In den letzten Jahren hat das Leipziger Bach-Archiv seine Forschungsarbeit deutlich erweitert. Neben den Arbeiten zum allseits berühmten Leipziger Thomaskantor Johann Sebastian Bach sind auch verstärkt die Forschungen zu Leben und Werk seiner Söhne und Enkel in den Fokus gerückt. Und am Sonntag, 6. Dezember, feierte das Leipziger Bach-Archiv so einen Enkel: Wilhelm Friedrich Ernst. Die Spur führt nach Berlin.

Und sie führt in die Berliner Singakademie. Und sie führt zur Familie Mendelssohn, zu Abraham und Lea, die ihre Kinder in Berlin nicht nur im Geiste eines gebildeten und aufgeklärten Bürgertums erzogen, sondern auch früh mit den Werken Bachs bekannt machten. Was ihnen leicht fiel, denn nach dem Tod des Leipziger Thomaskantors wanderte die Bach-Pflege für ein halbes Jahrhundert von der Pleiße an die Spree. Das hat mit den Wegen der Bach-Söhne Carl Philipp Emanuel Bach und Wilhelm Friedemann Bach zu tun, die es beide nach Preußen verschlug. Und auch wenn Wilhelm Friedrich 1759 in Bückeburg als Sohn des dritten berühmten Bach-Sohnes Johann Christoph Friedrich Bach geboren wurde, verschlug es auch ihn nach Berlin. Er war dort Cembalist der berühmten Königin Luise, ja, genau der, die Napoleon so bewunderte und bei der er froh war, dass ihr wankelmütiger Ehemann Friedrich Wilhelm II. die Preußen regierte und nicht die beliebte Luise.

Und dieser Bach-Enkel hatte nicht nur Kontakt zur musischen Mendelssohn-Familie und damit auch zu den beiden hochbegabten Kindern Felix und Fanny, er hatte logischerweise auch seine Kontakte zur von Friedrich Zelter geleiteten Singakademie, wo die Bach-Renaissance im frühen 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm.

So ein Bach-Enkel gehört natürlich in den Sammlungsbestand des Leipziger Bach-Archivs.

Dumm nur, dass das Bild dieses Mannes – man wusste ja, dass es das gab – Jahrzehnte lang verschollen war. 2012 tauchte es wieder auf – im Kunsthandel. Genau das ist das Bild, das am Sonntag feierlich weitergereicht wurde: von München nach Berlin und von dort nach Leipzig. Alles in fünf Minuten.

Das Porträt Wilhelm Friedrich Ernst Bachs befand sich anfänglich im Besitz der Familie Bach selbst und gelangte nach dem Tod von Wilhelm Friedrich Ernsts Tochter Caroline im Jahr 1871 in den Bestand der Sing-Akademie zu Berlin. Diese wurde 1791 als Gesellschaft freier Bürger und “Kunstverein für die heilige Musik” gegründet und gilt als ältester gemischter Chor der Welt: Erstmals in der Geschichte der Musik trafen sich Männer und Frauen jeglicher Konfession, um gemeinsam alte und neue Kompositionen für mehrere Stimmen zu singen.

Die Pflege des Bachschen Erbes spielte in der Sing-Akademie ab dem frühen 19. Jahrhundert eine besondere Rolle. Am 11. März 1829 fand unter Leitung des 20-jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy die erste Aufführung der Matthäus-Passion nach dem Tode des Komponisten durch die Sing-Akademie statt. Dieses Konzert gilt als Geburtsstunde der Bach-Renaissance im 19. Jahrhundert. Es überrascht daher nicht, dass eine gemeinsame Übergabe des W. F. E. Bach-Bildnisses und eines heute verschollenen Abgusses eben jenes Leipziger Bach-Denkmals von 1843 aus dem Nachlass Carolines an die Sing-Akademie erfolgte. Der damalige Direktor der Sing-Akademie, August Eduard Grell (1800-1886), war es auch, der auf der Rückseite des Bildes Angaben zur Biografie des Abgebildeten, zur Leipziger Denkmals-Weihe und zur Provenienz des Bildes vermerkte.

Im Jahr 1919 beauftragte der spätere Direktor der Sing-Akademie, Georg Alfred Schumann (1866-1952), eine Kopie des Bildes für das von ihm geförderte Bach-Museum in Eisenach. Danach verloren sich die Spuren des Porträts, bevor es im März 2012 im Münchner Kunsthandel wieder auftauchte. Möglicherweise geriet das Bild in der Zeit des 2. Weltkrieges in dunkle Kanäle. Im Bombenhagel wurde das Gebäude der Sing-Akademie zerstört.

Aber die Bach-Gemeinde würde ihren Namen nicht verdienen, wenn nicht dutzende Kenner immerfort Obacht gäben, was weltweit auf diversen Kunst- und Musikalienauktionen auftaucht. Das Netzwerk ist wie ein Frühwarnsystem. Und die Fäden laufen alle irgendwie in Leipzig zusammen, wo man in den vergangenen Jahren einige wertvolle Fundstücke zur Bach-Forschung entweder durch eigenen Einsatz (und pekuniäre Unterstützung starker Geldgeber) für den Fundus sicherte oder frühzeitig mit den Erwerbern der Fundstücke Kontakt aufnahm. Manchmal reifte das erst nach Jahrzehnten zu einer wichtigen Schenkung oder einem furiosen Ankauf (wie jüngst bei einem der wichtigen Bach-Porträts).

Eduard Magnus (zugeschrieben): Wilhelm Friedrich Ernst Bach. Foto: Bach-Archiv Leipzig
Eduard Magnus (zugeschrieben): Wilhelm Friedrich Ernst Bach. Foto: Bach-Archiv Leipzig

In diesem Fall war es jetzt ein Münchner Verbündeter, der das Bildnis von Wilhelm Friedrich Ernst entdeckte und sicherte.

Das verschollen geglaubte Porträt von Wilhelm Friedrich Ernst Bach (1759–1845), dem Enkel Johann Sebastian Bachs, ist nun im Rahmen einer Feierstunde am Samstag, 6. Dezember, im Bach-Archiv Leipzig der Sing-Akademie zu Berlin rückübereignet worden. Der Entdecker des Bildes, Dr. Richard Bauer, überreichte das Bild an den Vorstand der Sing-Akademie, welcher das Porträt sogleich als Dauerleihgabe dem Bach-Archiv Leipzig übergab. Im Jahr 2012 war das im Umfeld der Leipziger Bach-Denkmalseinweihung entstandene und seit 75 Jahren verschollene Porträt im Münchner Kunsthandel aufgetaucht. Es wird in der Schatzkammer des Bach-Museums Leipzig seine neue Heimat finden.

So schloss sich ein Kreis. Und dass das Bild nun in Leipzig weilt, hat natürlich auch mit der Leipziger Bach-Renaissance zu tun.

Als am 23. April 1843 das von Felix Mendelssohn Bartholdy gestiftete Bach-Denkmal in Leipzig eingeweiht wurde, wohnte auf Einladung des Stifters auch der letzte noch lebende Enkel des Thomaskantors der Feierstunde unweit des Thomaskirchhofs bei. Wilhelm Friedrich Ernst Bach (1759-1845), zu der Zeit bereits ein Greis von 84 Jahren, reiste hierfür mit Frau und zwei Töchtern aus Berlin an. Wilhelm Friedrich Ernst war von seinem Vater, dem Konzertmeister am Bückeburger Hof Johann Christoph Friedrich Bach (1732-1795), sowie von dessen Brüdern Carl Philipp Emanuel (1714-1788) und Johann Christian (1735-1782) ausgebildet worden. Später wirkte er u. a. als Lehrer der regierenden Königin Friederike Luise von Preußen (1751-1805). Das in Öl auf Karton gemalte Portrait des letzten damals noch lebenden Bach-Enkels wurde vermutlich im Umfeld der Leipziger Denkmalseinweihung in Auftrag gegeben.

Als Maler des Porträts wird Eduard Magnus (1799-1872) vermutet, der nachweislich etliche Berliner Persönlichkeiten porträtierte, darunter zahlreiche Musiker. Magnus lebte wie auch Wilhelm Friedrich Ernst Bach in Berlin und war ein weitläufiger Verwandter und enger Freund Felix Mendelssohn Bartholdys. Die Gespräche zu diesem Auftrag hatten vermutlich während eines belegten Aufenthaltes Magnus‘ in Leipzig im Oktober 1843 stattgefunden. Das W. F. E. Bach-Portrait ist, wie zahlreiche von Magnus‘ Arbeiten, nicht signiert und kann dem Maler daher nur zugeschrieben werden.

Das Bild soll ab 2016 in der Schatzkammer des Bach-Museums am Leipziger Thomaskirchhof – unweit des von Felix Mendelssohn Bartholdy gestifteten Bach-Denkmals – eine neue Heimat finden, verspricht das Bach-Archiv noch.

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