Im Oktober jährt sich der 500. Jahrestag des Thesenanschlags zu Wittenberg zum 500. Mal. Eine gute Gelegenheit, so fand man im Stadtgeschichtlichen Museum, gleich mal die eigene historische Ausstellung im Alten Rathaus umzubauen. Nicht gleich alles auf einmal. Ist ja Luther-Jahr. Also wurde erst einmal das Luther-Zimmer völlig umgekrempelt. Und Museumsdirektor Volker Rodekamp rückt Leipzigs Rolle in der Reformation mal ein bisschen zurecht.

Das wird jetzt vielleicht den einen oder anderen in Wittenberg verwundern. Aber die Botschaft ist eindeutig: „Leipzig ist DER zentrale Ort der Reformation.“

Begründen kann er das auch. Denn die Leipziger Disputation vom Sommer 1519 war auch ein Wendepunkt. Sie machte aus einem Streit unter Gelehrten ein Politikum und sie war der Beginn jenes Bruches, der die Kirche ab da an auseinanderriss. „Hier wurden die Gegensätzlichkeiten der beiden Glaubenslager auch politisch fixiert“, sagt Rodekamp. Und sieht hier den Beginn dessen, was dann 100 Jahre später im ersten „Weltkrieg“, dem Dreißigjährigen Krieg kulminierte.

Überarbeitung der Ausstellung seit 2015 geplant

Der Umbau der historischen Ausstellung im Alten Rathaus sei überfällig gewesen, sagt er ebenfalls. Immerhin haben sich Stadtrat und Verwaltung endlich durchgerungen, Turm und Fassade des alten Rathauses bis 2019 sanieren zu wollen. Bis zum 500. Jahrestag jener Disputation, die im historischen Rundgang im Alten Rathaus so eine zentrale Rolle spielt.

In Goldlettern steht es jetzt auch unter der Decke des grün ausgekleideten Raumes, in dem ab dem heutigen 12. April das Reformationskapitel der Leipziger Geschichte gezeigt wird – mit einrucksvollen großen Epitaph-Bildern, der ersten Reformationskanzel aus der Johanniskirche, dem Ehering Katharina von Boras und dem Lutherkelch, aus dem einst auch die Leipziger Ratsherren tranken. Luther selbst hängt mit einem großen Altersgemälde da, sein Leipziger Mitstreiter Pfeffinger etwas kleiner.

Die Erläuterungen im Disputations-Zimmer gibt es jetzt zweisprachig: deutsch und englisch. Foto: Ralf Julke
Die Erläuterungen im Disputations-Zimmer gibt es jetzt zweisprachig: deutsch und englisch. Foto: Ralf Julke

An der Wand ist riesengroß der Holzschnitt aus dem Jahr 1547 zu sehen, der das vom Schmalkaldischen Krieg zerstörte Leipzig zeigt – die zweitälteste Leipziger Stadtansicht. Mit der ältesten können sich Leipziger Stadthistoriker einfach nicht anfreunden. Sie sieht so anders aus, so fremd. Denn da stehen noch die alten Vorstädte – insbesondere die Petersvorstadt und die Grimmaische Vorstadt. Beide 1547 abgerissen, um von den Mauern der Stadt freies Schussfeld zu haben.

Auch der Schmalkaldische Krieg hat ja mit Luther zu tun. Hier standen sich protestantische Fürsten und Kaisertreue gegenüber. Unversöhnlich in Glaubensdingen, von denen heute alle wissen, dass sie lächerlich sind, leicht tolerierbar und überbrückbar. Luther hat das Schisma, das nach ihm kam, so nicht gewollt. Und auch nicht damit gerechnet, als er 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel veröffentlichte.

Er ahnte nicht, was er damit auslöste. Er konnte sich die Wirkung nicht mal ausmalen, weil es Vergleichbares vorher nicht gab. Es gab zwar schon seit über einem halben Jahrhundert den Gutenbergschen Buchdruck. In vielen Universitätsstädten hatten sich Drucker angesiedelt und verhalfen den gelehrten Professoren zur Vervielfältigung ihrer auf Latein verfassten Schriften. Man druckte für eine überschaubare Gelehrtenwelt. Das änderte sich schlagartig, als die Drucker Luthers Schriften für sich entdeckten und merkten, wie rasend schnell sich die verkauften.

Heiße Ware aus dem 16. Jahrhundert: Eine Kabinettausstellung widmet sich der Verlagsstadt Leipzig zur Luther-Zeit. Foto: Ralf Julke
Heiße Ware aus dem 16. Jahrhundert: Eine Kabinettausstellung widmet sich der Verlagsstadt Leipzig zur Luther-Zeit. Foto: Ralf Julke

Und Leipzig war der Umschlagplatz für die heiße Ware. Dafür sorgte allein schon die Leipziger Messe, die drei Mal im Jahr stattfand.

Das ist zwar im grünen Disputationszimmer nicht zentral erklärt. Aber dafür ist das Seitenkabinett extra eingerichtet und zeigt dort explizit wie „Bücher die Welt veränderten“. Denn Luthers Schriften waren der Anstoß, die schnellgängige Ware, die aus einem eher behäbigen Handwerk binnen weniger Monate etwas machten, wovon auch Gutenberg nicht geträumt hatte: ein neues, für die Zeit unerhört schnelles Medium. Die Bücherballen und Flugblätter, die jetzt in Leipzig in Massen gedruckt wurden, waren zwar nur mit Pferdegeschwindigkeit unterwegs. Aber sie erreichten binnen weniger Tage jede Ecke des Heiligen Römischen Reiches. Und sie wurden zum Gespräch unter den Gebildeten. Und sie pflanzten sich fort: es war das Copy and Paste des 16. Jahrhunderts, als die Drucker in anderen Universitätsstädten die Lutherschen Schriften einfach schwarz nachdruckten. Anfangs zum Ärger Luthers, später zu seiner Freude, denn so verbreitete sich sein Anliegen noch viel schneller im Land. Und jede seiner Streitschriften, die er nach der Leipziger Disputation veröffentlichte, kam so in einer bis dahin unerhörten Geschwindigkeit unter die Leute.

Religion wird zum Politikum

Es ist kein Wunder, dass Bischöfe, Fürsten, Kaiser und Papst nervös wurden. Noch viel nervöser als 100 Jahre zuvor, als Jan Hus auf den Scheiterhaufen geschleppt wurde.

Und das genau war der Punkt, so Rodekamp, an dem auch Luther begriff, was er da in Bewegung gesetzt hatte.

Man sieht ein historisierendes Bild aus dem 19. Jahrhundert, das die Disputation in der Hofstube des herzoglichen Schlosses in Leipzig zeigt. Die Personen darauf sind alle verbürgt – bis hin zu Herzog Georg dem Bärtigen, der letztlich ausrasten sollte, als der Theologe Johannes Eck es schaffte, Luther in die Hus-Ecke zu treiben. „Das walte die Sucht“, soll er erzürnt geäußert haben. Und war fortan ein Luther-Gegner, obwohl er selbst ein humanistischer Herrscher war, der Kirchenreformen befürwortete.

Aber allein der Name Jan Hus war in dieser Zeit ein rotes Tuch.

Verständlich also, dass Dr. Volker Rodekamp Leipzig zu diesem Zeitpunkt zum Mittelpunkt der Reformation macht. Leipzigs Buchdrucker erlebten einen Boom. Bis aus Herzog Georgs Wut dann eine staatliche Verfolgung aller Lutheraner wurde, die die Verlagstadt Leipzig gleich wieder ins Nirwana zu schicken drohte. Was damals produziert wurde an Büchern und Flugschriften, zeigt das Kabinett. Ab 1522 ging Herzog Georg massiv gegen Druck, Vertrieb und Besitz Lutherscher Schriften vor, ließ auch eine Gegen-Bibel erstellen – die sich aber bei genauem Betrachten als Plagiat der Lutherschen Übersetzung des Neuen Testaments erwies. Der Professor aus Wittenberg erzeugte eine Wirkung, mit der er so im Oktober 1517 garantiert nicht gerechnet hatte. Und nun genoss er es. Seine Streitschriften nach der Leipziger Disputation erzählen davon.

Das Disputations-Zimmer ist erst der Anfang

Stadtansicht von 1547 und große Epitaph-Bilder geben dem Raum seine Atmosphäre. Foto: Ralf Julke
Stadtansicht von 1547 und große Epitaph-Bilder geben dem Raum seine Atmosphäre. Foto: Ralf Julke

Vieles, was die Rolle Leipzigs in der regionalen Geschichtsschreibung geraderückt, wurde 2015 erstmals breit diskutiert, als die neue, vierbändige Stadtgeschichte zu erscheinen begann und in der Ausstellung zur 1.000-jährigen Ersterwähnung Leipzigs auch neue Erkenntnisse der Archäologen zu sehen waren. Das war der Zeitpunkt, als auch für Rodekamp klar war, dass die Ausstellung im Alten Rathaus überarbeitet werden musste. Die Umgestaltung des Zimmers zur Leipziger Disputation, das ab heute besichtigt werden kann, ist nur der Anfang.

Es zeigt auch, was sich noch so alles ändern wird. Denn zwei große Bildschirme laden dazu ein, Luther und Eck beim Disputieren zuzuhören, also quasi dabei zu sein bei diesem tagelangen Gelehrtengespräch, aus dem beide Professoren herausgingen mit dem Gefühl, den Gegner niederdisputiert zu haben.

Aber auch das gehört zur Politik: Dieser Streit wurde fortan nicht mehr mit theologischen Argumenten geführt, sondern mit politischen und kriegerischen. Ein kleines theologisches Problem wurde zum Anlass für ein ganzes kriegerisches Zeitalter.

Eigentlich sollte auch der einführende mittelalterliche Teil schon neu gestaltet sein. Aber da habe es ein paar kleine Probleme mit den Handwerkern und Lieferanten gegeben, so Rodekamp. So war das Mittelalter noch nicht fertig am Dienstag, als die Ausstellung zur Disputation feierlich eröffnet wurde.

Und wer nicht nur schauen, sondern auch noch mehr erfahren will, für den gibt es am 20. April um 18 Uhr das erste Museumsgespräch dazu: „Disputation in Leipzig“, mit Ulrike Dura.

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