Wie stirbt es sich in Leipzig? Eigentlich ist das gar keine so neue Frage für Schwarwel. Dem Thema ist er auch in anderen Filmclips nicht ausgewichen, man denke nur an “1813 – Gott mit uns”. Doch wir leben ja heute in Frieden. Was den Tod zwar irgendwie hinter die Kulissen verbannt. Aber er ist trotzdem da und für den Zeichenkünstler gegenwärtig, wenn er im Jahr 2015 über seine Stadt nachdenkt.

Und irgendwie ist auch mit dem 2014 entstandenen Film “1989 – Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer” das Bedürfnis wach geworden, sich verstärkt mit der eigenen Biografie zu beschäftigen. Im neuen Schwarwel-Film rückt das endgültig in den Mittelpunkt.

“Leipzig von oben“ ist ein sehr bewegender, intensiver und aufwühlender autobiografischer Film über das Leben in Leipzig im Jahr 1000 seit seiner Ersterwähnung als „urbs Lipzi“ durch Thietmar von Merseburg im Jahre 1015.

“Leipzig von oben“ ist auch ein emotional aufrüttelnder Film über das Sterben in Leipzig, nachdem man hier sein ganzes Leben als Bürger dieser Stadt gelebt hat, die 850 Jahre zuvor durch Otto den Reichen von Meißen ihr Stadt- und Marktrecht erteilt bekam, was es Leipzig erst möglich machte, seitdem zu einer der wichtigsten Handelsmetropolen in Deutschlands Mitte zu wachsen und zu gedeihen – mit allen Vor- und Nachteilen, die es mit sich bringt, eine Stadt jenseits der 500.000er-Einwohner-Marke zu sein.

Filmstill aus "Leipzig von oben". Foto: Agentur Glücklicher Montag
Filmstill aus “Leipzig von oben”. Foto: Agentur Glücklicher Montag

Eine Stadt des Handels und der schönen Künste, der selbst 40 Jahre DDR-Mief diesen ganz speziellen Hauch von Weltstadt niemals austreiben konnte.

Die Story: In der einfühlsamen Geschichte von „Leipzig von oben“ wird ein Leipziger Autor begleitet, der die Aufgabe hat, das Drehbuch für ebendiesen Film zu schreiben, der gerade im Rahmen der Feierlichkeiten zu 1.000 Jahre Ersterwähnung Leipzigs entsteht.

Der Autor ist unverkennbar einer dieser heutigen Leipziger Kreativen, die keine geregelten Arbeitszeiten kennen und die Komplikationen des Lebens einfach einbauen in ihren Arbeitsalltag. Da wird nicht gejammert, sondern beharrlich weitergemacht.

Während sich der Autor mit der Recherche zur Stadtgeschichte und seinen Ideen und Ansätzen für die Story herumschlägt, ist er im Privaten in die häusliche Pflege und Betreuung seines sterbenden Vaters eingebunden.

Man trifft ihn in der elterlichen Küche sitzend an, wo er die Nacht zwischen seiner Schreibarbeit am Laptop und dem Sterbebett seines Vaters im benachbarten Wohnzimmer verbringt.

Dabei entspinnt sich in seinem Kopf eine Kette aus Erinnerungen, die neben dem Schmerz des Abschiednehmens auch immer die schönen, wichtigen und skurrilen Momente an Orten, mit Persönlichkeiten und Bürgern hervorbringt, die mit seinem und dem allgemeinen Leben in Leipzig verbunden sind: mit dem Völkerschlachtdenkmal und dem Südfriedhof, mit der Friedlichen Revolution, der Judenverfolgung, der PEGIDA-Demonstration, mit dem Gewandhaus, dem St. Georg, mit dem Clara-Zetkin-Park und mit der Thomaskirche … mit Felix Mendelssohn Bartholdy, dessen Ouvertüre zu „Ein Sommernachtstraum“ op. 21, eingespielt vom Gewandhausorchester Leipzig unter der Leitung von Kurt Masur, „Leipzig von oben“ die musikalische Umrahmung gibt.

Filmstill aus "Leipzig von oben". Foto: Agentur Glücklicher Montag
Foto: Agentur Glücklicher Montag

Der Autor lässt sich treiben in diesen Erinnerungen und Geschichten, die ihn mit seiner Familie und mit seinen Freunden ebenso zeigen wie mit Leipzig selbst, in dem er ebenso geboren wurde wie vor ihm sein Vater und nach ihm sein Sohn und sein Enkelsohn. Dieser Film ist keine Stadtbesichtigung mit dem Hop-on-hop-off-Bus, der nur an den Gebäuden der Stadt vorbeifährt, während der bemützte Stadtführer fröhlich plaudert, und der mal irgendwo für ein Foto und einen Kaffee kurz anhält. Dieser Film ist eine Einladung in das echte Leben hinter den Fassaden dieser Stadt. Er erzählt davon, wie es sich anfühlt, ein Einwohner der „Bach-Stadt“, der „Heldenstadt“ zu sein, wie es so ist als ein Bürger von „Hypezig“.

Stilistisch gehen Regisseur Schwarwel und das Produktionsteam von Glücklicher Montag dabei den Weg weiter, den sie mit „Richard – Im Walkürenritt durch Wagners Leben“, „1813 – Gott mit uns“ (beide 2013) und „1989 – Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“ (2014) eingeschlagen haben. Sie wählen realistische und ausgefeilt charakteristische Figuren und Handlungsorte, bildgewaltige klassische, handgemachte 2D-Animation auf dem aktuellsten Niveau.

Das Ergebnis ist wieder eine Animation Novel, die sich an Filmen wie „Jin-Roh“, „Die letzten Glühwürmchen“, „Persepolis“, „Waltz with Bashir“ und an Schwarwels eigenem Erzähl-Zyklus „Seelenfresser“ orientiert. Einprägsame Motive, starke Charaktere, dunkle Töne und satte Farben mit expressionistischem Einschlag dominieren, jedoch immer mit dem Fokus auf die Emotionen der Handlungsträger.

Filmstill aus "Leipzig von oben". Foto: Agentur Glücklicher Montag
Foto: Agentur Glücklicher Montag

Doch obwohl es ein sehr autobiografischer Kurzfilm ist, soll er keine reine Nabelschau sein, betont der Regisseur. Es soll auch ein positiver Film entstanden sein, trotz oder gerade wegen der behandelten Themen und mitunter auch Tabu-Themen. Die Zuschauer sollen sich selbst damit identifizieren können: Wo sind wir? Wo kommen wir her? Was hat die Geschichte mit dem Leben eines einzelnen Menschen zu tun?

Der Film ist fertig und soll nun erstmals auch öffentlich gezeigt werden, und zwar im Rahmen des Veid-Benefiz am Samstag, 7. November, in der Alten Handelsbörse, für das die Lebensgefährtin des Bundespräsidenten Joachim Gauck, Daniela Schadt, die Schirmherrschaft übernommen hat. Der Veid e.V. ist der Bundesverband für Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister. Daniela Schadt wird das Benefiz auch mit ihrem Grußwort eröffnen.

Die TV-Premiere ist im Dezember im MDR geplant.

Das Benefizkonzert zugunsten des Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister e. V. findet am Samstag, 7. November, um 18 Uhr in der Alten Handelsbörse statt.

Im Konzert zu erleben sind die Meystersinger (Luci van Org und Roman Shamov), Aktion Lichtpunkt, und zum „Leipzig von oben“-Animatic-Screening auch Schwarwel und das Filmteam.

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