Künstlerseelen sind selten geworden. Im Schattendunkel der Realität erkennt man sie kaum. Eingesperrt im Keller der Stille, die lauert auf Angst, die langsam und bedrohlich näherzurücken scheint. Den eigenen Rücken – seit längerem unbesehn – lieber am Kalt der Wände rumdrücken, frierend, da Bewegungslosigkeit den Körper geißelt. Wirbel um Wirbel gilt es zu trainieren, um dem hinteren Teil Oberkörper Stärke beizubringen. Für welches Geheimnis er sich bloß so schämt.

Ach, könnte ich ihn nur offen und aufrecht ansehen. Hinschauen – das Geheimnis als Lockung ins Leben wiederverstehen. Aber der Rücken, er scheint doch nicht viel von sich zu halten: Er hat sein Herz verschlossen und den Schlüssel weggeworfen.

Was aber im Gedächtnis als Verschlusssache abgeordnet ist, bleibt unvergessen, wenn auch als Problem zunächst nicht lösbar.

Aber kann man eigentlich sinnvoll von der Seele reden? In sich selbst oder in einer wichtigen Person die Seele verschlossen zu wissen, in der Hoffnung, irgendwann den Schlüssel zum Aufschließen und Wiederbeleben der Seelenkunst zu bekommen? Nein: das Herz ist ein Organ und herzlos leben ist gleich tot sein. Die Seele ist ein Dazwischen, das ist vielerlei vergessen – erst aus Faulheit oder Mutlosigkeit einen unbegangenen Eigenweg zu gehen, dann in absoluter Ablenkung des denkfühltauben Weg aus Beton.

Das Herz: kein Gedächtnisrechner hat’s als Tatsache zur Erinnerung aufbewahrt, denn sehnsüchtig bedingungslos erseelt es sich zur Freiheit.

Die Seele ist nicht konservierbar – daher immer kulturlos. Denn ihr Wesen ist die Kunst.
Die Kunst ist IMMER und ALLES oder NIEMALS und NICHTS.
Die Seele ist das Unterwegssein in Liebe. Sie ist die Große Sehnsucht des Künstlerherzschlages ohne Rast und Ruh’ hinein ins Offene dessen, was kommen mag. Die Seele bringt den Beseelten radikal zur Vernunft, indem sie ihm seine Sinnlichkeit zum Wertgegenstand erklärt.

Die Seele ist unsagbar, redlich aber in Kunst.

Wie führe ich mein Leben? Das bedeutet eben: Wie lebe ich mein Leben?

Die Kunst als Existenzielle Lebenskunst ist die ewig lebendig andauernde und damit „ewig wiederkehrende“ Formung selbstbestimmter Lebenskunststrukturen, die die Grundfesten, die innere Ordnung eines sich selbstkritisch künstlerisch-leibhaftig prüfenden und so autonomen und in diesem Sinne freien Lebenskunstwerk (LKW) bedeutet. Anfang und Ende sind gleichbedeutend mit einem Davor (vor dem selbstbestimmt geführten Leben) und einem Danach. Die Arbeit am Kunstwerk ist tagtägliche Arbeit an sich selbst. Dazwischen ereignet sich das Leben mit der Forderung einen Stil, eine Richtung zu erhalten.

Cover Leipziger Zeitung Nr. 120, VÖ 22.12.2023. Foto: LZ

‚Übung macht den Meister‘ – sagt man. Aber welche? Diese Frage stellt sich nur, wenn man eine Entscheidung treffen, was ein Leben lang oder doch zumindest aus guten Gründen eine ganze Weile lang einüben will oder besser: muss. Die künstlerische Einübung ist immer schon zugleich Ausübung dessen, das man schon ist. Techniken des Selbst, um intensiver und in diesem Sinne besser zu werden, erlernt der echte Künstler ebenso im Tun. Im Anfang war die Tat – sie bleibt das je weiter Anfangen, das als Können erkannt werden und frei gemacht werden „kann“.

Denn es ist ebendies Tun, das ihn – den asketischen Selbst-Künstler als den, der er ist, ausmacht, auszeichnet. Es ist notwendig. Alles, das notwendig zu tun ist, bildet sich in bestimmter Form durch des Meisters Hand in die Welt hinein. Notwendigkeiten lassen sich nicht wählen und sind nicht zögerlich in ihren Fragen nach der Umsetzung. Sie stellen sich dem Künstler im Prozess des Anfangens Schritt für Schritt vor. Er ist ihr Geburtshelfer, legt ihre Form frei. Es besteht zwar ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis, das aber die selbstbestimmte Schöpfung erst ermöglicht, die Freiheit …

www.empraxis.net

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