Auch Statistiker feiern ihre Jubiläen. Mal den des Amtes, mal den der Jahrbücher. Das erste Leipziger "Statistische Jahrbuch" kam genau vor 100 Jahren im Jahr 1913 heraus. "1. Jahrgang 1911" steht drauf. Dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes für Statistik und Wahlen nicht immer die neuesten Zahlen auf dem Tisch haben, ist also nichts Neues. Heute lassen sie gern Lücken an den Stellen, wo die Zulieferer getrödelt haben.

Das juckt die Trödler zwar meistens nichts. Aber es zeigt schon, dass nicht jede Zahl so alt sein muss, wie sie manchmal erscheint. Schon gar nicht im Zeitalter der Elektronik und des Internets.

Und nicht jede Zahl, die dann erscheint, muss so stimmen. Auch das eine Sache, die Statistikern schlaflose Nächte bereiten dürfte. Sie zeigen es nur nicht. Wer so mit Zahlen zu tun hat, der hat Geduld gelernt. Und der setzt dann kleine Zahlen oder Buchstaben in die Spalten, die erklären, warum bestimmte Werte nur eingeschränkt gelten oder nur vorläufig – bis irgendwo eine höhere Instanz endlich fertig ist mit Rechnen. Zum Beispiel. Man denke nur an den “Zensus 2011”, dessen Datensammlung im Mai 2011 stattfand. Die ersten Ergebnisse gab es zwei Jahre später – in alter Tradition.Andererseits ist eine ausgiebige Statistik für eine Großstadt wie Leipzig auch ein modernes Instrument: Wer die genauesten Zahlen hat über die Stadt, der könnte auch besser und zielgenauer Verwalten, Investieren und Regieren.

Das “könnte” lassen wir hier einfach stehen. Als Einschränkung. Deutsche Politik hat zwar nun seit über 100 Jahren eine funktionierende Statistik – nutzt sie aber eher ungern zum Justieren und Nachjustieren. Man denkt sich lieber die Dinge etwas einfacher. Und zuckt dann mit den Schultern, wenn die Zahlen nicht passen.

Statistische Zahlen hat Leipzig übrigens schon seit 1878 veröffentlicht. Da war Leipzig seit knapp zehn Jahren Großstadt im modernen Sinn – mit über 100.000 Einwohnern und auf dem Weg zur 150.000. Ab 1909 gab es auch statistische Monatsberichte, wie Maria Gelfert und Jens Vöckler erzählen, die den Beitrag “100 Jahre Statistisches Jahrbuch Leipzig” im neuen Quartalsbericht verfasst haben. Da hatte Leipzig schon die 500.000er-Marke überschritten. Verständlich, dass Rat, Stadtverordnete und Verwaltung jetzt noch mehr Bedarf hatten an statistischen Informationen. Also musste ein Jahrbuch her.Das dann 1913 erstmals erschien – mit immerhin schon 128 Tabellen in acht Abschnitten. Das Jahrbuch 2012 bot schon 321 Tabellen in 16 Abschnitten. Das Informationsbedürfnis ist also deutlich gewachsen. Auch wenn heute niemand mehr auf die Idee käme, die so genannte Agglomerationsbevölkerung zu messen wie 1913 – in verschiedenen Radien von 5, 6, 7, 8 Kilometern usw.

Eigentlich müsste es heute schon 100 fertige Jahrbücher geben. Aber es gibt erst 43. Wie so oft: Der Krieg ist schuld. Unter anderem. Die Kriegsjahre 1915 bis 1918 wurden in einem Band zusammengefasst. Darin enthalten auch eine Tabelle zum Kriegsjahr 1916, die für Leipzig eine ortsanwesende Bevölkerung von 558.620 ausweist (1914 hatte Leipzig schon mal 624.845 Einwohner), darunter 29.519 aktive Militärpersonen und 374 Kriegsgefangene. Aber auch die Krisenjahre der Weimarer Republik führten dazu, dass es Sammelbände für mehrere Jahre gab, in der NS-Zeit tat man sich ebenfalls schwer, jährlich eine ordentliche Datensammlung vorzulegen, so dass es 1945 erst die 9. Ausgabe gab. Und die nächste dann sogar erst 1955.

Elf Jahrbücher schaffte man in DDR-Zeiten bis 1970 – dann fing auch dort das Gemähre wieder an, wollte man brisante Datensätze nicht mehr veröffentlichen und versteckte die Leipziger Daten dann lieber noch in zwei Statistischen Jahrbüchern für den Bezirk Leipzig, bevor man 1983 die Kundgabe zum aktuellen Zustand der Stadt und des Bezirkes ganz einstellte.1991 wurde dann das Amt für Statistik und Wahlen neu gebildet. Jetzt brauchte man endlich keine Angst mehr davor zu haben, dem Volke auch jedes Jahr belastbare Zahlen auszudrucken. Tatsächlich gibt es erst seitdem wirklich eine ununterbrochene Reihe Statistischer Jahrbücher für Leipzig. Von Nummer 22 bis zur Nummer 44, die in den nächsten Wochen erscheinen wird.

Es stehen natürlich solche exotischen Dinge nicht mehr drin wie die zum Verkauf bereitgestellten Pkw, Motorräder, Motorroller und Mopeds, wie man sie 1963 im Jahrbuch nachlesen konnte, als die Ulbrichtsche DDR noch stolz darauf war, dass sie dem Volke durchaus respektable Dinge aus eigener Produktion anbieten konnte. Auch die Zahl der Anzeigen wegen Majestätsbeleidigung (3 Stück im Jahr 1911) stehen nicht mehr drin. Was nicht heißt, dass die alten Jahrbücher nicht aufregend wären. So findet sich in dem von 1945 zum Beispiel der “Lebensbaum” der Leipziger Bevölkerung, wie man ihn auch aus jüngeren Jahrbüchern kennt, wo die Umbruchzeit der frühen 1990er Jahre als heftige Delle im Altersbaum aufscheint. Stichwort: Geburtenknick.

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1945 war deutlich zu sehen, wie heftig der 2. Weltkrieg vor allem die Jahrgänge der zwischen 1915 und 1925 Geborenen dezimiert hat. Und zwar so heftig, wie es der 1. Weltkrieg mit den Jahrgängen der zwischen 1880 und 1895 Geborenen nicht getan hatte. Auch mit dem markanten Unterschied, dass der 1. Weltkrieg vor allem die männlichen Jahrgänge dezimierte, die Frauen aber ungeschoren ließ, was 1939 bis 1945 anders war.

“Zum Schmunzeln” finden die beiden Autoren des Beitrags die Auflistung der in Leipzig erhobenen Biersteuer für das Jahr 1918: 89.657 Mark. Fast dächte man, die gibt es gar nicht mehr. Doch es gibt sie noch heute. Doch es ist eine Landessteuer. Rund 700 Millionen Euro nehmen die Bundesländer damit noch jedes Jahr ein.

Der Statistische Quartalsbericht II/2013 ist im Internet unter http://statistik.leipzig.de unter “Veröffentlichungen” einzusehen. Er kann zudem für 7 Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) im Amt für Statistik und Wahlen erworben werden. Postbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, 04092 Leipzig, Direktbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, Burgplatz 1, Stadthaus, Zimmer 228

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