Pünktlich zum Valentinstag war sie da: die neue CD der Halleschen Folkband Dizzy Spell. Irland ist gleich nebenan. Wer's noch nicht wusste, kann's hören. Auf dieser CD mit dem kecken Titel "I Once Loved A Lass" zum Beispiel. Oder direkt in einem ihrer Konzerte auf der Dizzy Spell Tour 2013. Quer durch Irland. Ach nö, Sachsen-Anhalt. Die Musikanten von der Saale bleiben vorerst lieber im eigenen Land.

Naumburg und Bernburg stehen zum Beispiel auf der Reiseliste (21. Juni und 20. Juli) oder Wittenberg (9. November). Irgendwie machen sich die Musikanten um die Sängerin Juliane Weinelt (die auch mal zur Querflöte greift) etwas rar. Was wir natürlich nicht verdient haben. Nicht wirklich. Denn wie kaum eine andere Band bringt diese die ganz einfache Freude am Leben zum klingen. Das Irische ist nur Tarnung, auch wenn sich Juliane im Booklet zusammen mit Jan Oelman (Gitarre, Fiddle, Keyboards und Gesang) und Kerstin Braun (Fiddle, Gesank, Percussion) an einem Tisch mit Apfel, Rose und Tullamore Dew hat fotografieren lassen. In Irland haben wir unser Heimweh geparkt, die unaussprechliche Sehnsucht nach grünen Hügeln, urigen Dorfkneipen und Leuten, die auch gern mal tanzen zur Fiedel. Ob’s das alles wirklich gibt, werden die Iren am besten wissen.

In Deutschland gibt’s das alles ganz gewiss nicht. Deswegen ist der Folk hierzulande tatsächlich in den größeren Städten zu Hause, wenn auch als Randgewächs. Denn er ist nicht cool und nicht heavy. Er muss nicht immer so tun, als wäre er Brachialprotest, wie es andere Musikrichtungen zelebrieren, als wäre das originell.

Nicht mal originell will er sein. Überhaupt nicht. Auch Dizzy Spell bedient sich gern an den Liedern der Völker, auch der eigenen, an jenen Melodien, wo dann beim Komponisten gern stehen darf “traditionell”. Auch wenn es ganz bestimmt irgendwann mal vor ein paar hundert Jahren einen begnadeten Spielmann gab, der sich die Melodie ausdachte. Die dann Eingang fand in das Repertoire der Lieder, die das Volk sang. Nicht immer heimelig. Das täuscht in deutschen Landen oft, weil die berühmtesten Kunstlieder des 19. Jahrhunderts derart von Heimeligkeit triefen. Von “Heilige Nacht” bis “Sah ein Knab”. Die Kunstlieder haben die wirklichen Lieder des Volkes selbst wieder in den Schatten gedrängt. Über den Folk kehren sie zurück. Allüberall.

Bei den großen Folkfestivals treffen sich wirklich die Lieder der Völker in ihrer Vielfalt. Und so bediente sich auch Dizzy Spell für diese Scheibe bei den Liebesliedern Irlands, Englands, Galiziens. Und zwei faszinierend gesungene Lieder aus den hiesigen Gefilden sind dabei. “Regen und Sturm”, eine Ballade, die im Rheinland spielt (aber eigentlich aus Amerika importiert ist und von Thomas Kolitsch neu getextet), und “Weißt du, wieviel Sternlein stehen”. Liebeslieder eben, Lieder vom Glücklichsein und vom Verlassenwerden, vom Betrug und vom Unterwegssein. Wer wirklich nachdenkt über sein Leben, der merkt bald – tatsächlich geht es die ganze Zeit um nichts anderes. Alles andere ist Tand, Selbstbetrug, Versteckspiel. Um Liebe geht es, um Vertrauen, Finden und Verlieren. Und natürlich um den Moment ganz am Ende, wo einer Bilanz zieht – was bleibt? Hinterlass ich da Jemanden, der für mich weiter geht? Oder bleibt nur der Zorn? Die Leere? Der Missmut?
Manchmal kommt der Moment auch eher. Wie viele Bücher und Filme haben in letzter Zeit dieses “On the road” im Ober- oder Untertitel? Diesen Drang zum Ausbrechen, Weglaufen, Neuanfangen, alles Stehenlassen und auf Wanderschaft zu gehen, anderswo nach sich selbst und ein paar Antworten auf die immer verdrängten Fragen zu suchen?

Klar. In diesem Jahr kann man Dizzy Spell hinterher fahren – von Bad Suderode nach Zehdenick, von da nach Falkensee und dann nach Eisleben. Mal spielen die Musiker – die sich vier Kollegen mit Kontrabass, Drehleier, Bluesharp und Drums dazu geholt haben – in einer Kirche, mal in einer Scheune, mal im Kloster, mal auf der Wasserburg. All den Orten, die noch davon künden, dass wir auch ein paar nicht so lärmende und hektische Jahrhunderte hinter uns haben. Diese Musik verträgt keinen Lärm. Und wenn Juliane Weigelt singt, fängt man eh an zu träumen. Kann man loslassen und macht sich für neun Liedtitel mal keine Sorgen um die Welt oder die Zeit oder gar den Terminplaner. Was wir natürlich zu selten tun. Deswegen sind wir ja so außer uns, so nie wirklich präsent. Immer schon fort.

Dabei geht es denen da draußen genauso. Der große Aufschwung des Folk seit den 1960er Jahren hat ja zwei Seiten. Die internationale und die heimische, das Welt-Hören und das Gefühl, irgendwo zu Hause sein zu wollen. Nicht mit dem deutsch-deutschen Klamauk der sogenannten Volksmusik, die keine ist. Diesem auf nebbich gemachten Marschgesang mit Humtata-Kapelle.

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Auch dagegen ist der Folk ein stillerer Protest. Und dass ihn die Allmächtigen gefährlicher finden als das Humtata, haben sie ja 1989 in Leipzig gezeigt, als sie die Spielleute einkassierten.

Über die große Weltreise kommt Dizzy Spell auch in den deutschsprachigen Raum zurück. Die “Sternlein” sind nur ein Vorgeschmack. Für die nächste CD versprechen die Musiker aus Halle ein konsequent deutschsprachiges Projekt. Arbeitstitel: “Volkslieder – und solche die es sein sollten”. Das sagt alles.

Und wer dieser Bande aus Halle 2013 nicht hinterher reisen mag (obwohl die meisten Auftrittsorte selbst die Reise schon lohnen), dem kann man diese dritte CD von Dizzy Spell nur ans Herz legen. Da gehört sie hin.

Dizzy Spell “I Once Loved A Lass”.
www.dizzyspell.de

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