei Steine zu beschreiben.

Das erfordert auch vom Leser mehr als das gewohnte Schwarz-Weiß-Denken, dieses Ich-hab’s-ja-schon-immer-gewusst, bei dem das Lesen der Überschrift reicht, und schon ist die Meinung fertig. Ein Prinzip, das ja Facebook, Twitter and friends zur Perfektion getrieben haben. Und damit haben sie natürlich auch den Eindruck verstärkt, dass es so komplizierten Journalismus gar nicht mehr braucht. Der schnelle, selbst gemachte reiche ja auch.

Was natürlich die Blasenbildung verstärkt. In Meinungsblasen gibt es keine Pluralität, nur noch muffige Kameradschaft, bei der alle ständig um das Wohlgefallen der anderen Blasenbewohner buhlen. Ergebnis ist genau die Stimmung, die derzeit in Sachsen köchelt: Das Gefühl einer nicht-informierten Mehrheitssuppe, die glaubt, sich diesen seligen Zustand der Unwissenheit durch Grummeln und Jammern erhalten zu können.

Daran haben einige schwergewichtige Medien seit Jahren gearbeitet. Und ich sehe nicht, dass sie bereit sind, an ihrem Eiapopeia irgendetwas zu ändern. Denn darum geht es bei Mainstream immer: Die große Menge zu bespaßen und zu bauchmiezeln, damit sie da bleibt und nicht wegläuft und nicht auf Gedanken kommt.

Ich weiß noch nicht, wie man das auflöst. Aber vielleicht hilft ein bisschen Zen und das Nachdenken über ein paar alte, moosige Steine.

Die Serie „Medien machen in Fakenews-Zeiten“.

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

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