Wahrscheinlich muss Yadegar Asisi nicht mehr darüber nachdenken, ob das Panoramabild, das vor 100 Jahren schon für tot erklärt wurde, mit seiner Arbeit wieder zum Leben erwacht ist oder verschwindet. Die Zeit spielt für ihn. Eine Zeit, in der nichts blinkert, flackert, auf Eile drängt. In seinen Panometern tickt die Zeit anders. Und 5 Millionen Besucher hat er seit 2003 zählen dürfen. Am Samstag, 3. August, eröffnet sein nächster Hingucker: Leipzig 1813 - In den Wirren der Völkerschlacht".

Fünf Jahre haben er und seine Mannschaft an diesem Thema gearbeitet. Aber ganz am Anfang standen Bauchschmerzen, wie Yadegar Asisi erzählt. Seine Kindheit hat der in Wien geborene Sohn persischer Emigranten in Leipzig erlebt. “Als Kind hatte ich das Völkerschlachtdenkmal immer vor Augen”, erzählt er. Und: “Ich hatte eigentlich Angst vor dem Ding.” Auch, so betont er, weil ihm niemand erklären konnte, was die Völkerschlacht eigentlich war.

Viel zu frappierend war die bunte, farbenfrohe Bürgerstadt mitten im Schlachtgetümmel – von der Schlacht im Grunde unlädiert. Das kompakte, in Teilen noch barocke Leipzig, das erst beim Blick in die Tiefe das Drama enthüllt, das sich in und vor seinen Mauern abspielt.

“Man kommt ja ganz schnell auf eine Antwort”, sagt Asisi: “Gar nichts.” Und so sinnfällig wie kaum einer vor ihm erzählt er von den Generälen, die ganz zufällig auf Leipzig kamen, als sie im Herbst 1813 beschlossen, “sich hier zu prügeln”. “Die Stadt hat damit gar nichts zu tun”, so Asisi, der sich seit fünf Jahren mit dem Thema beschäftigt. Und eins war für ihn von Anfang an klar: Ein Schlachtengemälde, wie sie im 19. Jahrhundert üblich waren und wie sie seinerzeit auch im Leipziger Panorama am Rossplatz zu sehen waren, würde es nicht werden.
Dadurch, dass Asisi den Standpunkt auf das Dach der Thomaskirche verlagerte, hat er auch den Fokus verschoben. Im Osten ist zwar der Himmel von Rauchwolken geschwärzt. Man sieht brennende Dörfer, kann aber das eigentliche Schlachtfeld nur ahnen, den Ort des Gemetzels nicht wirklich sehen. Asisi wollte keine anstürmenden Reiter, keine fechtenden Soldaten, keine im Hurra vorwärts stürmenden Soldaten zeigen. “Das ist Wildwest”, sagt er. “Das ist die Ästhetik des 19. Jahrhunderts.”

Vom Dach der Thomaskirche schaut man jetzt ins tiefe Gassengewirr der Stadt, sieht das dichte Gedränge der Truppen, die noch in der Stadt sind, umgestürzte Trainwagen, Kolonnen, die sich formieren, aber auch – auf Stroh gebettet – viele verletzte Soldaten. Daneben Bürger, die versuchen zu helfen. Es ist der Moment nach der Schlacht. Auch wenn im Osten wohl noch gekämpft wird.

Auf dem Markt sind die sächsischen Truppen noch angetreten. Napoleon hat sich schon vom sächsischen König verabschiedet. Hat aber die Stadt – nach einem vergeblichen Versuch, sich zum Ranstädter Tor durchzuschlagen, durchs Peterstor verlassen. Das sieht man nicht. Aber man kann die Burgstraße hinaufschauen und trifft mit dem Blick auf die wuchtige Pleißenburg, die das Bild nach Süden dominiert. Das Brandvorwerk brennt lichterloh. Und dann sieht man die Promenade im Westen der Stadt und der Blick beginnt über die eindrucksvollen Gärten zu schweifen.
“Auch das etwas, was die Leipziger fast vergessen haben”, sagt der Künstler. “Leipzig war eine Stadt der Gärten und europaweit für diese Gärten berühmt.” Diese Gärten – Apels Garten in der Mitte – nehmen das ganze westliche Vorland ein. Zwischen den Bäumen sieht man die alten Mühlgräben und die Windungen der Elster, die an diesem 19. Oktober 1813 für Tausende Franzosen und den polnischen Feldmarschall Poniatowski so verhängnisvoll werden sollte. Hier auf der Promenade direkt unterhalb von Thomasschule und Thomaskirche sieht man die französischen Garden abmarschieren. In straffer militärischer Formation, während ringsum nur Chaos zu herrschen scheint. Hier merkt man, was Asisi meint, wenn er fragt: “Wie fühlt man sich, wenn man da hineingeworfen ist als Soldat, einem fremden Willen folgt und jederzeit mit dem Tod rechnen muss?”

In straffer Marschformation zieht Napoleon mit seinen Garden ab. Die Schlacht ist entschieden. “Gewonnen hat, wer am Ende noch die meisten Materialreserven hat”, bringt Asisi sein Staunen über das eigenartige Denken der Generäle aller Zeiten zum Ausdruck. “Und wer gewonnen hat, nimmt sich dann das Land.” Asisi will es nicht verstehen. Und aus der Perspektive einer Stadt wie Leipzig, die nur aus Zufall zum Schauplatz einer Entscheidungsschlacht wurde, ist es erst recht nicht zu verstehen. Und es wirkt aus der Draufschau noch frappierender, wenn die Franzosen da in geordneter Formation mitten durchs Chaos abziehen.

Auch bei der Begleitmusik hat Asisi auf Schreie und Kanonendonner verzichtet, auch wenn man immer wieder Pferdegetrappel hört, Knistern und eilende Schritte. Und dann die große Berg-Musik von Eric Babak, der auch schon den Soundtrack zu Asisis anderen Panoramen geschaffen hat. Es passt auch hier. Asisis Bilder sind immer wie große, dröhnende Begegnungen mit dem Unendlichen in der sonst so winzigen menschlichen Geschichte. Man muss es nur suchen.
Vom Dach der Thomaskirche schaut man jetzt ins tiefe Gassengewirr der Stadt, sieht das dichte Gedränge der Truppen, die noch in der Stadt sind, umgestürzte Trainwagen, Kolonnen, die sich formieren, aber auch – auf Stroh gebettet – viele verletzte Soldaten. Daneben Bürger, die versuchen zu helfen. Es ist der Moment nach der Schlacht. Auch wenn im Osten wohl noch gekämpft wird.

Auf dem Markt sind die sächsischen Truppen noch angetreten. Napoleon hat sich schon vom sächsischen König verabschiedet. Hat aber die Stadt – nach einem vergeblichen Versuch, sich zum Ranstädter Tor durchzuschlagen, durchs Peterstor verlassen. Das sieht man nicht. Aber man kann die Burgstraße hinaufschauen und trifft mit dem Blick auf die wuchtige Pleißenburg, die das Bild nach Süden dominiert. Das Brandvorwerk brennt lichterloh. Und dann sieht man die Promenade im Westen der Stadt und der Blick beginnt über die eindrucksvollen Gärten zu schweifen.
Und gesucht hat Asisi diesmal auch nach den Texten für den Soundtrack. Volkslieder aus den Ländern all der beteiligten Soldaten sollten es sein. Und vielstimmig ist der Chor auch, ein Nürnberger Chor, mit dem ein Text eingesungen wurde, den man an dieser Stelle nicht erwartet hat: Heinrich Heine. Eigentlich eine Ballade von Liebe und Wehmut. Aber Heine war ja auch Zeitgenosse der Völkerschlacht. Er war noch nicht ganz 16, als Napoleon bei Leipzig besiegt wurde. Und er erlebte am eigenen Leibe, wie mit den Karlsbader Beschlüssen 1819 auch der letzte Rest Hoffnung wegzensiert wurde. Zur Revolution hatte er stets ein zwiespältiges Verhältnis, doch mit den Verhältnissen, die sich nach Napoleons Vertreibung wieder in Deutschland etablierten, fand er sich erst recht nicht ab.

Auch das eine offen gelassene Frage, die Asisi in sein Panorama verpackt hat. Auch das etwas, was auf den ersten Blick mit Leipzig nichts zu tun hat.

Eine Stadt, die Asisi liebt, so wie er die Sachsen liebt. “Leipzig war immer eine friedliche Stadt”, sagt er.

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Auch das darf man mitdenken, wenn man in den Zyklus von Tag und Nacht in seinem “Leipzig 1813” hineintaucht. Und auch wenn man die Sterbensschreie und auch das Jammern der Verwundeten nicht hört, spürt man doch die Gewalt, die sich um Leipzigs Mauern ausgetobt hat. Man sieht die vielen kleinen Gestalten, die da unten wimmeln, viele für immer aus dem Rennen geworfen. Eben noch Soldaten, die brav jeden Befehl befolgten und den Generälen ihre große Prügelei ermöglichten, jetzt schon hingefetztes Leben. Und da praktisch jede einzelne Gestalt in einem der großen Foto-Shootings im letzten Jahr entstand, ist in diesem Bild – deutlicher als in all den historischen Skizzen der Völkerschlacht – der einzelne Mensch noch zu erkennen, der Offizier, der auch verwundet noch weiter seine Befehle gibt, die Plünderer, die Wachenden auf dem Turm, die Marketenderinnen. Man sieht, wie sich das Alles noch einmal drängt und nach einem Ausgang sucht. Der Strom wälzt sich über den Ranstädter Steinweg gegen Westen.

Ab Samstag, 3. August, ist dieses Panorama eines historischen Wendepunktes, der eigentlich gar nichts mit Leipzig zu tun hat, im Panometer in der Richard-Lehmann-Straße 114 zu sehen.

www.asisi.de

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