Manchmal sind es Seitenwege, die man einschlägt. Mal schauen, was es da zu finden gibt. Und dann stolpert man über Projekte, die verblüffen. Auch weil sie da hinten in Dresden in aller Stille passieren – mit viel Aufwand, so wie das Projekt der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), bei dem sämtliche historischen Adressbücher Sachsens digitalisiert werden. Auch Leipziger. Eine erstaunliche Gelegenheit, einen Verschollenen zu suchen.

Seit 2012 ist das Digital-Portal mit den Adressbüchern online. Damals hat man mit den Dresdner Adressbüchern begonnen, „die 1702 beginnen und zwischen 1831 und 1943/44 nahezu lückenlos vorliegen. Die Digitalisierung erfolgte im Digitalisierungszentrum der SLUB und anschließend erhielten die digitalen Ausgaben umfangreiche Inhaltsverzeichnisse. Um darüber hinaus auch eine Suche nach Personen und Straßen zu ermöglichen, wurden die jeweils ersten Personen- und Straßennamen jeder Seite der Einwohnerverzeichnisse und Häuserbücher in einer Datenbank erfasst. Dabei wurden wir tatkräftig von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen unterstützt.“

Man kann sich diese emsige Arbeit vorstellen, wie die mehrere 100 Seiten dicken Wälzer Seite für Seite eingescannt wurden. Und dann auch noch ordentlich verschlagwortet, so dass man jetzt online in jedem einzelnen Jahrgang blättern kann, als hätte man das dicke Buch vor sich.

„Im Herbst 2012 ging das Portal online und die Dresdner Adressbücher waren die ersten, Bautzen, Blasewitz, Chemnitz, Meißen und Pirna folgten“, ist dort weiter zu lesen. Wenn man dann die Suchfunktion nutzt, sieht man, dass inzwischen hunderte Adressbücher von Adorf bis Zwönitz digitalisiert wurden, darunter auch die Leipziger Adressbücher. Angefangen mit dem von 1701, dem ältesten in Sachsen hergestellten, bis 1949. Da erschien das letzte Adressbuch nach klassischem Muster.

Erst 1995 erschien wieder eins. Auch wenn das digitale Zeitalter die dicken Bücher scheinbar nicht braucht. Man findet ja alles irgendwie im Netz. Oder auch nicht. Spätere Generationen werden sich ärgern, denn nicht alles, was durchs Netz geistert, wird auch gespeichert. Das Internet ist vergesslich, Webseiten werden abgeklemmt, Server stürzen ab und riesige Mengen Datenmüll sorgen dafür, dass das Wichtige nicht wirklich bleibt, denn die meisten Krachmacher im Netz kommen nicht mal auf die Idee, ein sicheres Archiv anzulegen. Oder es übersteigt ihre Rechnerkapazitäten.

Und so  überlebt vieles als Information nicht, so wie die gedruckten alten Adressbücher, die neben dem Namen und der Wohnanschrift der Stadtbewohner auch ihren Beruf angaben und später sogar die Telefonnummer.

Hat man den Namen, kann man – wenn man mehrere Jahrgänge durchforstet – sogar eine Art kleinen Lebenslauf erstellen. Nicht vollständig. Aber hilfreich, gerade wenn die Personen nie wirklich Forschungsobjekt der Wissenschaft waren oder „berühmt“ in dem Sinn, dass einem jedes Sonntagsblättchen fortwährend immer wieder denselben blankgeputzten Lebenslauf liefert.

Und da es auch ordentliche Straßenverzeichnisse in diesen Adressbüchern gibt, kann man sogar nachvollziehen, wer und was sich noch im selben Haus befand.

Wir nähern uns dem Thema, denn schon seit Jahren geistert einem der Name eines Mannes durch den Kopf, der einst für die „Neue Leipziger Zeitung“ schrieb, dessen Vita aber nirgendwo abrufbar ist.

Die neue City-Filiale der Neuen Leipziger Zeitung auf der Petersstraße. Foto: NLZ (Bilderwoche, 1926)
Die neue City-Filiale der Neuen Leipziger Zeitung auf der Petersstraße. Foto: NLZ (Bilderwoche, 1926)

Die „Neue Leipziger Zeitung“ war die liberale Tageszeitung Leipzigs – neben den konservativen „Leipziger Neuesten Nachrichten“ und der sozialdemokratischen LVZ (die damals wirklich noch sozialdemokratisch war). Bei ihr verdiente sich Erich Kästner seine Sporen als Journalist, hier betreute Hans Natonek das Feuilleton. Ihre Texte waren die Grundlage für einige eindrucksvolle Bücher aus dem Lehmstedt Verlag, die zeigen, wie viel Leben damals im Leipziger Zeitungskosmos herrschte. Bis 1926 gab es auch noch das „Leipziger Tageblatt“, über das es bei Wikipedia sogar einen (ganz und gar nicht vollständigen)  Artikel gibt. Für die „Neue Leipziger Zeitung“ hat sich bis heute kein Wikipedia-Autor gefunden. Warum eigentlich nicht? Stören die berühmten Namen? Ist der Stoff zu unübersichtlich?

Oder fehlt es an Material? Denn das Zeitungsarchiv der NLZ ging 1943 in Flammen auf, als der Bombenteppich fast das komplette Grafische Viertel vernichtete. Die „Neue Leipziger Zeitung“ hatte ihre Redaktionsräume am Rand des Grafischen Viertels – in der Johannisgasse 8.

Damals führte die Johannisgasse noch direkt zum Augustusplatz. Man musste nur den Ring überqueren und war beim Bildermuseum. In der Nummer 6 hatte der Ullstein Verlag seine Leipziger Auslieferung. Und in der Nr. 8 war die „Neue Leipziger Zeitung“ auch nicht allein.

Wo stand das Haus überhaupt? Ungefähr da, wo die Johannisgasse heute hinterm Hotel „Radisson“ einen Knick Richtung Goldschmidtstraße macht und ein Parkplatz gemütliche Stimmung verbreitet. Frei nach Heinz Knobloch: „Misstraut den Parkplätzen!“

Es gibt jede Menge Grund dazu. Vorstellen darf man sich so ein typisches Leipziger Geschäftshaus mit einer Latte von Namen am Klingelschild.

Eigentümer des Hauses war die Leipziger Verlagsdruckerei GmbH, vormals Fischer & Kürsten, Telefon gab es auch. Die Telefonnummer der NLZ  findet man im Branchenverzeichnis. Alles schön geordnet, auch wenn nicht alle Zeitungen 1929 unter „Zeitungen“ inserieren. Aber die „Neue Leipziger Zeitung“ hat inseriert. Telefon: 708 11. Da rufe man mal an und frage nach Natonek.

Aber die „Neue Leipziger Zeitung“ ist nicht allein im Haus. Gleich obenan findet man einen Frauenarzt: Dr. R. Bretschneider. Der Verlag „Das Leben“ hatte hier seine Adresse und die Privatklinik für Chirurgie und Frauenheilkunde, die von Dr. Bretschneider zusammen mit Dr. Härting betrieben wurde. Huschte Dr. Bretschneider zwischen seinen Praxen hin und her? Noch ein Doktor war im Haus: Prof. Dr. M. Wolfrum betrieb hier noch eine Privatklinik. Und neben der „Neuen Leipziger Zeitung“ wird auch 1929 noch das „Leipziger Tageblatt“ separat aufgeführt. Man erfährt sogar, wer die Hausverwaltung machte und wie der Hausmeister hieß: A. Friedrich. Aber der hatte kein Telefon. Vielleicht musste man aber nur runter ins Parterre laufen, wenn man ihn brauchte.

Aber damals hatte wirklich nicht jeder ein Telefon. Und die Telefonnummer der NLZ merken wir uns. Da erreichen wir nämlich den Burschen, den wir nun schon eine geraume Weile suchen.

Im nächsten Artikel werden wir ihn finden.

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