"Mit einer anderen Buchreihe könnte man das gar nicht machen", sagt Prof. Siegfried Lokatis, Leipzigs Buchprofessor. Seit einigen Jahren hat sich sein Lehrstuhl am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaften intensiv der Leipziger Verlagsgeschichte angenommen, beschäftigt sich mit den Archiven der großen Alten - von Reclam bis Insel. Und taucht die Stadt nun seit einem Jahr in einen regelrechten Insel-Rausch. Der Rausch geht weiter. Ab 2. Juli in der Commerzbank.

Dort eröffnen die angehenden Buchwissenschaftler die Ausstellung “Inselspiele – 101 Jahre Inselbücherei”. Motto: “100 Jahre sind nicht genug”. Das 100jährige der von Anton Kippenberg begründeten Insel-Bücherei, deren liebevoll gemachte Bändchen fast jeder irgendwo in seiner Bibliothek stehen hat, feierte das Institut für Buchwissenschaft im Juni 2012 beginnend. Mehrere thematische Plakate zeigten auch in vielen Leipziger Buchhandlungen, wie schön diese schmalen, liebevoll gestalteten Bändchen sind. Über 1.300 sind seit jenem Juni 1912 erschienen, als Anton Kippenberg die beginnende Reihe mit Buchhändlerprospekten den Händlern und Lesern ankündigte. Diese Prospekte waren bis ins letzte Jahr noch eine Legende. Doch mittlerweile hat sich einer gefunden – als Lesezeichen tauchte er in einem alten Buch auf.

“Schmeißen Sie sowas bloß nicht weg”, sagt Lokatis, in dem eigentlich zwei Seelen schlummern: die des Historikers und die des Buchliebhabers. Mit ihm wurde die Buchstadt zu einem Forschungsprojekt. Auch zum Thema Inselbücherei sind jetzt schon mehrere Diplom- und Semesterarbeiten entstanden. Eine zum Beispiel zu einem der bekanntesten und begabtesten Grafiker, die für den Insel-Verlag arbeiteten: Fritz Kredel (1900 – 1973). Eine Glasvitrine dokumentiert in der Ausstellung die Korrespondenz des Verlags mit dem Grafiker aus dem Odenwald und – als dritter Partner – einem dieser nervenden Biologielehrer, die auch Schüler zur Verzweiflung bringen können, und deren Penetranz doch eine der wichtigsten Antriebskräfte dafür war, dass es in Deutschland überhaupt eine qualifizierte Bewegung für die Naturkunde und den Naturschutz gibt. Der Mann kritisierte seinerzeit die Darstellungen im beliebten Insel-Band “Das kleine Buch der Vögel und Nester”.Es ist einer der vielen Bände, die den Sammler verwirren. 1934 erschienen, erhielt er die Nummer 100. Aber die war schon vorher für zwei andere Titel vergeben worden: 1914 für Richard Wagner “Die Meistersinger von Nürnberg” und 1920 für Theodor Storm “Hans und Heinz Kirch”. Es waren nicht erst die späteren gesellschaftlichen Umbrüche und Teilungen, die in der kleinen Bibliothek so einiges durcheinander wirbelten. Und es waren nicht nur Autoren, die sich politisch überholt hatten, die aus dem Kanon flogen und deren Nummern mit Titeln anderer Autoren besetzt wurden.

Kredels Vogel-Büchlein gibt es natürlich auch in zwei verschiedenen Varianten – der ersten, die so heftig von einem peniblen Biologielehrer kritisiert wurde, und einer zweiten, die quasi eine Gemeinschaftsproduktion wurde. Die Vitrine im 3. Obergeschoss ist nur eine der vielen Facetten aus der reichen Insel-Geschichte, die – zum Glück – noch nicht zu Ende ist. Auch wenn das Mutterschiff, zu dem die Insel mittlerweile gehört, der Suhrkamp Verlag, selbst durch eine heftige Gesellschafterfehde in Gefahr ist.Schon in den Schaufenstern wird für die kleine Ausstellung in der Commerzbank am Thomaskirchhof geworben. Peter Becker, Direktor der Bankfiliale, ist regelrecht aufgelöst, dass seine Bank nun auch mal Bücher zeigen darf. Ein paar Wochen lang war sein Haus eine regelrechte Werkstatt, wurden Bilder und Vitrinen hineingeschleppt. Auch das war für das Institut für Buchwissenschaft ein Novum. “Wir haben solche Dinger ja nicht”, sagt Lokatis. Aber als nach einem Jubiläumsjahr klar war, dass man das Ganze nicht ohne eine eigene Insel-Ausstellung beenden wollte, knüpften die Studierenden, in deren Verantwortung die Ausstellung entstand, Kontakte in alle Richtungen. Und selbst Lokatis staunte, wer in Leipzig alles begeistert von der Idee war, bei einer Insel-Ausstellung mitmachen zu können.

Das Ägyptische Museum und die Antikensammlung der Universität waren sofort dabei, stifteten nicht nur Sammelstücke aus ihrem Fundus, sondern auch Ausstellungsmobiliar. Das Museum für Völkerkunde musste als Landesmuseum zwar auch erst in Dresden anrufen, war aber genauso begeistert. Was die Museen stifteten, kann man in einzelnen Vitrinen sehen und vergleichen. In einer Doppelvitrine zur griechischen und römischen Antike zum Beispiel und einer Vitrine zu Japan. Denn schon Anton Kippenberg knüpfte den engen Kontakt zu Leipziger Museen und produzierte mit deren Sammlungen faszinierende kleine Insel-Bändchen. Eine Tradition, die auch beim späteren ostdeutschen Ableger des Insel-Verlages nicht abriss, auch wenn die Verlagsgeschichte dann fast 40 Jahre lang zweigleisig fuhr.

Was in der Ausstellung ebenfalls zu sehen ist – ältere Titel erschienen in Ost und West in neuer, unterschiedlicher Aufmachung, die Bändchen stehen hier friedlich in den Vitrinen nebeneinander. Aber auch alte Nummern wurden unterschiedlich neu vergeben – und bei den neuen Nummern wurde zwangsläufig völlig unterschiedlich verfahren. Der Leipziger Ableger produzierte natürlich viele Titel auch mit Autoren aus dem östlichen Kanon.Drei Etagen sind mit Vitrinen bestückt. Man ahnt, aus welcher Fülle die Studierenden schöpfen konnten. Am Ende mussten sie auswählen und sich für die ersten Themen entscheiden. Eines ist – aus menschlicher Sicht – ein wenig unappetitlich: Eines der vielen Insel-Bändchen zum Thema Tod wurde in einem Experiment Termiten zum Verzehr überlassen. Sie haben es nicht ganz geschafft. Ein Videoclip zeigt sie beim Versuch, die Lektüre zu verdauen. Neben dem Bildschirm zeigt aber auch ein gut gefülltes Regal, dass es auch noch andere Unbilden für Insel-Bändchen gibt.

Und schon im Foyer zeigt eine Vitrine, dass zu diesen Unbilden nicht nur Feuer und Termiten gehören, sondern auch kreativ veranlagte Menschen, die ihre Insel-Bände in Kunstwerke verwandeln. Das Foyer zeigt aber auch ein Thema, das Peter Becker besonders gefallen hat: das Thema “arm und reich”. Da staunte auch Siegfried Lokatis, wieviele Insel-Bücher sich ganz speziell mit Armut auf der einen und Reichtum auf der anderen Seite beschäftigt haben. Jedes Thema hat eine eigene Vitrine. Kleine Schildchen erläutern den Besuchern, was sie hier im Speziellen zu sehen bekommen.

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Und noch ein Thema bot sich natürlich in diesem 1903/1904 erbauten ehemaligen Kaufhaus Joliges (später Kaufhaus Topas) geradezu an: eine Vitrine ganz zum Jugendstil. Das Gebäude vereint – wie so viele Leipziger Gebäude aus der Zeit – mehrere Baustile in sich. Speziell ist hier Neobarock mit Jugendstil vermischt. Aber natürlich kommt auch die Insel-Reihe aus der damals jungen Tradition des Jugendstil und das hatte nicht nur Einfluss auf die Gestaltung. Es korrespondierte auch mit der damaligen literarischen Moderne, deren bekannteste Autoren natürlich in der Insel-Reihe veröffentlicht wurden. Einige von ihnen – wie Rilke und Hofmannsthal – sind hier zu sehen. Neben einer kunstvoll gestalteten Groß-Ausgabe von Nietzsches “Also sprach Zarathustra”.

Es ist eine Ausstellung, die zum Schauen, Lesen und Sich-Zeit-Lassen einlädt. Und es ist noch völlig offen, wie lange sie zu sehen sein wird. Sie ist als lebendige Ausstellung geplant – heißt: Es wird immer wieder neue Aktionen und neue Ausstellungsteile geben. Es gibt kaum eine Buchreihe, sie so viel Interaktion geradezu herausfordert.

Am Dienstag, 2. Juli, um 19 Uhr wird sie ganz offiziell in der Commerzbank am Thomaskirchhof eröffnet.

Der Lehrstuhl für Buchwissenschaft an der Uni Leipzig: www.uni-leipzig.de/~buchwiss

Fritz Kredel auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Kredel

Der Insel-Verlag auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Insel-Verlag

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