Auch die Liberalen im Freistaat feiern in diesen Wochen ihren 150. Gründungstag. Fortschritt sehen sie weiter als ihr Markenzeichen, sagt Sachsens Parteigeneral Torsten Herbst im L-IZ-Interview. "Politisch ringen wir jeden Tag aufs Neue darum, beispielsweise Bürgerrechte zu schützen oder Eingriffe des Staates - unter anderem durch Steuern - zu begrenzen", so Herbst.

Herr Herbst, Linke und SPD erinnern derzeit an die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins ADAV in Leipzig vor 150 Jahren. Sie feiern 150 Jahre Sächsischer Fortschrittsverein, gegründet am 25. April 1863 im Leipziger Schützenhaus. Wie wichtig ist Ihnen die lange liberale Tradition in Sachsen?

Die Gründung des sächsischen Fortschrittsvereins in Leipzig ist quasi die Geburtsstunde der Liberalen in Sachsen. Daran erinnern wir auch am 12. Juni 2013 auf einer Festveranstaltung. Damals fanden sich mutige, unabhängige und vor allem freiheitsliebende Bürger verschiedener Fortschrittsvereine zusammen und gründeten hier erstmals eine gemeinsame Organisation.

Viele liberale Überzeugungen von damals sind auch heute noch Leitideen der FDP. Gerade im 19. Jahrhundert haben liberale Bewegungen in Deutschland für Einheit, Freiheit und demokratische Mitbestimmung des Bürgertums gekämpft – gegen die Obrigkeit.

Heute ist der Staat demokratisch, aber politisch ringen wir jeden Tag aufs Neue darum, beispielsweise Bürgerrechte zu schützen oder Eingriffe des Staates – unter anderem durch Steuern – zu begrenzen.

Fortschritt war der eine große liberale Schlachtruf der Gründungszeit. Wie definieren Sie Fortschritt heute?

Bis heute sehen wir Liberale den Fortschritt vor allem als Chance – nicht immer nur wie andere als düsteres Risiko. Fortschritt heißt, das althergebrachte Wissen, die Technik und die Organisation unserer Gesellschaft kritisch zu überprüfen und mit kreativen Ideen zu verbessern. Dafür braucht es hin und wieder auch Mut, denn anfangs werden neue Erkenntnisse selten sofort von einer Mehrheit begeistert aufgenommen.

Hier braucht es eine Kraft, die an das Neue glaubt und es fördert. Das war schon immer Aufgabe der Liberalen.

Wie wichtig uns das Thema heute noch ist, sieht man daran, dass wir als FDP-Landtagsfraktion sogar eine ganze Veranstaltungsreihe namens “Fortschrittsoffensive” ins Leben gerufen haben. Auch hier geht es darum, moderne Technologien und Vernunft gegen einen oft angstschürenden Zeitgeist zu verteidigen.

Welche Rolle spielt in diesem Verständnis die Bildungspolitik?

Nur eine gute Bildung wie hier in Sachsen sorgt dafür, dass die junge Generation in der Lage ist, unsere Gesellschaft kritisch zu hinterfragen und neue Ideen zu entwickeln. Wir wollen, dass die Menschen sich immer wieder die Frage stellen: Wie funktioniert das bisher, und wie kann man das vielleicht noch besser machen oder anders organisieren? Und das gilt in der Politik, in der Wissenschaft und in den Unternehmen.

Wir brauchen kluge Köpfe, deshalb investiert Sachsen in diesem Jahr im Haushalt erstmals über fünf Milliarden Euro in Bildung und Forschung – so viel wie noch nie.

Und in der Bildungspolitik haben die Liberalen schon immer für Chancengerechtigkeit und Leistungsorientierung gekämpft, deswegen wollen wir mit der neuen Oberschule in Sachsen künftig den Wechsel aufs Gymnasium auch so genannten Spätstartern nach der 6. Klasse ermöglichen – zusätzlich zur Chance nach der 4. Klasse. Dabei sollen an der Oberschule mehr individuelle Förderung in Leistungsgruppen, eine bessere Berufsorientierung und eine frühere zweite Fremdsprache helfen.
Folgt man der Kritik Ihrer politischen Wettbewerber, so haben die Liberalen nur die Interessen der Besserverdienenden im Blick. Ab wie viel Euro Jahreseinkommen kann man sich denn aus Ihrer Sicht liberale Überzeugungen leisten?

Leisten können – das muss man sich heute ja SPD und Grüne, die mit massiven Steuererhöhungen schon jeden Handwerksbetrieb und jeden Facharbeiter kräftig abkassieren wollen.

Wer dafür ist, dass der Staat den Menschen etwas mehr von ihrem hart erarbeiteten Einkommen übrig lässt, der ist bei der FDP richtig. Wir wollen beispielsweise den Solidaritätszuschlag abschaffen, den jeder Arbeitnehmer bislang zahlen muss.

Und nur zum Vergleich: Rot-Grün hat einst als Bundesregierung den Spitzensteuersatz gesenkt, Schwarz-Gelb hat in dieser Wahlperiode die Praxisgebühr für alle abgeschafft und das Kindergeld für Familien erhöht. Da kann jeder selbst entscheiden, welche Partei seine Interessen vertritt.

Die Forderung nach Steuersenkungen war lange das Paradethema der FDP. Schuldenbremsen verbauen nun die Finanzierung staatlicher Aufgaben über Staatsanleihen. Wie soll künftig das Geld für Staatsaufgaben und Staatsausgaben zusammen kommen?

Das Geld für die nötigen Staatsaufgaben ist in Hülle und Fülle da, wenn sich der Staat auf seine Kernaufgaben wie beispielsweise Bildung, innere Sicherheit, Infrastruktur und eine funktionierende Verwaltung konzentriert.

Wir hatten in den vergangenen Jahren Rekordsteuereinnahmen. Noch nie hatten Bund, Länder und Gemeinden so viel Geld zur Verfügung wie zuletzt, trotzdem wollen Finanzminister und Stadtkämmerer immer noch mehr. Denn der Staat hat nie genug, es gibt immer noch eine Wohltat und immer noch ein nettes “Wohlfühl-Förderprogramm”, mit dem man beim Wähler punkten will.

Dem schieben wir beispielsweise in Sachsen mit dem Schuldenverbot in der Verfassung jetzt einen Riegel vor. Wir wollen – anders als beispielsweise Nordrhein-Westfalen – unseren Kindern und Enkeln hier im Freistaat keine Schuldenberge hinterlassen.

Friedrich Naumann (1860 – 1919) und Wilhelm Külz (1875 – 1948) waren nicht nur bedeutende sächsische Liberale. Beide entstammen evangelischen Pfarrersfamilien. Heute hingegen betrachten sich die Evangelische Kirche und die FDP in Sachsen offenbar wechselseitig als rotes Tuch. Buchstabiert sich Fortschritt in Sachsen heute für Sie als Kirchenkampf?
Es gehört seit jeher zu den ureigensten Forderungen der Liberalen, dass jeder frei seine Religion ausüben darf. Aber dazu gehört eben auch, dass der Glaube eine Privatangelegenheit ist und Kirche und Staat getrennt sein sollen.

Fortschritt bedeutet, hin und wieder Bestehendes kritisch zu beleuchten. Und wir stellen in Sachsen regelmäßig viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auf den Prüfstand – oft mit der Folge, dass Organisationen oder Einrichtungen mit weniger staatlichen Mitteln auskommen müssen.

Deshalb ist es vernünftig, dass man sich auch alte Vereinbarungen mit den Kirchen ansieht, zumal wenn sie 210 Jahre alt sind. Die Kirchen übernehmen in unserer Gesellschaft wichtige Aufgaben, sie sind Sinn- und Wertegeber und nicht alles lässt sich materiell messen. Aber zur Wahrheit gehört auch: 75 Prozent der Sachsen gehören keiner Religionsgemeinschaft an. Sie teilen andere Werte und nutzen andere Einrichtungen.

Vielen Dank für das Gespräch.

www.fdp-sachsen.de/online/fdp/fdp.nsf/site/150_Jahre_Liberalismus_in_Sachsen

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