Zum Festivalauftakt stand gleich eine Deutschlandpremiere an. "Citizen Four" von Laura Poitras, der Filmemacherin, die Edward Snowden kontaktierte um sein brisantes Material anzubieten und die in der Folge den Kontakt zum Journalisten Glenn Greenwald herstellte. Der Film zeigt beeindruckend die Kampfansage an die Freiheit durch Regierungen und das Misstrauen, das fast schon wieder Züge einer Diktatur aufweist. Und entblößt auch, wie hohl mittlerweile die Phrase "Kampf gegen den Terror" klingt.

Gleich zwei Kinosäle waren schon 15 Minuten nach Vorverkaufsstart ausverkauft und dennoch bildete sich am Abend eine lange Schlange von Interessierten, die darauf hofften, dass ein Teil der geladenen Gäste nicht auftauchen würden. Auch als Akkreditierter blieb nur das Einreihen und aufgeregte Warten, ob es reichen würde, eine gute halbe Stunde vor Beginn erschienen zu sein.

Es reichte nicht mehr für die musikalische Einleitung, doch es fand sich noch ein Platz als gerade die Reden begannen, die eine Eröffungsveranstaltung begleiten. Darunter die letzte Eröffnungsrede von Festivaldirektor Claas Danielsen, der nach zehn Jahren in der Verantwortung an Lena Paasanen weitergibt. “Ich bin in der Lage mir die Freiheit einer Auszeit zu nehmen, um Freundschaften die zu kurz kamen wieder aufzufrischen.” Fast schon traditionell auf der DOK Leipzig ermahnte er das öffentlich-rechtliche Fernsehen, die Koproduktionen nicht weiter herunterzufahren und den Dokumentarfilmern damit ihr Leben nicht noch schwerer zu machen.

“Ich wiederhole mich in diesem Punkt, aber ich kann nicht anders: Jede Folge einer fiktionalen Serie kostet mehr, als es für einen Dokumentarfilm braucht und das Interesse junger Menschen zeigt sich im Durchschnittsalter des Festivalpublikums von 33 Jahren.”
Neben Danielsens nachvollziehbarem Plädoyer gab es großen Dank an ihn von Oberbürgermeister Burkhard Jung und Thomas Früh, Abteilungsleiter im Sächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Gerade als die ersten Besucher den Kampf gegen das Gähnen verloren, da man wegen des Films gekommen war, begann, worauf 750 Zuschauer im Kino 8 und weitere 200 im Saal 6 gewartet hatten. Überraschenderweise begleitet von einer Begrüßungsrede Snowdens, die viele bewegte.

Snowdens Gruß an das Leipziger Publikum

“Ich habe bisher nie eine Einleitung zum Film gesprochen, nicht zur Uraufführung in New York oder einer anderen Stadt. Als man mich fragte, ob ich das zur Festivaleröffnung in Leipzig tun könnte, habe ich “Ja” gesagt. Die Geschichte der Stadt erinnert uns daran, dass nicht Bomben und Gewehre die Mauer fallen ließen, es waren gewöhnliche Menschen, die sich an Montagen gegen Herrschaft auflehnten. Heutzutage bedienen sich viele demokratische Regierungen der Taktiken von Täuschung und Geheimhaltung doch Zustimmung zu einer Regierung kann nur auf Information beruhen.”

Die Motivation Snowdens, aus der heraus er den Mut besaß, sein Leben umzukrempeln, für ihn persönlich sicher nicht zum Besseren, in einem kompakten Statement. Informationen liefern, die im öffentlichen Interesse liegen, weil sie das Ausmaß staatlicher Überwachung deutlich machen, von dem die Stasi geträumt hätte. Programme wie “PRISM” der NSA oder das noch weitergehende “TEMPORA” der britischen Regierung sind unbestreitbar ein Angriff auf die Freiheit des Einzelnen.
Was der Film noch einmal in aller Deutlichkeit darstellt. Dabei gelingt es Poitras in unaufgeregter Erzählweise und mit erstaunlich bedächtigen Schnittfolgen einen Spannungsbogen aufzubauen, der den vieler Spielfilme wie die Nulllinie eines EKG wirken lässt.

Bedenkt man, dass all diese Überwachungen auch gegen die amerikanische Verfassung verstoßen, die 2001 mit dem “Patriot Act” teilweise ausgehebelt wurde überkommt jeden wirklichen Demokraten das kalte Grausen. Eben dieses hatte auch Edward Snowden zu dem Schritt getrieben die Informationen offenzulegen und der Einstieg in den Film, seine erste E-Mail an die Autorin erzeugt eine Gänsehaut.

Die wichtigste aller Fragen aber, die “Citizen Four” aufwirft, kann der Film nicht beantworten, da sie sich an Zuschauer richtet. “Warum ebbt die Empörung über solch orwellsche Hintertreibung von Grundrechten ab?” Vielleicht kann der Film einen Beitrag dazu leisten, die Diskussion wieder zu beleben, so wie die Enthüllungen Glenn Greenwalds auf Basis von Snowdens Material dazu beitrugen weiteren Informanten den Mut zu machen. Mut, den gleichen Schritt zu wagen. Denn der Film endet mit einem Hoffnungsschimmer.

Er zeigt, dass schon die nächsten “Whistleblower” geheime Informationen veröffentlichten, wie die von Ramstein in Deutschland koordinierten und gesteuerten Drohnenangriffe des US-Militärs.

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