Die Corona-Pandemie hat in Deutschland viel verändert. Statt einzukaufen oder Essen zu gehen, boomten seit 2020 die Lieferdienste. Ein freundlicher Fahrradbote bringt bei Wind und Wetter frisches Essen. Doch wer ist dieser Mensch und welches Schicksal hat er? Das bleibt meist verborgen. Es sei denn, einer kann den Job an den Nagel hängen und seinen orangen Lieferrucksack ins Museum bringen.

So wie Sayed Ahmad Shah Sadaat. Bis vor kurzem war er einer von ihnen. 2020 floh er vor der zunehmenden Bedrohung durch die Taliban aus Afghanistan. Er kam nach Leipzig. In seiner Heimat war er nach eigener Aussage Experte für Telekommunikation und zwei Jahre lang Minister. Er hatte sich in Afghanistan um den Aufbau von Internet und Telefonnetz gekümmert. Doch in Deutschland erging es ihm wie vielen: Während er erst die Sprache lernte, fand er keine gut bezahlte Stelle. Also wurde er Pizzabote. Zeitungen brachten seine Geschichte. Im Internet ging sie viral. Zeitungen und TV-Sender berichteten auf der ganzen Welt.

Ein Abstieg, eine Schande? Sayed Sadaat sagt: Nein. Er tut das gleiche wie die meisten Migrantinnen und Migranten: Hart arbeiten, um sich ein neues Leben aufzubauen. Und in der neuen Heimat ankommen. Seit 2022 kann er wieder in seinem Beruf arbeiten. Dafür ist er inzwischen aus Leipzig, wo er als Pizzabote unterwegs war, nach Bayern gezogen. Seine Uniform hat er dem Museum überlassen. Hier erzählt sie jetzt seine Geschichte vom Ankommen. Es ist die Geschichte vieler Geflüchteter.

Wer sieht die Unsichtbaren?

Die Schenkung an das Museum wird bis Juni 2023 in der Ausstellung „Moderne Zeiten“ im 2. Obergeschoss des Alten Rathauses zu Leipzig präsentiert.

Museumsmitarbeiterin Ines Seefeld richtet die Präsentation für „Neu im Museum“ im Alten Rathaus aus. Sayed Ahmad Shah Sadaat übergibt dem Museumsteam, hier Dr. Johanna Sänger und Carl-Philipp Nies, den Lieferrucksack. Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Sayed Ahmad Shah Sadaat übergibt dem Museumsteam, hier Dr. Johanna Sänger und Carl-Philipp Nies, den Lieferrucksack. Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Und es ist absehbar, dass sie auch eine doppelte Geschichte erzählen wird: Die Geschichte eines Landes, das sich wieder Dienstboten hält und sich die Speisen an die Haustür bringen lässt – von Boten in grellen Uniformen und mit riesigen Rucksäcken auf der Schulter, die unter Zeitdruck durch die ganze Stadt düsen, um den Wünschen der Kunden nach warmen Speisen aus dem Restaurant nachzukommen.

Was in der Corona-Zeit boomte, endete mit ihr nicht. Gleichzeitig ist der Kampf der Lieferdienste um Marktanteile immer härter geworden, sodass manche Rucksackfarbe wieder aus dem Stadtbild verschwand, während aus dem dominierenden Orange mittlerweile oft schon ein grelles Hellblau geworden ist. Denn die Konzerne, welche die Lieferdienste organisieren, sind zum Wachstum verdammt. Hinter ihnen steht oft nur Risikokapital, das sich so schnell wie möglich amortisieren will. Und dafür treten dann junge Männer und Frauen bei Wind und Wetter in die Pedale.

Zeit eigentlich für eine große Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum mit dem simplen und klaren Titel: „Dienstboten“. Es wird allerhöchste Zeit, sie zu würdigen.

Die Ständige Ausstellung im Leipziger Stadtgeschichtlichen Museum ist Dienstag bis Sonntag jeweils 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 6 €, ermäßigt 3 €.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar