Der sächsische Humor ist hintersinnig. Man muss einmal drumherum laufen, um das ironische Blinzeln zu sehen. Vorn sind die Leipziger ehrwürdig und ein bisschen rebellisch. Deswegen hängt die Erinnerungstafel für Robert Blum vorn am Alten Rathaus. Und dann spaziert man durchs ehrwürdige Gemäuer durch, wendet sich nach rechts. Und da ist der Humor. Auch wenn der eilige Wanderer ins Grübeln kommt: Wer sind denn Georg Bötticher und Edwin Bormann?

Die Tafel, im November 1918 von den Leoniden gestiftet, verrät nur einen Teil: “Dem Andenken zweier Leipziger Dichter / Die in heiterem Wort und vertrautem Klang / Ihrer Heimatliebe ein köstlich Denkmal setzten / Widmen diese schlichte Tafel in schwerer Zeit / Die Leoniden.” Zwei Heimatdichter also. Aha.

Zum Glück nicht.

Dass Bötticher und Bormann 1909 Mitbegründer der Leoniden waren, sei am Rande erwähnt. Dass die Tafel nun ausgerechnet im Revolutionsjahr 1918 angebracht wurde, hat einen simplen Grund: Es war das Todesjahr von Georg Bötticher. Sein Weggefährte Edwin Bormann war schon etwas früher gestorben. 1912. Genauer: Am 3. Mai 1912. Morgen also – vor 100 Jahren.

Und da es die Leoniden nicht mehr gibt – es soll sie als illustre Runde von Leipziger kulturbeflissenen Menschen bis in die 1950er Jahre gegeben haben, als sie verboten wurden -, hat sich eine andere Gesellschaft des Jubiläums angenommen. Die Lene-Voigt-Gesellschaft, die sich eben nicht nur dem Werk der “Sächsischen Nachtigall” widmet, sondern ganz offiziell auch der Pflege der Sächsischen Mundart.

Da gehören Bötticher und Bormann natürlich dazu.

Zum 100. Todestages von Edwin Bormann möchte die Lene Voigt Gesellschaft e. V. Leipzig an diesen Dichter erinnern.

Viele benutzen recht oft ein Bormann-Zitat und wissen gar nicht, dass es von ihm stammt: “Jedes Thierchen hat sein Pläsierchen”.

So hieß das erste Buch, das er 1888 in seinem eigenen Verlag veröffentlichte: “Ein jedes Thierchen hat sein Pläsirchen. Zoologischer Lieder-Garten.”

August Edwin Bormann wurde am 14. April 1851 in Leipzig geboren. Er stammte aus einer thüringischen Familie, die das in Leipzig bekannte Gasthaus “Thüringer Hof” gründete. Nach seinem Schulabschluss ging er mit 16 Jahren in Dresden an das Königliche Polytechnikum, um Architektur zu studieren. Aus gesundheitlichen Gründen brach er dieses Studium ab und begann in Leipzig und Bonn Naturwissenschaften, Kunstgeschichte, Germanistik sowie Philosophie zu studieren. Danach ließ er sich als freier Schriftsteller in Leipzig nieder. Er gründete seinen Verlag, in dem er viele seiner Publikationen veröffentlichte.So vielseitig wie seine Studien war auch sein schriftstellerisches Schaffen. Er schrieb Kinder- und Jugendliteratur, Operntexte, Komödien, Schwänke und Lustspiele. Darüber hinaus befasste er sich mit Forschungen zur Stadtgeschichte Leipzigs. International wurde er bekannt mit seinen Schriften zur Shakespeare-Bacon-Theorie. “Das Shakespeare-Geheimnis” (1894) ist bis heute das meistverlegte Buch Bormanns. Auch wenn die These, Francis Bacon könnte der Verfasser der unter dem Namen Shakespeare veröffentlichten Dramen und Gedichte sein, nicht haltbar ist. Jüngere Shakespeare-Forscher sind sich mittlerweile recht sicher, in Edward de Vere den richtigen Autor gefunden zu haben.

1902 veröffentlichte Bormann eine eigene Übersetzung von “Das Drama König Heinrich der Achte”. Nach dem Originaldruck von 1623 neu übersetzt, erläutert und eingeleitet. Mit dem Kommentar im Titel: “Gedichtet 5 Jahre nach dem Tode des Schauspielers William Shakspere.” Und als Verfasserangabe: Francis Bacon-Shakespeare. Konsequent war Bormann, keine Frage. Fleißig erst recht.

Wer sich durch die Liste der vielen Nachdrucke des “Shakespeare-Geheimnis” wühlt, stößt weit hinten in den Online-Katalogen dann auf die Vielzahl von Büchern, die Bormann fast alle im Eigenverlag veröffentlichte und die heute ebenso fast alle nur noch antiquarisch zu bekommen sind.

“Leibz’ger Lerchen”, “Humoristischer Hausschatz”, “Herr Engemann oder: Stiefelhelzer un Weltgeschichde”, Mei Leibzig low’ ich mir! Boesieen ännes alden Leibz’gersch”, “Ratsgeller-Fandasien. Neie Boesien von ännen alden Leibz’ger”, “Bormann’s Buch vom Klabberstorche” usw. usf.Er korrespondierte mit vielen bekannten Persönlichkeiten – unter anderem mit Anton Kippenberg, Paul Heyse und Theodor Fontane. Er war auch jahrelang Mitarbeiter der humoristischen Zeitschrift “Fliegende Blätter”. Mit seinem Buch “Mei Leibzig low` ich mir” und vielen Parodien, Satiren und Humoresken machte er sich im gesamten deutschsprachigen Raum einen Namen als Mundartdichter.

Edwin Bormann starb am 3. Mai 1912 in Leipzig. Berühmt und geliebt. Das muss erwähnt sein. Denn ihm geschah auch, was heutigen Autoren der Stadt so schnell ganz bestimmt nicht passieren wird (es sei denn, sie gründen ganz schnell ein weltberühmtes Unternehmen): Er bekam eine eigene Straße. Oder besser: Ein Stück Straße, das bis dahin An der Bücherei hieß, wurde 1914 umbenannt in Bormannstraße. Niemand wohnt da heute. Kein berühmtes Unternehmen hat da seine Adresse. Es ist die kleine Zubringerstraße hinter dem Technischen Rathaus der Stadt in Reudnitz-Thonberg, über die man von der Prager Straße auf den Parkplatz kommt.

Gewohnt hat Edwin Bormann ganz woanders: im Ranstädter Steinweg. In der kleinen Sackgasse, die kurz vor der Leibnizstraße rechts abführt – das Haus am Ende der Gasse. Das erste Haus links ist derzeit eingerüstet – aber an der Hauswand ahnt man die verwitterten Konturen von vier Figuren, die die Leipziger Künstlerin Gabi Francik gemalt hat, um auf die Besonderheit des Ortes hinzuweisen. Die rechte Figur stellt Edwin Bormann dar.

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Wer jetzt freilich am Donnerstag, 3. Mai, einen Ort sucht, wo er sein Blumengebinde niederlegen könnte, wird seine Schwierigkeiten haben. Denn Edwin Bormann wurde damals auf dem Neuen Johannisfriedhof beerdigt. Der Friedhof wurde in DDR-Zeiten planiert und in den heutigen Friedenspark umgewandelt.

Mitglieder der Lene-Voigt-Gesellschaft wollen aber zu Ehren von Edwin Bormann im Herbst dieses Jahres ein Programm mit seinen Texten veranstalten. Ort und Zeit stehen noch nicht fest, werden aber noch bekannt gegeben.

www.lene-voigt-gesellschaft.de

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