Es wird ein Denkmal, an dem sich die Leipziger reiben können. Dessen ist sich Stephan Balkenhol sicher. Und sie werden sich wohl auch mit diesem Wagner identifizieren. Das traut er ihnen zu. Auch wenn es kein gewöhnliches Wagner-Denkmal ist, das da am 22. Mai um 9 Uhr an der Klingertreppe feierlich enthüllt werden wird. Was es ja auch nicht werden sollte. Dafür hat der Wagner-Denkmal Verein schon gesorgt.

Der hat sich 2005 gegründet, weil ein paar Leute das Leipziger Manko sahen: Da hat Leipzig mit Richard Wagner einen Komponisten, der nicht nur berühmt wurde, sondern sogar hier geboren wurde. Aber ein Denkmal hat man nicht zustande bekommen. Die beiden Anläufe 1903/1913 und 1932 scheiterten. Eigentlich beide Male sogar aus ähnlichen finanziellen Gründen. Beide Male donnerte der Krieg dazwischen.

Für Dr. Markus Käbisch, den Vorsitzenden des Vereins, steht selbst die in den 1970er Jahren errichtete Stasi-Zentrale auf dem Matthäikirchhof als Zeichen für diese unbewältigten Umbrüche – ohne Krieg kein geteiltes Deutschland, ohne Teilung keine Stasi im Osten. Ohne den düsteren Bau kein Abriss der Klingertreppe, die als einziges Teil der ursprünglich geplanten Wagner-Denkmal-Anlage am Dittrichring gebaut worden war. Fürs Denkmal war am 22. März 1913 der Grundstein gelegt worden. Doch nicht nur Finanzierungsprobleme bremsten das Klingersche Wagner-Denkmal aus. Auch der hochgelobte Leipziger Bildhauer Max Klinger kam mit der Figur Wagner nicht zurande.Sein Denkmal blieb ein Entwurf – Richard Wagner in weitem Mantel als heroisches Genie. So wollte ihn auch der Wagner Denkmal e.V. 2013 nicht auf den Sockel stellen, obwohl das durchaus machbar gewesen wäre. Der Sockel war da. Er hatte Jahrzehnte lang im Klinger-Hain gestanden, ohne Hinweis auf seinen Zweck. Geschaffen hatte ihn nach Klingers Entwürfen der Bildhauer Johannes Hartmann.

Aber Klinger hatte mit seinem heroischen Wagner-Bild wohl dieselben Bauchschmerzen wie der Verein. So kann man Wagner im 21. Jahrhundert nicht mehr auf den Sockel heben. Schon gar nicht in Leipzig, das er 1834 ja noch als junger Mann verließ. Noch nicht überstrahlt von seinem Ruhm. Noch nicht zum Bayreuther Genie erstarrt. Das wenigstens wollte der Denkmal-Verein dargestellt sehen, lud neun Künstler zu einem Wettbewerb ein. Am Ende setzte sich Stephan Balkenhol durch mit einem fast verspielt wirkenden Entwurf: der jugendliche Richard Wagner in lässiger Haltung vor der Silhouette des genialischen Wagners, den Klinger entworfen hatte.Und genau so war es wohl auch gemeint. Dieser Wagner muss über seinen Schatten springen, muss seinen eigenen Schatten verlassen, wirft seinen Schatten voraus. Man denkt immer beides mit. Der Komponist ist von den Legenden, an denen er selbst fleißig mitgestrickt hatte, fast überschattet. Balkenhol holt also den lebendigen Richard auch wieder aus dem Schatten. Und hofft, dass sein Denkmal die Diskrepanzen sichtbar macht und gleichzeitig vereint.

So groß wie der ursprünglich von Klinger geplante Wagner wird nur die Silhouette im Hintergrund – 4 Meter hoch, Bronze, patiniert. Davor, etwa 1,80 Meter groß, etwas größer als Richard Wagner zu Lebzeiten, steht die von Balkenhol geschaffene Bronzefigur, die er, um auch ihr das Monumentale zu nehmen, farbig bemalt hat. So dass Richard mit schwarzer Schleife und blauem Rock vor seinem überbordenden Schatten steht.

Am Mittwoch, 15. Mai, ab 9 Uhr wurde das Balkenholsche Denkmal montiert. Mit einem Schwerlastkran wurden die Montageplatte, die auf dem Sockel verankert ist, der 200 Kilogramm schwere Wagner und sein großer Schatten auf den Sockel gehoben, der seit 2010 an dieser Stelle in Marmorweiß leuchtet. Kurz nach zehn Uhr stand Richard oben – in leuchtend blauem Rock und in bester Gesellschaft mit Stephan Balkenhol, der sich in seiner Lieblingspose zeigte: rauchend.
Balkenhol gehört zu den Künstlern, die gern spielen mit Sehgewohnheiten und Erwartungen. Was auch die Jury faszinierte an seinem Entwurf: Da konnte man sicher sein, kein ehrwürdiges Denkmal zu bekommen, das den Dargestellten überhöht. Es gibt zwar eine Tradition dieser Art Denkmäler in Leipzig. Und in ihren Zusammenhängen funktionieren sie auch – zuweilen auch mit Witz, Hintersinn und Spiellust. Auch daran knüpft Balkenhol an. Doch indem er seinen Bronze-Wagner in Farbe darbot, wird das Spielerische und Irdische betont. Man hat tatsächlich den noch erwartungsvollen Leipziger Jungspund vor sich – oder über sich. Alles ist möglich. Und die Haltung ist natürlich eine echte Balkenhol-Haltung: Ich bin Künstler, ich mach mein Ding. Man muss schon selbst davon überzeugt sein, dass man das erreichen kann, was man sich in den Kopf gesetzt hat. Da darf man zwar ein bisschen zweifeln, darf aber nicht aufgeben.

Und auch für Wagner gilt ja: Er lebte prekär, bis er in der stützenden Umarmung des bayerischen Ludwig landete. Und er lebte auch rücksichtslos, machte Schulden und ließ sich von seinen Geliebten und Verwandten auch immer wieder helfen, wenn ihm die Schulden über den Kopf wuchsen. – Der 4 Meter hohe Schatten, den ihm Balkenhol verpasste, ist auch ein Symbol für all das, was wir in diesen Menschen hineingeheimnissen. Manche Anbeter wollen ja so einen überdimensionierten Star. Und natürlich ist Balkenhols Denkmal auch ein bunter Kommentar zum Star-Geflimmer der Gegenwart.

Noch ein paar Fotos von Wagner-Skulptur mit Künstler. Dann wurde der große Bronze-Schatten aufgestellt. Kurz nach 10.30 Uhr war alles komplett. Das Denkmal konnte wieder eingehüllt werden. Bis Mittwoch, 22. Mai, Wagners 200. Geburtstag. Da wird es dann endgültig enthüllt.

www.wagner-denkmal.com

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