Was verbindet Hans von Bülow (*08.01.1830 Dresden; † 12.02.1894 Kairo), erster Ehemann von Richard Wagners zweiter Frau Cosima, mit Leipzig? Nun, seine Mutter Franziska war die jüngere Schwester der Ehefrau des Leipziger Bankiers Christian Gottlob Frege. Bülow kam gern in den Schulferien zwischen 1840 und 1845 hierher und wohnte bei ihnen während seines kurzen Jurastudiums an der Universität Leipzig von Mai 1848 bis Herbst 1849.

Hans Freiherr von Bülow entstammte einer der ältesten deutschen Adelsfamilien. Ihr ursprünglicher Stammsitz war ganz offenbar das Dorf Bülow bei Rehna in Mecklenburg. Die Familie verzweigte sich im 14. Jahrhundert. Sein Großvater Ernst v. Bülow, ein Spross der Mannsfeldischen Seitenlinie, war Major in der Königlich sächsischen Armee zur Zeit der napoleonischen Kriege; sein Vater Karl Eduard v. Bülow war Herzogl. dessauischer Kammerherr, Schriftsteller und Freund von Ludwig Tieck. Seit 1828 lebten die Eltern in Dresden, wo zwei Jahre später ihr Sohn Hans geboren wurde.

Und Hans soll die ersten neun Lebensjahre sehr unmusikalisch gewesen sein, dann aber, nach mehreren überstandenen Krankheiten, plötzlich eine heftige Neigung zur Musik entwickelt haben. Fleiß und Talent zeigten sich bald, als der elfjährige Junge an einem Vortrag des Klaviertrios c-Moll von Beethoven beteiligt war. Niemand dachte aber daran, ihn zum Künstler ausbilden zu lassen, dennoch bekam er einen guten Musikunterricht nacheinander bei vier namhaften Persönlichkeiten, und die damaligen musikalischen Verhältnisse in Dresden förderten geradezu das Talent auch eines Hans v. Bülow.

Bülow lernt Wagner kennen und macht Stimmung für ihn

Ein Kennenlernen der Oper „Rienzi“ 1842 in Dresden hinterließ bei Bülow einen tiefen Eindruck und machte ihn zum Wagner-Verehrer. Am 5. April 1846 dirigierte Richard Wagner Beethovens Neunte Symphonie im Alten Opernhaus am Zwinger mit großem Erfolg. Unter den Zuhörern war auch der 16-jährige Hans von Bülow, den es nun drängte, Wagner auch persönlich kennenzulernen.

Und als Hans wegen einer Versetzung seines Vaters wenig später nach Stuttgart Abschied nehmen musste, schrieb Richard Wagner seinem jungen Verehrer in ein Album: „Glimmt für die Kunst in Ihnen eine echte, reine Glut, so wird die schöne Flamme Ihnen einst entbrennen. Das Wissen aber ist es, was diese Glut zur kräftigsten Flamme nährt und läutert.“

In Stuttgart besuchte Hans von Bülow das Gymnasium bis zum Abitur im Jahre 1848, um dann in Leipzig an der Universität, nur auf Wunsch seiner Eltern, ein Jurastudium aufzunehmen. Er besuchte aber auch Vorlesungen in Psychologie, Philosophie, Geschichte und Literatur.

Im August 1848 gestand Bülow seiner Mutter, dass er durch „Eingesandts“ (Leserbriefe) und kurze Anzeigen in Zeitungen für Richard Wagner Stimmung zu machen versuchte.

Nachdem im Jahre 1848 die Aufführung des „Lohengrin“ und des „Fliegenden Holländer“ von der Intendanz in Dresden abgelehnt und Richard Wagner als Komponist wie als Dirigent in Dresden zur unerwünschten Person geworden war, las er in seiner Wohnung im Dezember einem Freundeskreis von sechs Männern aus seinem Manuskript von „Siegfrieds Tod“ vor. Auch Hans von Bülow war dabei, gehörte also schon zu diesem Kreis.

Bülow verlässt Leipzig, lernt Cosima kennen

Im Herbst 1849 setzte Bülow seine Studien in Berlin fort.

Dann, 1851 bis 1853, war Bülow ein Schüler von Liszt in Weimar und weilte in dieser Zeit im Auftrag seines Meisters in Leipzig, wohnte Ende Dezember 1852 im Seitengebäude vom Hôtel de Bavière in der Petersstraße 25, wo es ihm gefiel, weil ihn „kein Gasthofskandal“ störte.

(Bei den alten Freges wohnte er nicht mehr, bevormundeten diese ihn doch, als ob er noch ein Junge wäre. Abends pünktlich musste er stets nach Hause kommen. Einmal war er bei Tisch wegen einer Bemerkung in den Verdacht geraten, ein Demokrat zu sein und mit den Revolutionären zu liebäugeln. Daraufhin schrieb er seiner Mutter: „Ich halte es in diesem Hause nicht mehr aus!“)

Mit einem Vortrag von Beethovens Es-Dur-Konzert errang er im Februar 1854 die Anerkennung der anwesenden Musiker.

Am 5. September 1857 fand ein einmaliges und kurioses Treffen im Gartenhaus der Wesendoncks statt. Das Ehepaar von Bülow war auf Hochzeitsreise in Zürich und stattete Wagner einen Besuch in seinem „Asyl“ ab.

Bei diesem Besuch kamen auch, und zwar ein einziges Mal überhaupt, die drei wichtigsten Frauen im Leben Wagners gemeinsam an einer Tafelrunde zusammen: Minna, Mathilde Wesendonck, und Cosima von Bülow. Vom ersten Augenblick, da sie ihn sah, war Cosima – wenn man ihren eigenen Bekundungen Glauben schenkt – von Richard, obwohl äußerlich nicht gerade ein attraktiver Mann, gebannt. Bei ihrem ersten Kennenlernen war Richard jedoch noch mehr an Mathilde interessiert.

Wagner verschafft Bülow eine „Münchener Berufung“

Am 22. Mai 1864 gratulierte König Ludwig II. Wagner zu seinem Geburtstag und schenkte ihm ein Ölporträt.

Bülow und seine Frau Cosima hatten sich danach zu einem Besuch bei Wagner angekündigt. Hans von Bülows Kommen verzögerte sich aber. Er schickte am 29. Juni seine Frau mit der dreieinhalbjährigen Daniela und der 15 Monate alten Blandina voraus. Cosima erkannte die Gunst der Stunde und war entschlossen. In dieser einen Woche im Haus Pellet am Starnberger See besiegelte sie endgültig den Bund mit Wagner.

Hans von Bülow traf am 7. Juli ein, mit zerrütteten Nerven, an einem rheumatischen Fieber leidend. Es war nicht der Augenblick, über Eheprobleme oder Scheidung zu sprechen. Außerdem war Wagner bestrebt, sich Bülow als Freund zu erhalten und seine Berufung nach München ihm und dem König schmackhaft zu machen. Man ließ Bülow also im Unklaren über das, was sich inzwischen ereignet hatte.

Wagner komponierte zum 25. August 1864, dem Geburtstag des Königs, einen Huldigungsmarsch.

Wagner war es inzwischen gelungen, Hans von Bülow beim König in Schloss Berg einzuführen. Bülow machte eine so gute Figur, dass Ludwig ihn zur Tafel lud. Und Wagner konnte den König dahingehend überreden, Bülow nach München zu holen. In einem offiziellen Anstellungsdekret aus Hohenschwangau vom 12. September 1864 wird Bülow im Namen seiner Majestät des Königs als „Vorspieler des Königs“ mit 2.000 Gulden Jahresgehalt angestellt.

„Die Münchener Berufung“, schreibt darüber Bülow selbst, „ist mir in verschiedener Hinsicht eine Erlösung. Ich verhehle mir keine der Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten, die meiner dort warten können; aber nach einem Rosenbette lechze ich durchaus nicht.“ Bülow kam die Berufung nach München also nicht ungelegen und Wagner hatte sich in ihm einen ergebenen Mitarbeiter gesichert.

Zunächst meldete sich Bülow allerdings krank, fuhr nach München ins Hotel „Bayerischer Hof“, wo er angeblich zeitweise an Beinen und Armen gelähmt war und sich ärztlich behandeln ließ. Cosima reiste um diese Zeit zu ihrem Vater nach Karlsruhe, um mit ihm an der Tonkünstler-Versammlung teilzunehmen. Oder war dies nur ein Vorwand, um mit Vater Liszt große Veränderungen in ihrem Leben zu besprechen? Liszt machte ihr jedenfalls schwere Vorhaltungen.

Elend und leidend kehrte sie mit ihm aus Karlsruhe an Bülows Krankenlager zurück. Wagner war erschrocken über Cosimas Verfassung. Die Begegnung zwischen Liszt und Wagner stand jetzt unter keinem guten Stern. Sie hatten sich seit drei Jahren nicht gesehen. Und nun Wagners Affäre mit der eigenen Tochter … Liszt war keineswegs in bester Laune. Schließlich war seine beabsichtigte Eheschließung mit der Fürstin Sayn-Wittgenstein an den Intrigen der fürstlichen Verwandtschaft gescheitert.

Liszt kannte Wagner zu gut, um nicht an seinen Gefühlen für Cosima zu zweifeln. Die Musik war es, die die beiden Freunde wieder versöhnte.

Isolde am ersten Tag der Orchesterprobe geboren

Am Tag der ersten Orchesterprobe (10. April 1865) für die Uraufführung des „Tristan“ – Hans von Bülow war dem Orchester als sein neuer Kapellmeister vorgestellt worden – wurde Isolde, Cosimas und Richard Wagners erstes Kind, geboren. Bülow wusste nicht oder gab vor, nicht zu wissen, dass das Kind ihm untergeschoben wurde, und hielt an seiner Legitimierung zeitlebens fest. Der 51-jährige Wagner wiederum hatte jetzt endlich ein lange ersehntes Kind, durfte sich aber nicht zu ihm bekennen.

Die Uraufführung am 10. Juni 1865 und der noch folgenden Aufführungen am 13. und 19. Juni sowie am 1. Juli im Königlichen Hof- und Nationaltheater München stand unter der Leitung von Hans von Bülow. Die ersten drei Aufführungen waren ein voller Erfolg, wie die „Allgemeine Musikalische Zeitung“ v. 28.06.1865 berichtete. Der jedesmal anwesende König und das Publikum sparten nicht mit Beifall, die Darsteller und Richard Wagner wurden geradezu stürmisch drei- bis viermal gerufen.

Hans von Bülow hat auch Unterricht gegeben

Seine Lehrmethode schilderte eine Dame in einer Londoner Zeitung im September 1871. Einige Auszüge daraus bringen uns Bülow mit ihrer Veröffentlichung auch menschlich näher.

„H. v. Bülow’s Art zu unterrichten ist sehr ernst. Eine fehlgegriffene Taste, eine falsche Auffassung des Ausdruckes einer Passage, ein schüchterner Vortrag, ein schweres Verständniss sind für ihn eine wahre Folter – ein Zuschauer bemerkt das wahrscheinlich mehr als ein Schüler – ich dachte manchmal, die grossen, runden Augen würdem vor Angst aus ihren Höhlen treten, aber in einem Augenblick veränderte sich sein Gesicht und war wieder ganz vergnügt. Er ist ausserordentlich gewissenhaft.

Ich war erstaunt zu sehen, wie ein Mann von solch bedeutendem Rufe als Virtuos und Capellmeister für jedes Detail einer blossen Unterrichtsstunde ein so wirkliches, lebendiges Interesse zeigen kann. Er behandelt jeden Schüler in der gleichen strengen und ernsten Weise, aber auch mit dem gleichen individuellen Interesse. … Im Grunde mag er liebenswürdig sein, aber als Lehrer verlangt er viel und ist sehr empfindlich. Er ist nicht reizbar oder ungeduldig, dazu liebt und achtet er seine Arbeit zu sehr.

Seine Ansprüche an die Schüler und seine nervöse Empfindlichkeit sind die Ursachen seines grossen Einflusses auf seine Schüler; sie mögen ihn nicht persönlich lieben, aber sie können nicht umhin, seiner Führung zu folgen; er weiss sie zu ergreifen und mit sich fortzuziehen, und solche Stunden können unmöglich ohne Nutzen bleiben. …“

Beim 3. Londoner Wagner-Konzert war Bülow dabei

Beachtenswert war schon der Erfolg des ersten Konzerts zur Förderung der großen Bayreuther Aufführungen am 19. Februar 1873 trotz der ablehnenden Haltung der Presse und der hohen Eintrittspreise (der reservierte Platz kostete umgerechnet 7 Taler). Das zahlreich erschienene, teils prominente Publikum spendete mehrfachen Applaus, der Erfolg am Zustandekommen überhaupt war ausschließlich dem unermüdlichen Bemühen des Vereinsdirigenten Edward Dannreuther zuzuschreiben, wie Franz Hüffer am 7. März 1873 im „Musikalischen Wochenblatt“ berichtete.

Und Hüffer war auch beim 3. Konzert am 9. Mai wieder dabei und berichtete. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt, das Publikum befand sich in einer gehobenen Stimmung.

Hans v. Bülow hatte den zweiten Teil des Konzerts übernommen: „An diesem Abend wurde dem Londoner Publicum zum ersten Male die Gelegenheit, ihn als Dirigenten kennenzulernen, welcher mit intensivster Durchdringung des geistigen Gehaltes im Orchesterunstwerke eine Virtuosität in der Leitung der Orchestermasse verbindet, welche dieselbe in bestimmt gegliederte Gruppen zu zerlegen scheint, ohne jedoch die Harmonie der Gesamtwirkung irgendwie aufzuheben.

Dieselbe unnachahmliche Gliederung der einzelnen Stimme in ihrer individuellen und doch der Idee des Ganzen untergeordneten Geltung, welche uns bei Bülow’s Vortrage die complicirteste Bach’sche Fuge als einfachen Organismus erkennen lässt, befähigt nun auch, in seinem Dirigiren die Pracht und Zartheit Wagner’scher Orchestration und Contrapungtik mit ihren feinsten rhytmischen und harmonischen Nuancen in wunderbarer Klarheit sich entfalten zu sehen.“

„Hans von Bülow und die neunte Symphonie Beethovens“

Bülow hatte ein besonderes Verhältnis zu Beethoven. Zunächst zwei Beispiele aus dem Jahre 1872: Da war am 1. März 1872 ein von ihm veranstalteter Beethoven-Abend in Köln „recht zahlreich besucht, und die Zuhörerschaft folgte den Vorträgen mit grösster Spannung. Selbstverständlich wurde jede Nummer mit rauschendem Applaus belohnt.

Hans v. Bülow spielte meisterhaft, seine Beethoven-Vorträge waren wahre Gedichte, die dem Hörer keinen Zug verborgen ließen.“ Diese kurze, leicht zu übersehene Notiz steht in einem längeren Bericht im „Musikalischen Wochenblatt“ v. 15. März 1872. Dann noch einmal in Köln „am 8. April erfreute uns Hr. Dr. Hans v. Bülow mit einem zweiten Musikabend, der viel zahlreicher als der erste besucht war.

Das Programm brachte diesmal von Beethoven blos zwei Nummern: Sonate in Cis moll, Op. 27, und 32 Variationen über ein Originalthema in C moll. Der Löwenantheil fiel Chopin zu (Sonate in H moll und 5 kleine Stücke), daneben figurirten Mendelssohn und Schumann, Letzterer mit ‚Wiener Faschingsschwank‛. Die Zuhörerschaft empfing den Virtuosen schon von vornherein mit grosser Wärme und spendete jeder Nummer rauschenden Beifall. … Nach dem Concerte fand zu Ehren des Concertgebers ein kleines Souper statt.“

Hans von Bülow hielt am 11. März 1879 in Leipzig, wie zuvor am 10. in Dresden und dann nochmals in Berlin am 26., eine „Testamentsvorlesung Beethovens“, d.h. er spielte an einem Abend des Meisters letzte fünf Klaviersonaten im Saal des Gewandhauses auswendig. Diese Leistung erregte großes Aufsehen.

„Man mag mit der Idee, einem vielköpfigen Auditorium fünf derartige Geistesschöpfungen in unmittelbarer Folge vorzuführen, einverstanden sein oder nicht, anstaunen wird man jedoch den Künstler müssen, der sich der Ausführung derselben unterzieht, bewundern, wenn ihm die Lösung dieser an die physische wie intellectuelle Natur gleich gewaltige Anforderungen stellenden Aufgabe in der Weise gelingt, wie wir dies im Gewandhaussaal erleben durften“, heißt es in einem Bericht im „Musikalischen Wochenblatt“ vom 21. März 1879.

Redakteur Martin Krause nahm fünf Stunden Eisenbahnfahrt zwischen Leipzig und Berlin auf sich, um in der Abendausgabe des „Leipziger Tageblatts“ vom 7. April 1892 über eine Veranstaltung vom 4. April sehr ausführlich zu berichten. Sein langer und voller Sympathie geschriebener Text trägt den Titel: „Hans von Bülow und die neunte Symphonie Beethovens“.

Daraus nur einige Zitate als Anregung, den ganzen Text im Internet (Zugang über digital.slub-dresden.de) selbst zu lesen: „In athemloser Spannung lauschte man Beethoven’s großer Ouverture ,Zur Weihe des Hausesʻ; wie ein Dankgebet stieg der weihevolle Anfang empor, dann aber hob das Genie die Schwingen – Dirigent und Componist erwuchsen zu einer Erscheinung und der erstere vermittelte in genialer Inspiration das Werk des Letzteren in so ergreifender musikalischer Sprache, daß mich nach Schluß des sonst akademisch kühl anmuthenden Werkes eine unbegreifriche Rührung erfaßte – man mußte mitjubeln, mochte man wollen oder nicht. …“.

Rezensent Krause erlebte bisher „die fünfte Aufführung unter dem größten Beethoven-Interpreten unserer Zeit, der ich beizuwohnen das Glück hatte. Bülow’s Direction ist der letzte strahlende Gruß des Classikerthums; man hat Bülow in den letzten Tagen mit dem Namen eines Bismarck des Musiker- und Dirigententhums ausgezeichnet. …

Bülow ist ganz erfüllt von einem Ideal, das ist Beethoven. … Wenn Bülow wirklich mit dem Montagsconzert seine Berliner Laufbahn abschloß, konnte er es nicht überzeugungstreuer thun, als mit der Direction der neunten Symphonie, der vielleicht bedeutsamsten That seiner künstlerischen Laufbahn. … Wer Bülow’s Vortrag der letzten Sonaten Beethoven’s – eine der größten Thaten der reproducirenden Kunst – kennt, weiß, wie er mit der Aufgabe wächst, wie er mit dem Genie Beethoven‘s an riesenhafter Ausdauer und Kraft wetteifert.

Ein Erlahmen der Begeisterung kennt der Riesengeist Bühlow’s nicht.“ Der Beifall soll 10 Minuten gedauert haben!

Und in Berlin erinnerte man am Jahresende an seine Auftritte: Hier stand in den Konzertsälen „zu oberst natürlich Hans v. Bülow. Er spielte zwei Mal für den Bayureuther Fonds, jedesmal vor einer Elite von Zuhörern: wie?

Nun, darüber braucht man doch Nichts mehr zu schreiben, denn alle Welt weiss, wie Hans v. Bülow spielt, und speciell hier in Berlin zählt er eine so grosse Menge aufrichtiger Verehrer, dass die Erträge seiner Concerte, Pardon: Claviervorträge wollte ich sagen, stets stattliche Ziffern aufweisen. Ein Fingerathlet wie er, dessen Fingerspitzen zugleich mit dem Hauptsitz des Nervensystems im Körper in innigster Verbindung stehen, existiert jetzt eben nicht weiter.“

„Hans von Bülow in seinen Briefen“

Ein Buch mit diesem Titel erschien 1919 im Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel, herausgegeben von Marie von Bülow (1857–1941), Schauspielerin und Ehefrau (Heirat 1882) von Hans von Bülow. Am 12. August äußerte sich dazu der Musikwissenschaftler und -referent Adolf Aber in den „Leipziger Neuesten Nachrichten“: „Endlich, 25 Jahre nach Bülows Tod, erscheint ein Buch, das geeignet ist, diese überragende Persönlichkeit nach Verdienst dem deutschen Volke bekannt und wert zu machen: Hans von Bülow. Ausgewählte Briefe. (Volksausgabe, herausgegeb. von Marie von Bülow. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1919.)

Musikalische Briefe in einer Volksausgabe?

Ist das kein Wagnis? Nein, in diesem Falle nicht!

Denn es ist bei diesen Briefen ganz gleichgültig, ob der Leser sachlich alle Einzelheiten versteht, ob er dem in geistvollen Andeutungen und ironiereichen Seitenhieben sich ergehenden Schreiber überall zu folgen vermag. Jeder, auch der unmusikalische Leser, wird dieses Buch mit dem Gefühl einer starken Erbauung aus der Hand legen.

Gerade in unserer Zeit, die ohne starke, zum Führer geborene Persönlichkeiten zu sein scheint, müssen solche Briefe, die fast in jeder Zeile den großen Führer bekunden, mit Eifer gelesen werden. Bülow war ein selten fleißiger, und auch ein selten ausführlicher Briefschreiber. Wenn ein Geschichtsschreiber heute sein Leben darstellen wollte, so könnte er wahrlich keine lückenlose Geschichte davon geben, als sie diese von der Herausgeberin mit bewundernswertem Geschick zusammengestellte Briefsammlung enthält. Und er könnte, das ist das Bemerkenswerte, auch keine kritische Darstellung geben.

Denn von allen den glänzenden persönlichen Eigenschaften Bülows ist wohl die immer wache Selbstkritik die am meisten hervorstehende. Der zwanzigjährige Student schon schreibt, dass er ‚eben den Ehrgeiz habe, ein Künstler, kein Musikant zu werden‘; schon damals war ihm klar, dass er nicht etwa nur zu der Laufbahn eines gefeierten Virtuosen, sondern zu wahrer geistiger Führerschaft, die sich nur durch unermüdliche kritische Arbeit an sich selbst, durch immerwährende Vervollkommnung des eigenen Könnens erringen lässt, ausersehen war.

Mit der gleichen überaus scharfen Kritik trat er aber auch allen Erscheinungen der Zeitgeschichte gegenüber, und es ist wirklich staunenswert, mit welcher Sicherheit er die Spreu vom Weizen gesondert, wie scharf er Unsterbliches vom Vergänglichen unterschieden hat.

Die unglückliche Parteibildung um Brahms auf der einen und Wagner auf der anderen Seite hat es verschuldet, dass man in seinem Eintreten für Brahms andere, unsachliche Motive gesucht hat. Die einfache Wahrheit ist, dass er schon nach dem Erscheinen von Brahms‘ erster Sonate (Brief vom 10. Januar 1854), also zu einer Zeit, als sein Freundschaftsverhältnis zu Wagner noch völlig ungetrübt war, schrieb, man könne bei Brahms ‚wirklich von einer Art Gottesgnadentum reden‘.

Was die Tätigkeit Bülows im Dienste des jungen Wagner für dessen Emporkommen bedeutet hat, soll hier nicht weiter ausgeführt werden; das gehört der Geschichte an. Er bezeichnet sich selbst als Wagners ‚Geisteigner‘, ‚Schüler‘ und ‚Apostel‘; Wagner nennt er ‚die Inkarnation des deutschen Kunstgeistes, sein unvergänglichstes Denkmal, auch wenn die deutsche Sprache, vielleicht die Musik eine tote geworden sein würde‘.

Bitterer Undank ist Bülows Lohn gewesen: Richard Wagner wurde der Zerstörer seines häuslichen Glückes, nahm ihm die Frau, die Mutter seiner Kinder. Von diesem Schlage hat sich Bülow nie mehr erholt. Die Münchener Zeit ist der unglückselige Wendepunkt in seinem Leben. Wie große Erfolge er immer später errang, wie sehr sich schließlich seine zweite Frau in immer gleicher aufopfernder Fürsorge um ihn mühte, die Wunde, die ihm durch die Trennung von Wagner geschlagen wurde, heilte nie.

Man sollte meinen, dass die furchtbare Tragik dieses Kämpferlebens bei Freund und Feind gleich ehrerbietige Gefühle auslösen müßte.

Das Vorwort des vorliegenden Briefbandes, dem man schon um deswillen weiteste Verbreitung wünschen muss, belehrt uns eines Besseren. Der Biograph Wagners, Herr Glasenapp, behandelt die Scheidung Bülows von seiner Frau Cosima und deren Vermählung mit Wagner in einer Weise, die man nicht scharf genug verurteilen kann. –

Es muss einmal gesagt werden, dass es nicht angeht, alle Menschen um Wagner nur als zweckmäßige Dekorationen zu betrachten, als vom Schicksal ausersehene Opfer auf dem Altar von Wagners Größe. Ein vernichtetes Menschenleben ist mit den üblichen Redensarten von dem Dämon im Künstler, der Gesetzlosigkeit seines Handelns und ähnlichen schönen Dingen nicht aufzuwiegen.

Die Verdienste Frau Cosimas um Wagner sollen nicht bestritten werden; aber aus ihr eine Heilige zu machen, weil sie Wagner zuliebe ihren Mann (der doch wahrhaftig ein Großer war) verlassen und todunglücklich gemacht hat, das ist denn doch ein starkes Stück! So etwas fehlt gerade noch in unserer Zeit, die von einem späten Sittengeschichtsschreiber sowieso das Zeitalter der geschiedenen Frau genannt werden wird!“

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